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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

"Das ist der Sternburger Iuhann!" sagte jetzt einer, und der Lärm legte
sich. Dann hörte man des alten Wenkendorffs Stimme:

"Laßt eure dummen Späße, Männer! Das hat keinen Wert! Geht nach
Hause und schlaft euch aus!"

Nur ein verlegenes Gemurmel war jetzt noch zu hören, und die Leute
traten zögernd zur Seite. Der Rosenhofer Kutscher benutzte den Moment,
sprang auf den Bock und schlug auf seine Pferde ein, daß sie in die Hinter¬
beine knickten und dann scharf anzogen.

Das rechte Fenster der Kutsche wurde dabei vorsichtig heruntergelassen und
für eine Sekunde zeigte sich Wollys ängstliches Gesicht, um eben so rasch wieder
zu verschwinden.

Edles bedeutete den Diener gelassen, daß er Zentas Kandare fester schnallen
sollte und blickte kühl und furchtlos von ihrem hohen Sitz auf den Männer¬
haufen herab. Sie hörte deutlich die Hetzworte, die im Hintergrunde fielen:

"Ob Sternburg oder Rosenhof -- Ausbeuter sind sie alle! Nieder mit
den Deutschen!"

"Halts Maul!" sagte ein anderer. "Der Alte ist ein guter Bär. Er
knausert nicht!"

Es flogen sogar ein paar Mützen von den Köpfen, als sich das Dogkart
in Bewegung setzte. Hinter ihnen her aber schallten Flüche, und ein Stein
fiel vor ihnen nieder, daß die Pferde scheu zur Seite sprangen.

Ein Lied wurde angestimmt, das riß mit seinem Rhythmus die Männer
fort, schwoll brausend an, wurde vom Wind aufgenommen und ins Land ge¬
tragen. Noch lange vernahmen die Sternburger die Weise, und Edles empfand
erschauernd die wilde Romantik, in der das schlimme Abenteuer ausklang.

Der Vater aber sagte: "Es ist wie die Pest, das Lied! Alle Länder steckt
es an, und man kann ihm den Eintritt nicht wehren. Wer es singt, dem
nimmt es jede Vernunft!"

Er versank in Schweigen, und auch Edles sprach nicht mehr, bis der
Wagen im Hof von Sternburg einfuhr.

"Gott sei Dank! Ich habe mich auf unseren alten Kasten selten so gefreut
wie heute. Gebe ihn für die ganze Borküller Pracht nicht her!"

Herr von Wenkendorff gähnte wohlig: "Ich gehe schlafen, ihr Mädchen!
Schwatzt nicht zu lange. Wenn Sandberg morgen kommt, schickt ihn mir
gleich!"

Die alten Dielen ächzten unter seinem schweren Tritt, als er sein im Erd¬
geschoß belegenes Schlafzimmer aufsuchte.

(Fortsetzung folgt)




Sturm

„Das ist der Sternburger Iuhann!" sagte jetzt einer, und der Lärm legte
sich. Dann hörte man des alten Wenkendorffs Stimme:

„Laßt eure dummen Späße, Männer! Das hat keinen Wert! Geht nach
Hause und schlaft euch aus!"

Nur ein verlegenes Gemurmel war jetzt noch zu hören, und die Leute
traten zögernd zur Seite. Der Rosenhofer Kutscher benutzte den Moment,
sprang auf den Bock und schlug auf seine Pferde ein, daß sie in die Hinter¬
beine knickten und dann scharf anzogen.

Das rechte Fenster der Kutsche wurde dabei vorsichtig heruntergelassen und
für eine Sekunde zeigte sich Wollys ängstliches Gesicht, um eben so rasch wieder
zu verschwinden.

Edles bedeutete den Diener gelassen, daß er Zentas Kandare fester schnallen
sollte und blickte kühl und furchtlos von ihrem hohen Sitz auf den Männer¬
haufen herab. Sie hörte deutlich die Hetzworte, die im Hintergrunde fielen:

„Ob Sternburg oder Rosenhof — Ausbeuter sind sie alle! Nieder mit
den Deutschen!"

„Halts Maul!" sagte ein anderer. „Der Alte ist ein guter Bär. Er
knausert nicht!"

