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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Mit dem Kaiser auf Reisen

der sie sich jetzt, als sie die Regierung ernst machen sah. entschloß, und --
was noch weit wichtiger ist -- hätten die Parteien auch für sich selbst ehrlich
die Konsequenzen einer solchen Absage gezogen, dann wären die Anträge der
Regierung nicht nur überflüssig, sondern direkt ein Fehler gewesen. Statt dessen
hat man sich jetzt zwar in eine gewaltige Entrüstung über die Regierung hinein¬
geredet, aber weder dem elsaß-lothringischen Zentrum, noch der elsässischen Fort¬
schrittspartei, noch der Lothringer Partei wird es einfallen, auch nur einen
nationalistischen Abgeordneten von sich abzuschütteln und irgendeinem nationalistischen
Verein oder nationalistischen Blatt, wofern sie nicht parteipolitisch zur Gegen¬
seite gehören, den Kampf anzusagen.

Wenn der Reichstag sich bei der Besprechung der Jnterpellation über die
elsaß-lothringischen Anträge an diese Tatsachen gehalten hätte, dann wäre dem
deutschen Volke doch wohl das betrübende Schauspiel erspart worden, daß der
weitaus größte Teil der Volksvertretung sich von der scheinbar so einmütiger
Entrüstung der elsaß-lothringischen Parteien und des elsaß-lothringischen Par¬
laments über die Nationalisten irreführen ließ. Hoffentlich verfällt wenigstens
der Bundesrat nicht in denselben Fehler, denn sonst hätte nicht nur die elsa߬
lothringische Regierung, sondern die ganze deutsche Reichspolitik gegenüber dem
Nationalismus eine kaum wieder gut zu machende Niederlage erlitten.




Mit dem Aaiser auf Reisen
Nach Briefen und Tagebuchblättern von Teilnehmern erzählt
George Lleinow von
(LopyriM 1913 by Verlag der Grenzboten G. in. b. H. Berlin)
1. Präludien.

u den ersten Regierungshandlungen, die Kaiser Wilhelm der
Zweite im Jahre 1888 vornahm, gehören die Besuchsreisen bei
den Höfen befreundeter Mächte. Am 15. Juni hatte der neun-
undzwanzigjährige Monarch den Thron bestiegen und schon einen
Monat später zog er an der Spitze eines ansehnlichen Geschwaders
nach Nordosten, den Zarischen Oheim zu begrüßen. Gleich daran schlossen sich
die Besuche in Stockholm und Kopenhagen, während Wien und Italien erst im
Herbst aufgesucht wurden. Welche politisch-sachlichen Gründe und Erwägungen
den Kaiser seinerzeit veranlaßt haben, die erwähnten Besuche gar so bald nach
der Thronbesteigung und auch in der angegebenen Reihenfolge zu unternehmen,^'LZ


Mit dem Kaiser auf Reisen

der sie sich jetzt, als sie die Regierung ernst machen sah. entschloß, und —
was noch weit wichtiger ist — hätten die Parteien auch für sich selbst ehrlich
die Konsequenzen einer solchen Absage gezogen, dann wären die Anträge der
Regierung nicht nur überflüssig, sondern direkt ein Fehler gewesen. Statt dessen
hat man sich jetzt zwar in eine gewaltige Entrüstung über die Regierung hinein¬
geredet, aber weder dem elsaß-lothringischen Zentrum, noch der elsässischen Fort¬
schrittspartei, noch der Lothringer Partei wird es einfallen, auch nur einen
nationalistischen Abgeordneten von sich abzuschütteln und irgendeinem nationalistischen
Verein oder nationalistischen Blatt, wofern sie nicht parteipolitisch zur Gegen¬
seite gehören, den Kampf anzusagen.

Wenn der Reichstag sich bei der Besprechung der Jnterpellation über die
elsaß-lothringischen Anträge an diese Tatsachen gehalten hätte, dann wäre dem
deutschen Volke doch wohl das betrübende Schauspiel erspart worden, daß der
weitaus größte Teil der Volksvertretung sich von der scheinbar so einmütiger
Entrüstung der elsaß-lothringischen Parteien und des elsaß-lothringischen Par¬
laments über die Nationalisten irreführen ließ. Hoffentlich verfällt wenigstens
der Bundesrat nicht in denselben Fehler, denn sonst hätte nicht nur die elsa߬
lothringische Regierung, sondern die ganze deutsche Reichspolitik gegenüber dem
Nationalismus eine kaum wieder gut zu machende Niederlage erlitten.




