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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Ver Zusammenbruch der Herrschaft Napoleons des Ersten

den Lebensnerv abzuschneiden. Nur deshalb richtete sich sein steter Angriff gegen
England, weil es die Macht war, die sich ihm bei seinem Vordringen auf das
gestellte Ziel ungebeugt entgegenstemmte, die er darum zu zerschmettern suchen mußte.

Napoleon der Erste gibt uns, wie Goethe -- der ihn einst so sehr be¬
wunderte, ihn geradezu für unbesiegbar erklärte -- nach jenes Sturz gelegent¬
lich äußerte, ein Beispiel, wie gefährlich es ist, sich ins Absolute zu erheben
und alles der Ausführung einer Idee zu opfern. Diese Idee ist nichts Ge¬
ringeres als die Eroberung der Welt: das geht aus Napoleons eigenen
Äußerungen mit voller Deutlichkeit hervor.

"Um bloß Frankreich zu regieren," sagte er 1815 zu Benjamin Konstant,
"mag eine Konstitution vielleicht besser sein. Ich strebe nach der Weltherrschaft."
Dazu stimmt, daß er nach seiner eigenen Meinung nicht ein Washington werden
konnte, -- was man von ihm erwartet hatte, als er die oberste Leitung der
Angelegenheiten Frankreichs erhielt; "denn," erklärt er, "was mich betrifft,
konnte ich nur ein gekrönter Washington werden. Nur in einem Kongreß von
Königen, inmitten nachgebender oder bezwungener Könige konnte ich das sein.
Dann, und zwar dann allein, hätte ich Washingtons Mäßigung, Uneigen-
nützigkeit und Weisheit nachahmen können. Dies war ich vernünftigerweise
nur durch eine Universaldiktatur zu erreichen imstande." Und über die Vor¬
gänge, die zu seiner Niederlage bei Leipzig führten, bemerkt er ausdrücklich:
"In Dresden konnte ich nicht Frieden schließen. Die Verbündeten verfuhren
nicht aufrichtig. Hätte übrigens jeder der Generale bei Erneuerung der Feind¬
seligkeiten seine Schuldigkeit getan, so wäre ich noch heute der Herr der Welt."

Die Welt will er unterwerfen: das ist sein Leitgedanke. Dem sollten die
Erneuerung der karolingischen Kaiserwürde und die Krönung zum König von
Italien dienen; die geplante Niederzwingung Englands wie die Rußlands
sollten Etappen auf seinem Wege sein, ganz wie die Unterwerfung der deutschen
Staaten auch eine gewesen war. Unter demselben Gesichtspunkt betrachtet wird
auch die scheinbar so seltsame ägyptische Expedition sofort verständlich -- ein
Plan, den übrigens schon Leibniz dem vierzehnten Ludwig zur Durchführung
anempfohlen hatte, um Indien zu unterwerfen, und den England heute in der
Hauptsache verwirklicht hat, um Indien zu sichern.

Hell lodert in Napoleon dem Ersten noch einmal der Weltstaatsgedanke,
der Plan der Welteroberung auf, in seiner ganzen romantischen Pracht. I^Iuöig
verbis hat er es selber ausgesprochen, da er am Riemen stand, bei seinem
Zuge gegen Rußland: "Wie dem auch sei, dieser weite Weg ist der Weg nach
Indien; Alexander hatte einen ebenso langen Marsch, um den Ganges zu er¬
reichen, als ich von Moskau nach Indien hätte. Stets bei der Belagerung von
Acre habe ich daran denken müssen. Wären nicht die englischen Seeräuber und
die französischen Emigranten, die der türkischen Artillerie Schießunterricht gaben,
wäre nicht mit ihnen im Bunde die Pest gewesen, ich hätte nie die Belagerung
von Acre aufgehoben -- ich hätte Asien zur Hälfte erobert und mich alsdann


Ver Zusammenbruch der Herrschaft Napoleons des Ersten

den Lebensnerv abzuschneiden. Nur deshalb richtete sich sein steter Angriff gegen
England, weil es die Macht war, die sich ihm bei seinem Vordringen auf das
gestellte Ziel ungebeugt entgegenstemmte, die er darum zu zerschmettern suchen mußte.

Napoleon der Erste gibt uns, wie Goethe — der ihn einst so sehr be¬
wunderte, ihn geradezu für unbesiegbar erklärte — nach jenes Sturz gelegent¬
lich äußerte, ein Beispiel, wie gefährlich es ist, sich ins Absolute zu erheben
und alles der Ausführung einer Idee zu opfern. Diese Idee ist nichts Ge¬
ringeres als die Eroberung der Welt: das geht aus Napoleons eigenen
Äußerungen mit voller Deutlichkeit hervor.

„Um bloß Frankreich zu regieren," sagte er 1815 zu Benjamin Konstant,
„mag eine Konstitution vielleicht besser sein. Ich strebe nach der Weltherrschaft."
Dazu stimmt, daß er nach seiner eigenen Meinung nicht ein Washington werden
konnte, — was man von ihm erwartet hatte, als er die oberste Leitung der
Angelegenheiten Frankreichs erhielt; „denn," erklärt er, „was mich betrifft,
konnte ich nur ein gekrönter Washington werden. Nur in einem Kongreß von
Königen, inmitten nachgebender oder bezwungener Könige konnte ich das sein.
Dann, und zwar dann allein, hätte ich Washingtons Mäßigung, Uneigen-
nützigkeit und Weisheit nachahmen können. Dies war ich vernünftigerweise
nur durch eine Universaldiktatur zu erreichen imstande." Und über die Vor¬
gänge, die zu seiner Niederlage bei Leipzig führten, bemerkt er ausdrücklich:
„In Dresden konnte ich nicht Frieden schließen. Die Verbündeten verfuhren
nicht aufrichtig. Hätte übrigens jeder der Generale bei Erneuerung der Feind¬
seligkeiten seine Schuldigkeit getan, so wäre ich noch heute der Herr der Welt."

Die Welt will er unterwerfen: das ist sein Leitgedanke. Dem sollten die
Erneuerung der karolingischen Kaiserwürde und die Krönung zum König von
Italien dienen; die geplante Niederzwingung Englands wie die Rußlands
sollten Etappen auf seinem Wege sein, ganz wie die Unterwerfung der deutschen
Staaten auch eine gewesen war. Unter demselben Gesichtspunkt betrachtet wird
auch die scheinbar so seltsame ägyptische Expedition sofort verständlich — ein
Plan, den übrigens schon Leibniz dem vierzehnten Ludwig zur Durchführung
anempfohlen hatte, um Indien zu unterwerfen, und den England heute in der
Hauptsache verwirklicht hat, um Indien zu sichern.

Hell lodert in Napoleon dem Ersten noch einmal der Weltstaatsgedanke,
der Plan der Welteroberung auf, in seiner ganzen romantischen Pracht. I^Iuöig
verbis hat er es selber ausgesprochen, da er am Riemen stand, bei seinem
Zuge gegen Rußland: „Wie dem auch sei, dieser weite Weg ist der Weg nach
Indien; Alexander hatte einen ebenso langen Marsch, um den Ganges zu er¬
reichen, als ich von Moskau nach Indien hätte. Stets bei der Belagerung von
Acre habe ich daran denken müssen. Wären nicht die englischen Seeräuber und
die französischen Emigranten, die der türkischen Artillerie Schießunterricht gaben,
wäre nicht mit ihnen im Bunde die Pest gewesen, ich hätte nie die Belagerung
von Acre aufgehoben — ich hätte Asien zur Hälfte erobert und mich alsdann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/600>, abgerufen am 28.07.2024.