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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die irische Renaissance und George Moore

Jrla"d verraten. Im fünften Jahrhundert verfluchte ein rönnscher Erzbischof
Tara. Im elften lud ein römischer Bischof Heinrich den Zweiten ein, Irland
zu besetzen. Im achtzehnten Jahrhundert erklärten sich irische Bischöfe bereit,
ihr Gehalt von England anzunehmen. Im neunzehnten Jahrhundert, als Irland
siegreich auf der Schwelle der Freiheit stand, stürzte eine Phalanx von Priestern,
Schulter an Schulter, Parnell. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts
ließen Maynooth und der römischkatholische Erzbischof die Parlamentspartei im
Stich -- der eine in der Hoffnung, eine katholische Universität durchzusetzen,
der andere um einen Kardinalshut. Diese Verräterei darf uns nicht überraschen.
In jedem Lande ist Rom antinational gewesen. Rom fragt nach keinem Vater¬
land, nicht einmal in Italien. Sein Ziel sucht nach einer weiterspannenden
Gemeinschaft als die Nationalität es ist. und je und je hat ihm ein englischer
Herzog mehr gegolten, als die ganze Provinz Connaught."

Die Bitterkeit dieses Hasses hat sich bei Moore kaum gemildert, aber das
Buch ,.8alve" legt die psychologischen Übergänge klar. Es zeigt den Dichter
im Widerstreit mit seinem an der Kirche festhaltenden Bruder und mit seinen
ebenso gesinnten Freunden, die Moores offenen Bruch mit der katholischen
Religion sehr schmerzlich empfunden haben. Es ist begreiflich, daß dieser Zwie¬
spalt die Trennung Moores von Irland beschleunigt hat. Eine warme, dank¬
bare Würdigung der künstlerischen Werte, die der Dichter im Verkehr mit den
Mischen Freunden empfing, geht Hand in Hand mit der Verurteilung des
Katholizismus, den er den kulturfeindlichen Mächten einordnet. Anderseits verbot
ihm sein stark entwickelter Wirklichkeitssinn, sich der ebenfalls antikatholischen,
zur Mystik neigenden Strömung anzuschließen. ^ lZ. ist ihm der innig ver¬
ehrte Freund, der ihn "fühlen läßt, daß das Jenseits nicht finster, sondern voll
weichen Dämmerlichtes ist und daß eine unsichtbare Hand einen Schicksalsfaden
durch das einförmige Gewirk des Lebens webt"; für seine Visionen aber hat
der Skeptiker nur ein Lächeln.

Eigentümlich fesselnd entrollt sich so in ungewöhnlicher Beleuchtung das
ungewöhnliche Bild der Mischen Renaissance. Und vielleicht spricht die Tat¬
sache, daß diese Bewegung ein so wesensfremdes Element wie Moore in ehre
Kreise zu ziehen vermochte, am deutlichsten für die in ihr ruhende Kraft
eine Kraft, die in ferner Zukunft ihre belebenden Ströme wohl auch nach außen
und vielleicht gar ins feindliche Lager der englischen Literatur entsenden kann.




Die irische Renaissance und George Moore

Jrla"d verraten. Im fünften Jahrhundert verfluchte ein rönnscher Erzbischof
Tara. Im elften lud ein römischer Bischof Heinrich den Zweiten ein, Irland
zu besetzen. Im achtzehnten Jahrhundert erklärten sich irische Bischöfe bereit,
ihr Gehalt von England anzunehmen. Im neunzehnten Jahrhundert, als Irland
siegreich auf der Schwelle der Freiheit stand, stürzte eine Phalanx von Priestern,
Schulter an Schulter, Parnell. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts
ließen Maynooth und der römischkatholische Erzbischof die Parlamentspartei im
Stich — der eine in der Hoffnung, eine katholische Universität durchzusetzen,
der andere um einen Kardinalshut. Diese Verräterei darf uns nicht überraschen.
In jedem Lande ist Rom antinational gewesen. Rom fragt nach keinem Vater¬
land, nicht einmal in Italien. Sein Ziel sucht nach einer weiterspannenden
Gemeinschaft als die Nationalität es ist. und je und je hat ihm ein englischer
Herzog mehr gegolten, als die ganze Provinz Connaught."

