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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Jahresausstelluiig des Deutschen Uimstlerbundos

ihrer Bereiche vermag man des öfteren die Frage nicht abzuweisen: ist dem
Aufnehmenden ein Dienst erwiesen, wenn man ihm die Natur und die mensch¬
liche Erscheinung, die er in ihrer Wahrheit oder in ihrer Größe sehen lernen
möchte, nur im allgemeinsten, flüchtigsten, plump vergröbernden Nachfahren vor
Augen rückt?

Und doch regt sich zwischen solcher selbstherrlichen Artistenwillkür ein Ver¬
langen und ein Kräfterecken nach neuen Aufgaben. Einer Kunst von großen,
einfach ausdrucksvollen Formen gilt das tastende Suchen, und die Gebilde der
Natur wie die Erscheinung des lebenden Menschen sollen sich in Darstellungen
von klar beherrschter Ruhe oder gefühlsberedter Bewegtheit zusammenschließen.

Solche Zusammenfassung und Steigerung zu vollbringen, vermöchten freilich
nur Künstlerpersönlichkeiten, in denen sich Reichtum und Macht des inneren
Erlebens mit einer ebenbürtigen Gestaltungskraft vermählte. Was die Aus¬
stellung aus dem Schaffen der Jungen und Jüngsten ausgewählt hat, das weckt
einstweilen höchstens Erwartungen. Aber soviel wird doch deutlich: die Phan¬
tasie kommt in der Kunst allgemach wieder zu Ehren; mit besonderer Eindring¬
lichkeit sind da und dort religiöse Stoffe zur Geltung gebracht, und sogar eine
riesige Amazonenschlacht wagt sich zwischen Vorstadthäuser, Eisenbrücken, Atelier-
und Caföszenen. Und "das Geistige" ist ja mit soviel Entdeckerstolz als eine
ganz zukünftige Eroberung der Kunst ausgerufen worden, daß bald niemand
so rückständig mehr sein wird, sich nicht dazu zu bekennen. Ja sogar das
Gefühl ersteht schon in ungeahnten Morgenröten, einstweilen noch gern von
den Nebeln eines feierlich faden Allegorisierens umwallt. Was aus diesen
ungeklärten Versuchen einst erwachsen könnte, wird eine Kunst der ausdrucks¬
mächtigen Gebärde sein, die auf Grund einer kraftvoll selbständigen Bewältigung
der Natur Erlebnisse des inneren Schauens in Gestalten bannt.

Auch die Landschaftsmalerei sucht aus der Vereinfachung und Steigerung
ihrer elementarsten Ausdrucksmittel neue Wirkungen zu gewinnen. Nein be¬
friedigende Lösungen wollen ihr aber noch nicht gelingen. Was auf den besten
Bildern lebendig anmutet, ist die feste Straffheit ihrer Formen und die heil¬
kräftige Klarheit ihrer Farben: das gibt den Arbeiten von Th. von Brockhusen,
Waldemar Rösler und Kurt Tuch ihre lebhafte Frische. Aber doch wirkt bei
ihnen die schnellfertige Reduktion der einzelnen Bildelemente oft gewaltsam oder
flüchtig, und das unbekümmerte Durcheinanderführen harter und eckiger Formen
schafft eine verwirrende Unruhe statt zwingend klarer Ordnung. Anderwärts
wird die Malmaterie schließlich die Hauptsache. Der Gegenstand, der den
farbigen Augenblickseindruck gewährt, bleibt im Grunde gleichgültig, der Strich,
der Zug des Pinsels herrscht, und in sein krausborstiges Dahinwühlen wird
der Kampf von Wolken, Rauch und Licht übersetzt; Flußwellen, Rasen- und
Sandstreifen streicht er in dicken Farbströmen aus. Und wo der "Pinselhieb"
nicht genügt, um die Farbmassen oder die isolierte Farbintensität recht aufdringlich
herauszuheben, da wird schließlich ein zäher Farbbewurf auf das Bild gedrückt.


