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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der Zusammenbruch der Herrschaft Napoleons des Ersten

eroberer -- einzig und allein für das Wohl der Menschheit selber. Er war
nicht lediglich der blutige Tyrann, der Schlächter, der nur für seine "Zloire"
die Menschen in Krieg und Verderben gehetzt hat; er war mehr. "Ich habe
gewaltige und zahlreiche Pläne im Kopf" -- das sind seine eigenen Worte,
daran soll man nicht drehen noch deuteln -- "bei allem aber das Wohl der
Menschheit im Auge gehabt. Man fürchtete mich wie den Blitz; man behauptete, ich
führe eine eiserne Faust -- nun denn, sowie sie geschlagen hätte, wäre Milde für
alle eingetreten. Wieviele Millionen menschlicher Wesen hätten mich für alle Zeiten
gesegnet -- allein Unglück über Unglück kam über den Schluß meiner Laufbahn."

Und ihre Taten folgen ihnen nach I So bewundernswert seine Verwaltungs¬
reorganisation, die der Stein-Hardenbergschen als Grundlage diente, von den
Rheinbundstaaten einfach übernommen wurde, so trefflich die Kodifikationen des
materiellen Rechts und des Prozesses sind, die unter der Ägide und der tief¬
greifenden Mitwirkung des erst Einunddreißigjährigen vorgenommen wurden --
in der Hauptsache hat er doch nur die Erinnerung an seine Heerzüge hinter¬
lassen, an seine Siege, die jedoch durch die späteren Niederlagen und den
Zusammenbruch seiner Herrschaft ihre Bedeutung vollständig eingebüßt haben.
Die Idee, an die er alles gesetzt, hatte für einen Alexander von Mazedonien,
für die römischen Imperatoren und noch für das frühere Mittelalter ihre
volle Berechtigung; für diese frühen Zeiten menschlicher Kultur war sie das
Höchste, bedeutete ihre Inangriffnahme den Aufstieg der Menschheit, die staat¬
liche Fortbildung. Am Beginn des neunzehnten Jahrhunderts dagegen war
sie ein schwerer Fehler; die Durchführung eines solchen Planes, so gewaltig
er auch auf den ersten Blick scheinen mag, mußte sehr schnell scheitern, denn
die Entwicklung war schon seit Jahrhunderten darüber hinweggeschritten.

Nicht mehr auf Welteroberung gingen die Staaten aus, sondern sie verfolgten
nur die Tendenz, sich möglichst so stark zu machen, daß sie sich gegenüber dem
Angriff eines andern Staates behaupten konnten. Die Staaten konnten es
gar nicht mehr unternehmen, den Gegner oder die Gegner alle absolut zu ver¬
drängen, was der Kaiser oder der Papst noch erstrebt hatten; sie wollten
lediglich dahin gelangen, dem feindlich gesinnten Staate, der stets eine Schranke
sür sie bildete, das Gleichgewicht halten zu können: das Gleichgewichtssystem ist es,
wonach in der ganzen Periode nach der Durchbildung der souveränen Staaten
getrachtet wird.

Daß Napoleon das nicht erkannte, das hat ihm trotz höchsten Wollens
den Weg zu dauerndem Erfolg versperrt. So verpuffte die zähe Kraft des
gewaltigen Korsen nutzlos; einer von jenen Großen, die die Menschheit in eine
bessere Zukunft geleiten, ist er nicht geworden. Was der Graf S6gur mit Bezug
auf die Eroberung von Moskau ausführt, nämlich: "Diese Eroberung, für die
er alles daran gesetzt, sie ist ein Phantom, das er verfolgt hat, das er schon
zu fassen glaubte, und das in die Lüfte ging, in Rauch und Flammen" --
es gilt, mutatis mutanäis, von seinem Gesamtplan, der Weltherrschaft.


Der Zusammenbruch der Herrschaft Napoleons des Ersten

eroberer — einzig und allein für das Wohl der Menschheit selber. Er war
nicht lediglich der blutige Tyrann, der Schlächter, der nur für seine „Zloire"
die Menschen in Krieg und Verderben gehetzt hat; er war mehr. „Ich habe
gewaltige und zahlreiche Pläne im Kopf" — das sind seine eigenen Worte,
daran soll man nicht drehen noch deuteln — „bei allem aber das Wohl der
Menschheit im Auge gehabt. Man fürchtete mich wie den Blitz; man behauptete, ich
führe eine eiserne Faust — nun denn, sowie sie geschlagen hätte, wäre Milde für
alle eingetreten. Wieviele Millionen menschlicher Wesen hätten mich für alle Zeiten
gesegnet — allein Unglück über Unglück kam über den Schluß meiner Laufbahn."

Und ihre Taten folgen ihnen nach I So bewundernswert seine Verwaltungs¬
reorganisation, die der Stein-Hardenbergschen als Grundlage diente, von den
Rheinbundstaaten einfach übernommen wurde, so trefflich die Kodifikationen des
materiellen Rechts und des Prozesses sind, die unter der Ägide und der tief¬
greifenden Mitwirkung des erst Einunddreißigjährigen vorgenommen wurden —
in der Hauptsache hat er doch nur die Erinnerung an seine Heerzüge hinter¬
lassen, an seine Siege, die jedoch durch die späteren Niederlagen und den
Zusammenbruch seiner Herrschaft ihre Bedeutung vollständig eingebüßt haben.
Die Idee, an die er alles gesetzt, hatte für einen Alexander von Mazedonien,
für die römischen Imperatoren und noch für das frühere Mittelalter ihre
volle Berechtigung; für diese frühen Zeiten menschlicher Kultur war sie das
Höchste, bedeutete ihre Inangriffnahme den Aufstieg der Menschheit, die staat¬
liche Fortbildung. Am Beginn des neunzehnten Jahrhunderts dagegen war
sie ein schwerer Fehler; die Durchführung eines solchen Planes, so gewaltig
er auch auf den ersten Blick scheinen mag, mußte sehr schnell scheitern, denn
die Entwicklung war schon seit Jahrhunderten darüber hinweggeschritten.

