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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Schon wieder ein Gegner der inneren Kolonisation

Erwägt man, daß gerade jetzt wieder sehr bedeutende Summen für die
Fortsetzung der kolonisatorischen Tätigkeit der Ansiedlungskommission und für
die Förderung der Kolonisation in den anderen Landesteilen gefordert werden,
so ist es geboten, zu dem eigenartigen Aufsatz des Herrn von Chlapowski
Stellung zu nehmen.

Seinen Ausführungen ist aber in keiner wesentlichen Richtung beizutreten;
wohl aber sind sie geeignet, die öffentliche Meinung irre zu führen.

Der Verfasser ermittelt (I) die Selbstkosten der Ansiedlungskommission
-- außer dem Kaufpreis -- an Wirtschaftszuschüssen, Meliorationen, Vorflut-
regulierungen, Wege- und Brückenbauten, Zinsverlusten und Kosten der Frei¬
jahre") für die Stelle durchschnittlich auf 8630 Mark, denen an Baukosten, die
der einzelne Ansiedler aufzubringen hat, 600 Mark für den Hektar, bei einer
Stelle von Is Hektar also 9000 Mark hinzutraten. Danach wäre jede Stelle
von vornherein mit 17630 Mark belastet, ganz abgesehen von den Kosten des
Landerwerbs.

Sodann bespricht er ausführlich (II) die Bodenpreisfrage und das reißende
Steigen der Preise seit 1902, ebenso erörtert er die Behauptung, die Preis¬
steigerung sei eine Folge der Konkurrenz auf dem Grundstücksmarkt und ein
Ausfluß des sogenannten Kampfes um den Boden. Die Nichtigkeit dieser Be¬
hauptung bestreitet er im allgemeinen, indem er die Tätigkeit der polnischen
Parzellierungsinstitute und die Landerwerbungen polnischer Großgrundbesitzer
als für die Bodenpreisfrage wenig erheblich hinstellt, wenn er auch ihre preis¬
treibende Wirkung nicht völlig verneint (Seite 279, 291).

Nach dem Tiefstand der Landwirtschaft in den achtziger und Anfang der
neunziger Jahre sei durch das Zusammenwirken verschiedener wirtschaftlicher
Kräfte als: der besseren Konjunktur, des Ausbaues der Verkehrsmittel, der
Fortschritte der Landeskultur überhaupt, der besseren Betriebsweise, der Ent¬
wicklung der landwirtschaftlichen Technik, nicht zum mindesten der großen
"Investitionen" seitens der Privatbesitzer, ein mächtiger Umschwung zum
Besseren eingetreten, der die Landwirtschaft Posens allmählich auf ein sehr hohes
"Niveau" gebracht habe. Zum Beweise werden die Reinertrage von vier
Rittergütern aus einer Reihe von Jahren mitgeteilt, auf die der Verfasser
offenbar hohen Wert legt. Diese vier Güter bringen danach seit einer Reihe
von Jahren steigende Reinertrage, die sich für den Hektar für das letzte Jahr
auf 210,79 Mark und 197,09 Mark (1909/10). 146.00 Mark (1910/11) und
269.81 Mark (1911/12) belaufen.

Aus allem diesem folgert der Verfasser (Seite 290). daß die Rentabilität
des landwirtschaftlich genutzten Bodens sehr erheblich zugenommen habe.
Während früher Reinertrage von 40 Mark für den Hektar als befriedigend



*) Verfasser spricht von drei Freijahren, solche werden aber nur Landfremden bewilligt;
sonst gibt es nur eins oder zwei, nicht selten auch gar keins.
Schon wieder ein Gegner der inneren Kolonisation

Erwägt man, daß gerade jetzt wieder sehr bedeutende Summen für die
Fortsetzung der kolonisatorischen Tätigkeit der Ansiedlungskommission und für
die Förderung der Kolonisation in den anderen Landesteilen gefordert werden,
so ist es geboten, zu dem eigenartigen Aufsatz des Herrn von Chlapowski
Stellung zu nehmen.

Seinen Ausführungen ist aber in keiner wesentlichen Richtung beizutreten;
wohl aber sind sie geeignet, die öffentliche Meinung irre zu führen.

Der Verfasser ermittelt (I) die Selbstkosten der Ansiedlungskommission
— außer dem Kaufpreis — an Wirtschaftszuschüssen, Meliorationen, Vorflut-
regulierungen, Wege- und Brückenbauten, Zinsverlusten und Kosten der Frei¬
jahre") für die Stelle durchschnittlich auf 8630 Mark, denen an Baukosten, die
der einzelne Ansiedler aufzubringen hat, 600 Mark für den Hektar, bei einer
Stelle von Is Hektar also 9000 Mark hinzutraten. Danach wäre jede Stelle
von vornherein mit 17630 Mark belastet, ganz abgesehen von den Kosten des
Landerwerbs.

Sodann bespricht er ausführlich (II) die Bodenpreisfrage und das reißende
Steigen der Preise seit 1902, ebenso erörtert er die Behauptung, die Preis¬
steigerung sei eine Folge der Konkurrenz auf dem Grundstücksmarkt und ein
Ausfluß des sogenannten Kampfes um den Boden. Die Nichtigkeit dieser Be¬
hauptung bestreitet er im allgemeinen, indem er die Tätigkeit der polnischen
Parzellierungsinstitute und die Landerwerbungen polnischer Großgrundbesitzer
als für die Bodenpreisfrage wenig erheblich hinstellt, wenn er auch ihre preis¬
treibende Wirkung nicht völlig verneint (Seite 279, 291).

Nach dem Tiefstand der Landwirtschaft in den achtziger und Anfang der
neunziger Jahre sei durch das Zusammenwirken verschiedener wirtschaftlicher
Kräfte als: der besseren Konjunktur, des Ausbaues der Verkehrsmittel, der
Fortschritte der Landeskultur überhaupt, der besseren Betriebsweise, der Ent¬
wicklung der landwirtschaftlichen Technik, nicht zum mindesten der großen
„Investitionen" seitens der Privatbesitzer, ein mächtiger Umschwung zum
Besseren eingetreten, der die Landwirtschaft Posens allmählich auf ein sehr hohes
„Niveau" gebracht habe. Zum Beweise werden die Reinertrage von vier
Rittergütern aus einer Reihe von Jahren mitgeteilt, auf die der Verfasser
offenbar hohen Wert legt. Diese vier Güter bringen danach seit einer Reihe
von Jahren steigende Reinertrage, die sich für den Hektar für das letzte Jahr
auf 210,79 Mark und 197,09 Mark (1909/10). 146.00 Mark (1910/11) und
269.81 Mark (1911/12) belaufen.

Aus allem diesem folgert der Verfasser (Seite 290). daß die Rentabilität
des landwirtschaftlich genutzten Bodens sehr erheblich zugenommen habe.
Während früher Reinertrage von 40 Mark für den Hektar als befriedigend



*) Verfasser spricht von drei Freijahren, solche werden aber nur Landfremden bewilligt;
sonst gibt es nur eins oder zwei, nicht selten auch gar keins.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/80>, abgerufen am 27.07.2024.