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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Roman
Max Ludwig-Dohm von(Fünfte Fortsetzung)

"Nummer siebzehn fieberfrei!" meldete der Krankenwärter dem Arzt c>u jour
im Hospital der allgemeinen Fürsorge.

"Sie können sich gratulieren, Kirsch!" sagte Doktor Bergstrom, als er den
Verband wechselte. "In drei Tagen ist der Riß vernarbt. Aber nun wird in
den nächsten vier Wochen nicht gesoffen, alter Sünder, verstanden? Sonst geht
es Ihnen dünn? Haben Sie noch Schwindel? Und können Sie wieder ver¬
nünftig denken? Wieviel ist siebenundzwanzig mal sechs?"

"Ist sich -- ist sich, also sechs mal zwanzig macht hundertzwanzig und
sechs mal sieben macht -- macht zweiund -- zweiundvierzig, ist sich also hundert-
sechsundsechszig!"

"Na, so ganz stimmt es nicht. Mann! Aber allmählig wird es schon werden.
Bleiben Sie man hübsch ruhig im Bett und nehmen Sie Brom!"

Kirsch sank in die Kissen zurück und fuhr fort, wie vorher, in seine immer
noch wirren Gedanken Ordnung zu bringen.

Er hatte bereits festgestellt, wie er in diesen karbolgeschwängerten Kranken¬
saal gekommen war.

Der Hund, der Priddig, wollte ihm die schwarze Tatjana streitig machen.
Dabei hatte er doch die beiden Flaschen Likör für das Mädchen bezahlt!
Priddig riß es ihm aus dem Arm und lachte brüllend. Das Schlimmste war.
daß Tatjana mitlachte. Da war es ihm rot vor den Augen geworden, und
er hatte das Messer gezogen. . .

Das war nun auch weg -- das Messer, hatte drei Rubel gekostet und
war am selben Tag erst bei Georg Meyer gekauft.

Ja, und dann--?

Kirsch strich sich vorsichtig über seinen Verband. Der Doktor hatte ihm
erzählt, was dann passiert war. Dieselbe Flasche, die er für sein gutes Geld
gekauft hatte, war auf seinen Kopf herabgesaust.

Der Schuft, der Priddig! Na, dem wird er es noch mal heimzahlen!

"Herrgott!" murmelte er jetzt. "Wo ist die Mappe?" Er richtete sich auf
und stierte mit aufgerissenem Munde in das Halbdunkel des Saales.




^turn
Roman
Max Ludwig-Dohm von(Fünfte Fortsetzung)

„Nummer siebzehn fieberfrei!" meldete der Krankenwärter dem Arzt c>u jour
im Hospital der allgemeinen Fürsorge.

„Sie können sich gratulieren, Kirsch!" sagte Doktor Bergstrom, als er den
Verband wechselte. „In drei Tagen ist der Riß vernarbt. Aber nun wird in
den nächsten vier Wochen nicht gesoffen, alter Sünder, verstanden? Sonst geht
es Ihnen dünn? Haben Sie noch Schwindel? Und können Sie wieder ver¬
nünftig denken? Wieviel ist siebenundzwanzig mal sechs?"

„Ist sich — ist sich, also sechs mal zwanzig macht hundertzwanzig und
sechs mal sieben macht — macht zweiund — zweiundvierzig, ist sich also hundert-
sechsundsechszig!"

„Na, so ganz stimmt es nicht. Mann! Aber allmählig wird es schon werden.
Bleiben Sie man hübsch ruhig im Bett und nehmen Sie Brom!"

Kirsch sank in die Kissen zurück und fuhr fort, wie vorher, in seine immer
noch wirren Gedanken Ordnung zu bringen.

Er hatte bereits festgestellt, wie er in diesen karbolgeschwängerten Kranken¬
saal gekommen war.

Der Hund, der Priddig, wollte ihm die schwarze Tatjana streitig machen.
Dabei hatte er doch die beiden Flaschen Likör für das Mädchen bezahlt!
Priddig riß es ihm aus dem Arm und lachte brüllend. Das Schlimmste war.
daß Tatjana mitlachte. Da war es ihm rot vor den Augen geworden, und
er hatte das Messer gezogen. . .

Das war nun auch weg — das Messer, hatte drei Rubel gekostet und
war am selben Tag erst bei Georg Meyer gekauft.

Ja, und dann--?

Kirsch strich sich vorsichtig über seinen Verband. Der Doktor hatte ihm
erzählt, was dann passiert war. Dieselbe Flasche, die er für sein gutes Geld
gekauft hatte, war auf seinen Kopf herabgesaust.

Der Schuft, der Priddig! Na, dem wird er es noch mal heimzahlen!

„Herrgott!" murmelte er jetzt. „Wo ist die Mappe?" Er richtete sich auf
und stierte mit aufgerissenem Munde in das Halbdunkel des Saales.


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[0621] [Abbildung] ^turn Roman Max Ludwig-Dohm von(Fünfte Fortsetzung) „Nummer siebzehn fieberfrei!" meldete der Krankenwärter dem Arzt c>u jour im Hospital der allgemeinen Fürsorge. „Sie können sich gratulieren, Kirsch!" sagte Doktor Bergstrom, als er den Verband wechselte. „In drei Tagen ist der Riß vernarbt. Aber nun wird in den nächsten vier Wochen nicht gesoffen, alter Sünder, verstanden? Sonst geht es Ihnen dünn? Haben Sie noch Schwindel? Und können Sie wieder ver¬ nünftig denken? Wieviel ist siebenundzwanzig mal sechs?" „Ist sich — ist sich, also sechs mal zwanzig macht hundertzwanzig und sechs mal sieben macht — macht zweiund — zweiundvierzig, ist sich also hundert- sechsundsechszig!" „Na, so ganz stimmt es nicht. Mann! Aber allmählig wird es schon werden. Bleiben Sie man hübsch ruhig im Bett und nehmen Sie Brom!" Kirsch sank in die Kissen zurück und fuhr fort, wie vorher, in seine immer noch wirren Gedanken Ordnung zu bringen. Er hatte bereits festgestellt, wie er in diesen karbolgeschwängerten Kranken¬ saal gekommen war. Der Hund, der Priddig, wollte ihm die schwarze Tatjana streitig machen. Dabei hatte er doch die beiden Flaschen Likör für das Mädchen bezahlt! Priddig riß es ihm aus dem Arm und lachte brüllend. Das Schlimmste war. daß Tatjana mitlachte. Da war es ihm rot vor den Augen geworden, und er hatte das Messer gezogen. . . Das war nun auch weg — das Messer, hatte drei Rubel gekostet und war am selben Tag erst bei Georg Meyer gekauft. Ja, und dann--? Kirsch strich sich vorsichtig über seinen Verband. Der Doktor hatte ihm erzählt, was dann passiert war. Dieselbe Flasche, die er für sein gutes Geld gekauft hatte, war auf seinen Kopf herabgesaust. Der Schuft, der Priddig! Na, dem wird er es noch mal heimzahlen! „Herrgott!" murmelte er jetzt. „Wo ist die Mappe?" Er richtete sich auf und stierte mit aufgerissenem Munde in das Halbdunkel des Saales.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/621>, abgerufen am 30.12.2024.