Mit dem Aaiser auf Reisen
Nach Briefen und Tagebuchblättern von Teilnehmern erzählt
George Lleinow von
(LopyriM 1913 by Verlag der Grenzboten G. in. b. H. Berlin)
1. Präludien.

u den ersten Regierungshandlungen, die Kaiser Wilhelm der
Zweite im Jahre 1888 vornahm, gehören die Besuchsreisen bei
den Höfen befreundeter Mächte. Am 15. Juni hatte der neun-
undzwanzigjährige Monarch den Thron bestiegen und schon einen
Monat später zog er an der Spitze eines ansehnlichen Geschwaders
nach Nordosten, den Zarischen Oheim zu begrüßen. Gleich daran schlossen sich
die Besuche in Stockholm und Kopenhagen, während Wien und Italien erst im
Herbst aufgesucht wurden. Welche politisch-sachlichen Gründe und Erwägungen
den Kaiser seinerzeit veranlaßt haben, die erwähnten Besuche gar so bald nach
der Thronbesteigung und auch in der angegebenen Reihenfolge zu unternehmen,^'LZ


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[0507] Mit dem Kaiser auf Reisen der sie sich jetzt, als sie die Regierung ernst machen sah. entschloß, und — was noch weit wichtiger ist — hätten die Parteien auch für sich selbst ehrlich die Konsequenzen einer solchen Absage gezogen, dann wären die Anträge der Regierung nicht nur überflüssig, sondern direkt ein Fehler gewesen. Statt dessen hat man sich jetzt zwar in eine gewaltige Entrüstung über die Regierung hinein¬ geredet, aber weder dem elsaß-lothringischen Zentrum, noch der elsässischen Fort¬ schrittspartei, noch der Lothringer Partei wird es einfallen, auch nur einen nationalistischen Abgeordneten von sich abzuschütteln und irgendeinem nationalistischen Verein oder nationalistischen Blatt, wofern sie nicht parteipolitisch zur Gegen¬ seite gehören, den Kampf anzusagen. Wenn der Reichstag sich bei der Besprechung der Jnterpellation über die elsaß-lothringischen Anträge an diese Tatsachen gehalten hätte, dann wäre dem deutschen Volke doch wohl das betrübende Schauspiel erspart worden, daß der weitaus größte Teil der Volksvertretung sich von der scheinbar so einmütiger Entrüstung der elsaß-lothringischen Parteien und des elsaß-lothringischen Par¬ laments über die Nationalisten irreführen ließ. Hoffentlich verfällt wenigstens der Bundesrat nicht in denselben Fehler, denn sonst hätte nicht nur die elsa߬ lothringische Regierung, sondern die ganze deutsche Reichspolitik gegenüber dem Nationalismus eine kaum wieder gut zu machende Niederlage erlitten. Mit dem Aaiser auf Reisen Nach Briefen und Tagebuchblättern von Teilnehmern erzählt George Lleinow von (LopyriM 1913 by Verlag der Grenzboten G. in. b. H. Berlin) 1. Präludien. u den ersten Regierungshandlungen, die Kaiser Wilhelm der Zweite im Jahre 1888 vornahm, gehören die Besuchsreisen bei den Höfen befreundeter Mächte. Am 15. Juni hatte der neun- undzwanzigjährige Monarch den Thron bestiegen und schon einen Monat später zog er an der Spitze eines ansehnlichen Geschwaders nach Nordosten, den Zarischen Oheim zu begrüßen. Gleich daran schlossen sich die Besuche in Stockholm und Kopenhagen, während Wien und Italien erst im Herbst aufgesucht wurden. Welche politisch-sachlichen Gründe und Erwägungen den Kaiser seinerzeit veranlaßt haben, die erwähnten Besuche gar so bald nach der Thronbesteigung und auch in der angegebenen Reihenfolge zu unternehmen,^'LZ

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/507>, abgerufen am 21.12.2024.