Es flogen sogar ein paar Mützen von den Köpfen, als sich das Dogkart
in Bewegung setzte. Hinter ihnen her aber schallten Flüche, und ein Stein
fiel vor ihnen nieder, daß die Pferde scheu zur Seite sprangen.

Ein Lied wurde angestimmt, das riß mit seinem Rhythmus die Männer
fort, schwoll brausend an, wurde vom Wind aufgenommen und ins Land ge¬
tragen. Noch lange vernahmen die Sternburger die Weise, und Edles empfand
erschauernd die wilde Romantik, in der das schlimme Abenteuer ausklang.

Der Vater aber sagte: „Es ist wie die Pest, das Lied! Alle Länder steckt
es an, und man kann ihm den Eintritt nicht wehren. Wer es singt, dem
nimmt es jede Vernunft!"

Er versank in Schweigen, und auch Edles sprach nicht mehr, bis der
Wagen im Hof von Sternburg einfuhr.

„Gott sei Dank! Ich habe mich auf unseren alten Kasten selten so gefreut
wie heute. Gebe ihn für die ganze Borküller Pracht nicht her!"

Herr von Wenkendorff gähnte wohlig: „Ich gehe schlafen, ihr Mädchen!
Schwatzt nicht zu lange. Wenn Sandberg morgen kommt, schickt ihn mir
gleich!"

Die alten Dielen ächzten unter seinem schweren Tritt, als er sein im Erd¬
geschoß belegenes Schlafzimmer aufsuchte.

(Fortsetzung folgt)




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[0542] Sturm „Das ist der Sternburger Iuhann!" sagte jetzt einer, und der Lärm legte sich. Dann hörte man des alten Wenkendorffs Stimme: „Laßt eure dummen Späße, Männer! Das hat keinen Wert! Geht nach Hause und schlaft euch aus!" Nur ein verlegenes Gemurmel war jetzt noch zu hören, und die Leute traten zögernd zur Seite. Der Rosenhofer Kutscher benutzte den Moment, sprang auf den Bock und schlug auf seine Pferde ein, daß sie in die Hinter¬ beine knickten und dann scharf anzogen. Das rechte Fenster der Kutsche wurde dabei vorsichtig heruntergelassen und für eine Sekunde zeigte sich Wollys ängstliches Gesicht, um eben so rasch wieder zu verschwinden. Edles bedeutete den Diener gelassen, daß er Zentas Kandare fester schnallen sollte und blickte kühl und furchtlos von ihrem hohen Sitz auf den Männer¬ haufen herab. Sie hörte deutlich die Hetzworte, die im Hintergrunde fielen: „Ob Sternburg oder Rosenhof — Ausbeuter sind sie alle! Nieder mit den Deutschen!" „Halts Maul!" sagte ein anderer. „Der Alte ist ein guter Bär. Er knausert nicht!" Es flogen sogar ein paar Mützen von den Köpfen, als sich das Dogkart in Bewegung setzte. Hinter ihnen her aber schallten Flüche, und ein Stein fiel vor ihnen nieder, daß die Pferde scheu zur Seite sprangen. Ein Lied wurde angestimmt, das riß mit seinem Rhythmus die Männer fort, schwoll brausend an, wurde vom Wind aufgenommen und ins Land ge¬ tragen. Noch lange vernahmen die Sternburger die Weise, und Edles empfand erschauernd die wilde Romantik, in der das schlimme Abenteuer ausklang. Der Vater aber sagte: „Es ist wie die Pest, das Lied! Alle Länder steckt es an, und man kann ihm den Eintritt nicht wehren. Wer es singt, dem nimmt es jede Vernunft!" Er versank in Schweigen, und auch Edles sprach nicht mehr, bis der Wagen im Hof von Sternburg einfuhr. „Gott sei Dank! Ich habe mich auf unseren alten Kasten selten so gefreut wie heute. Gebe ihn für die ganze Borküller Pracht nicht her!" Herr von Wenkendorff gähnte wohlig: „Ich gehe schlafen, ihr Mädchen! Schwatzt nicht zu lange. Wenn Sandberg morgen kommt, schickt ihn mir gleich!" Die alten Dielen ächzten unter seinem schweren Tritt, als er sein im Erd¬ geschoß belegenes Schlafzimmer aufsuchte. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/542>, abgerufen am 27.07.2024.