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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

Dreß schlanke, geschmeidige Engländerinnen mit ihren Herren. In den Gärten
vor dem Kasino saßen auf schattigen Bänken alte Damen bei Lektüre und
Handarbeit. Aufgeputzte Kinder in Wadenstrümpfen und kurzen Spitzenkleidchen
wurden von ihren Bonnen spazieren geführt. Vom Strand her aber knallten
Schüsse: "I^e dir aux pi^ec)N8" war im vollen Gange. Die Hände, die am
Abend in der Leidenschaft des Spiels zitterten, sollen bei diesem barbarischen
Sport wieder zur ruhigen Sicherheit trainiert werden.

Paul von der Borke beugte sich weit über die Brüstung der unteren
Terrasse, um die Schützen zu erspähen. Aber er sah nur ein paar flatternde
Tauben getroffen auf den grünen Rasen fallen. Das war das echte Monte
Carlo!

Im Cas6 de Paris nahm er an einem kleinen Tisch in einer Ecke Platz,
von der aus er den ganzen Raum übersehen konnte. So entwickelte sich vor
ihm das lebensvolle Bild, zu dem sich in dem prächtigen Restaurant die ele¬
gante Welt aus allen Erdteilen zusammenfindet.

Vergeblich suchte sein Auge nach der markanten Erscheinung des Vaters.
Es kamen viele alte Herren, aber Alexander von der Borke war nicht unter
ihnen.

Da hörte er plötzlich in seiner nächsten Nähe die wohlbekannte, etwas
nasale Stimme. Den Rücken ihm zugewandt, saß der Baron am Nachbartisch
mitten in einer heiteren Gesellschaft.

Paul wurde von einer jähen Verlegenheit ergriffen. War das wirklich
sein Vater? Die etwas müde, aber immerhin vornehme Erscheinung des be¬
jahrten Landedelmannes, als die er den Vater von seinem letzten unvermuteten
Besuch im Laboratorium her noch in Erinnerung hatte, glich wenig dem über¬
eleganten, durch kosmetische Mittel allzu gewaltsam verjüngten Flaneur, den er
drüben gewahrte.

Um nicht eine unfreiwillige Lauscherrolle zu spielen, wäre Paul am liebsten
aufgebrochen. Aber bei der Enge des Raumes wäre er genötigt gewesen,
dicht an der Gesellschaft vorüberzugehen. So verschloß er seine Ohren so gut
er konnte und überließ sich wieder seinen mißmutigen Gedanken.

In sie hinein tönte wiederholt das laute Gespräch der Gäste am Neben¬
tisch. Widerwillig hörte er, daß ein hoher Gewinn des Barons vom Abend
vorher die Gesellschaft zu diesem fideler Lunch zusammengeführt hatte.

In Ausdrücken neidischer Bewunderung priesen die Damen die Freigebig¬
keit des alten Herrn, der die neben ihm sitzende kecke Blondine ein kostbares
Diamantenkollier verdankte.

Jetzt rauschte eine stattliche Schönheit heran und sah sich suchend in dem
bereits voll besetzten Restaurant um. Sie steuerte schließlich aus die Ecke los,
in der Paul saß. um mit vertraulichem Lächeln an seinem Tisch Platz zu
nehmen.


Sturm

Dreß schlanke, geschmeidige Engländerinnen mit ihren Herren. In den Gärten
vor dem Kasino saßen auf schattigen Bänken alte Damen bei Lektüre und
Handarbeit. Aufgeputzte Kinder in Wadenstrümpfen und kurzen Spitzenkleidchen
wurden von ihren Bonnen spazieren geführt. Vom Strand her aber knallten
Schüsse: „I^e dir aux pi^ec)N8" war im vollen Gange. Die Hände, die am
Abend in der Leidenschaft des Spiels zitterten, sollen bei diesem barbarischen
Sport wieder zur ruhigen Sicherheit trainiert werden.

Paul von der Borke beugte sich weit über die Brüstung der unteren
Terrasse, um die Schützen zu erspähen. Aber er sah nur ein paar flatternde
Tauben getroffen auf den grünen Rasen fallen. Das war das echte Monte
Carlo!

Im Cas6 de Paris nahm er an einem kleinen Tisch in einer Ecke Platz,
von der aus er den ganzen Raum übersehen konnte. So entwickelte sich vor
ihm das lebensvolle Bild, zu dem sich in dem prächtigen Restaurant die ele¬
gante Welt aus allen Erdteilen zusammenfindet.

Vergeblich suchte sein Auge nach der markanten Erscheinung des Vaters.
Es kamen viele alte Herren, aber Alexander von der Borke war nicht unter
ihnen.

Da hörte er plötzlich in seiner nächsten Nähe die wohlbekannte, etwas
nasale Stimme. Den Rücken ihm zugewandt, saß der Baron am Nachbartisch
mitten in einer heiteren Gesellschaft.