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ihrer Bereiche vermag man des öfteren die Frage nicht abzuweisen: ist dem
Aufnehmenden ein Dienst erwiesen, wenn man ihm die Natur und die mensch¬
liche Erscheinung, die er in ihrer Wahrheit oder in ihrer Größe sehen lernen
möchte, nur im allgemeinsten, flüchtigsten, plump vergröbernden Nachfahren vor
Augen rückt?

Und doch regt sich zwischen solcher selbstherrlichen Artistenwillkür ein Ver¬
langen und ein Kräfterecken nach neuen Aufgaben. Einer Kunst von großen,
einfach ausdrucksvollen Formen gilt das tastende Suchen, und die Gebilde der
Natur wie die Erscheinung des lebenden Menschen sollen sich in Darstellungen
von klar beherrschter Ruhe oder gefühlsberedter Bewegtheit zusammenschließen.

Solche Zusammenfassung und Steigerung zu vollbringen, vermöchten freilich
nur Künstlerpersönlichkeiten, in denen sich Reichtum und Macht des inneren
Erlebens mit einer ebenbürtigen Gestaltungskraft vermählte. Was die Aus¬
stellung aus dem Schaffen der Jungen und Jüngsten ausgewählt hat, das weckt
einstweilen höchstens Erwartungen. Aber soviel wird doch deutlich: die Phan¬
tasie kommt in der Kunst allgemach wieder zu Ehren; mit besonderer Eindring¬
lichkeit sind da und dort religiöse Stoffe zur Geltung gebracht, und sogar eine
riesige Amazonenschlacht wagt sich zwischen Vorstadthäuser, Eisenbrücken, Atelier-
und Caföszenen. Und „das Geistige" ist ja mit soviel Entdeckerstolz als eine
ganz zukünftige Eroberung der Kunst ausgerufen worden, daß bald niemand
so rückständig mehr sein wird, sich nicht dazu zu bekennen. Ja sogar das
Gefühl ersteht schon in ungeahnten Morgenröten, einstweilen noch gern von
den Nebeln eines feierlich faden Allegorisierens umwallt. Was aus diesen
ungeklärten Versuchen einst erwachsen könnte, wird eine Kunst der ausdrucks¬
mächtigen Gebärde sein, die auf Grund einer kraftvoll selbständigen Bewältigung
der Natur Erlebnisse des inneren Schauens in Gestalten bannt.

Auch die Landschaftsmalerei sucht aus der Vereinfachung und Steigerung
ihrer elementarsten Ausdrucksmittel neue Wirkungen zu gewinnen. Nein be¬
friedigende Lösungen wollen ihr aber noch nicht gelingen. Was auf den besten
Bildern lebendig anmutet, ist die feste Straffheit ihrer Formen und die heil¬
kräftige Klarheit ihrer Farben: das gibt den Arbeiten von Th. von Brockhusen,
Waldemar Rösler und Kurt Tuch ihre lebhafte Frische. Aber doch wirkt bei
ihnen die schnellfertige Reduktion der einzelnen Bildelemente oft gewaltsam oder
flüchtig, und das unbekümmerte Durcheinanderführen harter und eckiger Formen
schafft eine verwirrende Unruhe statt zwingend klarer Ordnung. Anderwärts
wird die Malmaterie schließlich die Hauptsache. Der Gegenstand, der den
farbigen Augenblickseindruck gewährt, bleibt im Grunde gleichgültig, der Strich,
der Zug des Pinsels herrscht, und in sein krausborstiges Dahinwühlen wird
der Kampf von Wolken, Rauch und Licht übersetzt; Flußwellen, Rasen- und
Sandstreifen streicht er in dicken Farbströmen aus. Und wo der „Pinselhieb"
nicht genügt, um die Farbmassen oder die isolierte Farbintensität recht aufdringlich
herauszuheben, da wird schließlich ein zäher Farbbewurf auf das Bild gedrückt.