Nicht mehr auf Welteroberung gingen die Staaten aus, sondern sie verfolgten
nur die Tendenz, sich möglichst so stark zu machen, daß sie sich gegenüber dem
Angriff eines andern Staates behaupten konnten. Die Staaten konnten es
gar nicht mehr unternehmen, den Gegner oder die Gegner alle absolut zu ver¬
drängen, was der Kaiser oder der Papst noch erstrebt hatten; sie wollten
lediglich dahin gelangen, dem feindlich gesinnten Staate, der stets eine Schranke
sür sie bildete, das Gleichgewicht halten zu können: das Gleichgewichtssystem ist es,
wonach in der ganzen Periode nach der Durchbildung der souveränen Staaten
getrachtet wird.

Daß Napoleon das nicht erkannte, das hat ihm trotz höchsten Wollens
den Weg zu dauerndem Erfolg versperrt. So verpuffte die zähe Kraft des
gewaltigen Korsen nutzlos; einer von jenen Großen, die die Menschheit in eine
bessere Zukunft geleiten, ist er nicht geworden. Was der Graf S6gur mit Bezug
auf die Eroberung von Moskau ausführt, nämlich: „Diese Eroberung, für die
er alles daran gesetzt, sie ist ein Phantom, das er verfolgt hat, das er schon
zu fassen glaubte, und das in die Lüfte ging, in Rauch und Flammen" —
es gilt, mutatis mutanäis, von seinem Gesamtplan, der Weltherrschaft.


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[0602] Der Zusammenbruch der Herrschaft Napoleons des Ersten eroberer — einzig und allein für das Wohl der Menschheit selber. Er war nicht lediglich der blutige Tyrann, der Schlächter, der nur für seine „Zloire" die Menschen in Krieg und Verderben gehetzt hat; er war mehr. „Ich habe gewaltige und zahlreiche Pläne im Kopf" — das sind seine eigenen Worte, daran soll man nicht drehen noch deuteln — „bei allem aber das Wohl der Menschheit im Auge gehabt. Man fürchtete mich wie den Blitz; man behauptete, ich führe eine eiserne Faust — nun denn, sowie sie geschlagen hätte, wäre Milde für alle eingetreten. Wieviele Millionen menschlicher Wesen hätten mich für alle Zeiten gesegnet — allein Unglück über Unglück kam über den Schluß meiner Laufbahn." Und ihre Taten folgen ihnen nach I So bewundernswert seine Verwaltungs¬ reorganisation, die der Stein-Hardenbergschen als Grundlage diente, von den Rheinbundstaaten einfach übernommen wurde, so trefflich die Kodifikationen des materiellen Rechts und des Prozesses sind, die unter der Ägide und der tief¬ greifenden Mitwirkung des erst Einunddreißigjährigen vorgenommen wurden — in der Hauptsache hat er doch nur die Erinnerung an seine Heerzüge hinter¬ lassen, an seine Siege, die jedoch durch die späteren Niederlagen und den Zusammenbruch seiner Herrschaft ihre Bedeutung vollständig eingebüßt haben. Die Idee, an die er alles gesetzt, hatte für einen Alexander von Mazedonien, für die römischen Imperatoren und noch für das frühere Mittelalter ihre volle Berechtigung; für diese frühen Zeiten menschlicher Kultur war sie das Höchste, bedeutete ihre Inangriffnahme den Aufstieg der Menschheit, die staat¬ liche Fortbildung. Am Beginn des neunzehnten Jahrhunderts dagegen war sie ein schwerer Fehler; die Durchführung eines solchen Planes, so gewaltig er auch auf den ersten Blick scheinen mag, mußte sehr schnell scheitern, denn die Entwicklung war schon seit Jahrhunderten darüber hinweggeschritten. Nicht mehr auf Welteroberung gingen die Staaten aus, sondern sie verfolgten nur die Tendenz, sich möglichst so stark zu machen, daß sie sich gegenüber dem Angriff eines andern Staates behaupten konnten. Die Staaten konnten es gar nicht mehr unternehmen, den Gegner oder die Gegner alle absolut zu ver¬ drängen, was der Kaiser oder der Papst noch erstrebt hatten; sie wollten lediglich dahin gelangen, dem feindlich gesinnten Staate, der stets eine Schranke sür sie bildete, das Gleichgewicht halten zu können: das Gleichgewichtssystem ist es, wonach in der ganzen Periode nach der Durchbildung der souveränen Staaten getrachtet wird. Daß Napoleon das nicht erkannte, das hat ihm trotz höchsten Wollens den Weg zu dauerndem Erfolg versperrt. So verpuffte die zähe Kraft des gewaltigen Korsen nutzlos; einer von jenen Großen, die die Menschheit in eine bessere Zukunft geleiten, ist er nicht geworden. Was der Graf S6gur mit Bezug auf die Eroberung von Moskau ausführt, nämlich: „Diese Eroberung, für die er alles daran gesetzt, sie ist ein Phantom, das er verfolgt hat, das er schon zu fassen glaubte, und das in die Lüfte ging, in Rauch und Flammen" — es gilt, mutatis mutanäis, von seinem Gesamtplan, der Weltherrschaft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/602>, abgerufen am 27.07.2024.