Die Bitterkeit dieses Hasses hat sich bei Moore kaum gemildert, aber das
Buch ,.8alve" legt die psychologischen Übergänge klar. Es zeigt den Dichter
im Widerstreit mit seinem an der Kirche festhaltenden Bruder und mit seinen
ebenso gesinnten Freunden, die Moores offenen Bruch mit der katholischen
Religion sehr schmerzlich empfunden haben. Es ist begreiflich, daß dieser Zwie¬
spalt die Trennung Moores von Irland beschleunigt hat. Eine warme, dank¬
bare Würdigung der künstlerischen Werte, die der Dichter im Verkehr mit den
Mischen Freunden empfing, geht Hand in Hand mit der Verurteilung des
Katholizismus, den er den kulturfeindlichen Mächten einordnet. Anderseits verbot
ihm sein stark entwickelter Wirklichkeitssinn, sich der ebenfalls antikatholischen,
zur Mystik neigenden Strömung anzuschließen. ^ lZ. ist ihm der innig ver¬
ehrte Freund, der ihn „fühlen läßt, daß das Jenseits nicht finster, sondern voll
weichen Dämmerlichtes ist und daß eine unsichtbare Hand einen Schicksalsfaden
durch das einförmige Gewirk des Lebens webt"; für seine Visionen aber hat
der Skeptiker nur ein Lächeln.

Eigentümlich fesselnd entrollt sich so in ungewöhnlicher Beleuchtung das
ungewöhnliche Bild der Mischen Renaissance. Und vielleicht spricht die Tat¬
sache, daß diese Bewegung ein so wesensfremdes Element wie Moore in ehre
Kreise zu ziehen vermochte, am deutlichsten für die in ihr ruhende Kraft
eine Kraft, die in ferner Zukunft ihre belebenden Ströme wohl auch nach außen
und vielleicht gar ins feindliche Lager der englischen Literatur entsenden kann.




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[0051] Die irische Renaissance und George Moore Jrla"d verraten. Im fünften Jahrhundert verfluchte ein rönnscher Erzbischof Tara. Im elften lud ein römischer Bischof Heinrich den Zweiten ein, Irland zu besetzen. Im achtzehnten Jahrhundert erklärten sich irische Bischöfe bereit, ihr Gehalt von England anzunehmen. Im neunzehnten Jahrhundert, als Irland siegreich auf der Schwelle der Freiheit stand, stürzte eine Phalanx von Priestern, Schulter an Schulter, Parnell. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ließen Maynooth und der römischkatholische Erzbischof die Parlamentspartei im Stich — der eine in der Hoffnung, eine katholische Universität durchzusetzen, der andere um einen Kardinalshut. Diese Verräterei darf uns nicht überraschen. In jedem Lande ist Rom antinational gewesen. Rom fragt nach keinem Vater¬ land, nicht einmal in Italien. Sein Ziel sucht nach einer weiterspannenden Gemeinschaft als die Nationalität es ist. und je und je hat ihm ein englischer Herzog mehr gegolten, als die ganze Provinz Connaught." Die Bitterkeit dieses Hasses hat sich bei Moore kaum gemildert, aber das Buch ,.8alve" legt die psychologischen Übergänge klar. Es zeigt den Dichter im Widerstreit mit seinem an der Kirche festhaltenden Bruder und mit seinen ebenso gesinnten Freunden, die Moores offenen Bruch mit der katholischen Religion sehr schmerzlich empfunden haben. Es ist begreiflich, daß dieser Zwie¬ spalt die Trennung Moores von Irland beschleunigt hat. Eine warme, dank¬ bare Würdigung der künstlerischen Werte, die der Dichter im Verkehr mit den Mischen Freunden empfing, geht Hand in Hand mit der Verurteilung des Katholizismus, den er den kulturfeindlichen Mächten einordnet. Anderseits verbot ihm sein stark entwickelter Wirklichkeitssinn, sich der ebenfalls antikatholischen, zur Mystik neigenden Strömung anzuschließen. ^ lZ. ist ihm der innig ver¬ ehrte Freund, der ihn „fühlen läßt, daß das Jenseits nicht finster, sondern voll weichen Dämmerlichtes ist und daß eine unsichtbare Hand einen Schicksalsfaden durch das einförmige Gewirk des Lebens webt"; für seine Visionen aber hat der Skeptiker nur ein Lächeln. Eigentümlich fesselnd entrollt sich so in ungewöhnlicher Beleuchtung das ungewöhnliche Bild der Mischen Renaissance. Und vielleicht spricht die Tat¬ sache, daß diese Bewegung ein so wesensfremdes Element wie Moore in ehre Kreise zu ziehen vermochte, am deutlichsten für die in ihr ruhende Kraft eine Kraft, die in ferner Zukunft ihre belebenden Ströme wohl auch nach außen und vielleicht gar ins feindliche Lager der englischen Literatur entsenden kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/51>, abgerufen am 27.07.2024.