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[0633] Die Jahresausstelluiig des Deutschen Uimstlerbundos ihrer Bereiche vermag man des öfteren die Frage nicht abzuweisen: ist dem Aufnehmenden ein Dienst erwiesen, wenn man ihm die Natur und die mensch¬ liche Erscheinung, die er in ihrer Wahrheit oder in ihrer Größe sehen lernen möchte, nur im allgemeinsten, flüchtigsten, plump vergröbernden Nachfahren vor Augen rückt? Und doch regt sich zwischen solcher selbstherrlichen Artistenwillkür ein Ver¬ langen und ein Kräfterecken nach neuen Aufgaben. Einer Kunst von großen, einfach ausdrucksvollen Formen gilt das tastende Suchen, und die Gebilde der Natur wie die Erscheinung des lebenden Menschen sollen sich in Darstellungen von klar beherrschter Ruhe oder gefühlsberedter Bewegtheit zusammenschließen. Solche Zusammenfassung und Steigerung zu vollbringen, vermöchten freilich nur Künstlerpersönlichkeiten, in denen sich Reichtum und Macht des inneren Erlebens mit einer ebenbürtigen Gestaltungskraft vermählte. Was die Aus¬ stellung aus dem Schaffen der Jungen und Jüngsten ausgewählt hat, das weckt einstweilen höchstens Erwartungen. Aber soviel wird doch deutlich: die Phan¬ tasie kommt in der Kunst allgemach wieder zu Ehren; mit besonderer Eindring¬ lichkeit sind da und dort religiöse Stoffe zur Geltung gebracht, und sogar eine riesige Amazonenschlacht wagt sich zwischen Vorstadthäuser, Eisenbrücken, Atelier- und Caföszenen. Und „das Geistige" ist ja mit soviel Entdeckerstolz als eine ganz zukünftige Eroberung der Kunst ausgerufen worden, daß bald niemand so rückständig mehr sein wird, sich nicht dazu zu bekennen. Ja sogar das Gefühl ersteht schon in ungeahnten Morgenröten, einstweilen noch gern von den Nebeln eines feierlich faden Allegorisierens umwallt. Was aus diesen ungeklärten Versuchen einst erwachsen könnte, wird eine Kunst der ausdrucks¬ mächtigen Gebärde sein, die auf Grund einer kraftvoll selbständigen Bewältigung der Natur Erlebnisse des inneren Schauens in Gestalten bannt. Auch die Landschaftsmalerei sucht aus der Vereinfachung und Steigerung ihrer elementarsten Ausdrucksmittel neue Wirkungen zu gewinnen. Nein be¬ friedigende Lösungen wollen ihr aber noch nicht gelingen. Was auf den besten Bildern lebendig anmutet, ist die feste Straffheit ihrer Formen und die heil¬ kräftige Klarheit ihrer Farben: das gibt den Arbeiten von Th. von Brockhusen, Waldemar Rösler und Kurt Tuch ihre lebhafte Frische. Aber doch wirkt bei ihnen die schnellfertige Reduktion der einzelnen Bildelemente oft gewaltsam oder flüchtig, und das unbekümmerte Durcheinanderführen harter und eckiger Formen schafft eine verwirrende Unruhe statt zwingend klarer Ordnung. Anderwärts wird die Malmaterie schließlich die Hauptsache. Der Gegenstand, der den farbigen Augenblickseindruck gewährt, bleibt im Grunde gleichgültig, der Strich, der Zug des Pinsels herrscht, und in sein krausborstiges Dahinwühlen wird der Kampf von Wolken, Rauch und Licht übersetzt; Flußwellen, Rasen- und Sandstreifen streicht er in dicken Farbströmen aus. Und wo der „Pinselhieb" nicht genügt, um die Farbmassen oder die isolierte Farbintensität recht aufdringlich herauszuheben, da wird schließlich ein zäher Farbbewurf auf das Bild gedrückt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/633>, abgerufen am 22.12.2024.