Paul wurde von einer jähen Verlegenheit ergriffen. War das wirklich
sein Vater? Die etwas müde, aber immerhin vornehme Erscheinung des be¬
jahrten Landedelmannes, als die er den Vater von seinem letzten unvermuteten
Besuch im Laboratorium her noch in Erinnerung hatte, glich wenig dem über¬
eleganten, durch kosmetische Mittel allzu gewaltsam verjüngten Flaneur, den er
drüben gewahrte.

Um nicht eine unfreiwillige Lauscherrolle zu spielen, wäre Paul am liebsten
aufgebrochen. Aber bei der Enge des Raumes wäre er genötigt gewesen,
dicht an der Gesellschaft vorüberzugehen. So verschloß er seine Ohren so gut
er konnte und überließ sich wieder seinen mißmutigen Gedanken.

In sie hinein tönte wiederholt das laute Gespräch der Gäste am Neben¬
tisch. Widerwillig hörte er, daß ein hoher Gewinn des Barons vom Abend
vorher die Gesellschaft zu diesem fideler Lunch zusammengeführt hatte.

In Ausdrücken neidischer Bewunderung priesen die Damen die Freigebig¬
keit des alten Herrn, der die neben ihm sitzende kecke Blondine ein kostbares
Diamantenkollier verdankte.

Jetzt rauschte eine stattliche Schönheit heran und sah sich suchend in dem
bereits voll besetzten Restaurant um. Sie steuerte schließlich aus die Ecke los,
in der Paul saß. um mit vertraulichem Lächeln an seinem Tisch Platz zu
nehmen.


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[0539] Sturm Dreß schlanke, geschmeidige Engländerinnen mit ihren Herren. In den Gärten vor dem Kasino saßen auf schattigen Bänken alte Damen bei Lektüre und Handarbeit. Aufgeputzte Kinder in Wadenstrümpfen und kurzen Spitzenkleidchen wurden von ihren Bonnen spazieren geführt. Vom Strand her aber knallten Schüsse: „I^e dir aux pi^ec)N8" war im vollen Gange. Die Hände, die am Abend in der Leidenschaft des Spiels zitterten, sollen bei diesem barbarischen Sport wieder zur ruhigen Sicherheit trainiert werden. Paul von der Borke beugte sich weit über die Brüstung der unteren Terrasse, um die Schützen zu erspähen. Aber er sah nur ein paar flatternde Tauben getroffen auf den grünen Rasen fallen. Das war das echte Monte Carlo! Im Cas6 de Paris nahm er an einem kleinen Tisch in einer Ecke Platz, von der aus er den ganzen Raum übersehen konnte. So entwickelte sich vor ihm das lebensvolle Bild, zu dem sich in dem prächtigen Restaurant die ele¬ gante Welt aus allen Erdteilen zusammenfindet. Vergeblich suchte sein Auge nach der markanten Erscheinung des Vaters. Es kamen viele alte Herren, aber Alexander von der Borke war nicht unter ihnen. Da hörte er plötzlich in seiner nächsten Nähe die wohlbekannte, etwas nasale Stimme. Den Rücken ihm zugewandt, saß der Baron am Nachbartisch mitten in einer heiteren Gesellschaft. Paul wurde von einer jähen Verlegenheit ergriffen. War das wirklich sein Vater? Die etwas müde, aber immerhin vornehme Erscheinung des be¬ jahrten Landedelmannes, als die er den Vater von seinem letzten unvermuteten Besuch im Laboratorium her noch in Erinnerung hatte, glich wenig dem über¬ eleganten, durch kosmetische Mittel allzu gewaltsam verjüngten Flaneur, den er drüben gewahrte. Um nicht eine unfreiwillige Lauscherrolle zu spielen, wäre Paul am liebsten aufgebrochen. Aber bei der Enge des Raumes wäre er genötigt gewesen, dicht an der Gesellschaft vorüberzugehen. So verschloß er seine Ohren so gut er konnte und überließ sich wieder seinen mißmutigen Gedanken. In sie hinein tönte wiederholt das laute Gespräch der Gäste am Neben¬ tisch. Widerwillig hörte er, daß ein hoher Gewinn des Barons vom Abend vorher die Gesellschaft zu diesem fideler Lunch zusammengeführt hatte. In Ausdrücken neidischer Bewunderung priesen die Damen die Freigebig¬ keit des alten Herrn, der die neben ihm sitzende kecke Blondine ein kostbares Diamantenkollier verdankte. Jetzt rauschte eine stattliche Schönheit heran und sah sich suchend in dem bereits voll besetzten Restaurant um. Sie steuerte schließlich aus die Ecke los, in der Paul saß. um mit vertraulichem Lächeln an seinem Tisch Platz zu nehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/539>, abgerufen am 28.07.2024.