Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Anträge der elsaß - lothringischen Regierung
v ni. Winterberg on in

le elsaß-lothringische Regierung befindet sich in einer recht üblen
Lage. Ihre durch Veröffentlichungen im Matin bekannt ge¬
wordenen Anträge zum Reichsvereins- und Preßgesetz, durch die
sie sich Handhaben gegen die deutsch - feindlichen Umtriebe des
Nationalismus verschaffen wollte, haben ihr die Mißbilligung
sämtlicher Fraktionen der Zweiten Kammer und ein zwar höflich formuliertes,
aber keineswegs weniger klares ablehnendes Votum der Ersten Kammer des
Landtags zugezogen; außerdem haben sie zu einer Jnterpellation im Reichstage
geführt, nach deren Ergebnis es feststeht, daß nur eine kleine Minderheit für
einen den Anträgen entsprechenden Gesetzentwurf eintreten würde. Elsa߬
lothringische und altdeutsche Zeitungen demokratischer und klerikaler Richtung
ziehen aus alledem den Schluß, daß die Regierung abgewirtschaftet habe und
von Rechts wegen von der Bildfläche verschwinden müßte. Wenn auch die Regeln
parlamentarisch regierter Länder für sie nicht gelten, so sei es doch ein Gebot
der Selbstachtung und des Respekts vor der Verfassung, dem nahezu einstimmigen
und vom Reichstag anerkannten Spruche der Volksvertretung Elsaß-Lothringens
zu weichen.

Diese Argumentation klingt recht überzeugend, macht aber, abgesehen von
ihrem Eingriffe in die kaiserlichen Rechte, den großen Fehler, eine Verantwor¬
tung der elsaß-lothringischen Regierung vor dem Landesparlament zu konstruieren,
wo es sich um reichsgesetzliche Angelegenheiten handelt. Die elsaß-lothringische
Regierung ist, wie die jedes einzelnen Bundesstaates, berechtigt, ohne Anhörung
des Landesparlaments Anträge beim Bundesrat zu stellen, sobald sie von ihrem
Standpunkt aus, der sich keineswegs mit dem der Volksvertretung zu decken
braucht, die reichsgesetzliche Regelung einer bestimmten, der Zuständigkeit des
Reiches unterliegenden Frage für erforderlich hält. Geht der Bundesrat auf
ihre Anträge ein, dann ist es Sache des Reichstags, sich für oder gegen die
betreffenden Anträge zu entscheiden, wobei er sich die Ansicht der Volksvertretung
des in Frage kommenden Einzelstaates als Richtschnur dienen lassen kann, wenn
er ihr eine genügend große Bedeutung beimißt.'


32


Die Anträge der elsaß - lothringischen Regierung
v ni. Winterberg on in

le elsaß-lothringische Regierung befindet sich in einer recht üblen
Lage. Ihre durch Veröffentlichungen im Matin bekannt ge¬
wordenen Anträge zum Reichsvereins- und Preßgesetz, durch die
sie sich Handhaben gegen die deutsch - feindlichen Umtriebe des
Nationalismus verschaffen wollte, haben ihr die Mißbilligung
sämtlicher Fraktionen der Zweiten Kammer und ein zwar höflich formuliertes,
aber keineswegs weniger klares ablehnendes Votum der Ersten Kammer des
Landtags zugezogen; außerdem haben sie zu einer Jnterpellation im Reichstage
geführt, nach deren Ergebnis es feststeht, daß nur eine kleine Minderheit für
einen den Anträgen entsprechenden Gesetzentwurf eintreten würde. Elsa߬
lothringische und altdeutsche Zeitungen demokratischer und klerikaler Richtung
ziehen aus alledem den Schluß, daß die Regierung abgewirtschaftet habe und
von Rechts wegen von der Bildfläche verschwinden müßte. Wenn auch die Regeln
parlamentarisch regierter Länder für sie nicht gelten, so sei es doch ein Gebot
der Selbstachtung und des Respekts vor der Verfassung, dem nahezu einstimmigen
und vom Reichstag anerkannten Spruche der Volksvertretung Elsaß-Lothringens
zu weichen.

Diese Argumentation klingt recht überzeugend, macht aber, abgesehen von
ihrem Eingriffe in die kaiserlichen Rechte, den großen Fehler, eine Verantwor¬
tung der elsaß-lothringischen Regierung vor dem Landesparlament zu konstruieren,
wo es sich um reichsgesetzliche Angelegenheiten handelt. Die elsaß-lothringische
Regierung ist, wie die jedes einzelnen Bundesstaates, berechtigt, ohne Anhörung
des Landesparlaments Anträge beim Bundesrat zu stellen, sobald sie von ihrem
Standpunkt aus, der sich keineswegs mit dem der Volksvertretung zu decken
braucht, die reichsgesetzliche Regelung einer bestimmten, der Zuständigkeit des
Reiches unterliegenden Frage für erforderlich hält. Geht der Bundesrat auf
ihre Anträge ein, dann ist es Sache des Reichstags, sich für oder gegen die
betreffenden Anträge zu entscheiden, wobei er sich die Ansicht der Volksvertretung
des in Frage kommenden Einzelstaates als Richtschnur dienen lassen kann, wenn
er ihr eine genügend große Bedeutung beimißt.'


32
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0503" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326023"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341897_325519/figures/grenzboten_341897_325519_326023_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Anträge der elsaß - lothringischen Regierung<lb/>
v<note type="byline"> ni. Winterberg</note> on in</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2330"> le elsaß-lothringische Regierung befindet sich in einer recht üblen<lb/>
Lage. Ihre durch Veröffentlichungen im Matin bekannt ge¬<lb/>
wordenen Anträge zum Reichsvereins- und Preßgesetz, durch die<lb/>
sie sich Handhaben gegen die deutsch - feindlichen Umtriebe des<lb/>
Nationalismus verschaffen wollte, haben ihr die Mißbilligung<lb/>
sämtlicher Fraktionen der Zweiten Kammer und ein zwar höflich formuliertes,<lb/>
aber keineswegs weniger klares ablehnendes Votum der Ersten Kammer des<lb/>
Landtags zugezogen; außerdem haben sie zu einer Jnterpellation im Reichstage<lb/>
geführt, nach deren Ergebnis es feststeht, daß nur eine kleine Minderheit für<lb/>
einen den Anträgen entsprechenden Gesetzentwurf eintreten würde. Elsa߬<lb/>
lothringische und altdeutsche Zeitungen demokratischer und klerikaler Richtung<lb/>
ziehen aus alledem den Schluß, daß die Regierung abgewirtschaftet habe und<lb/>
von Rechts wegen von der Bildfläche verschwinden müßte. Wenn auch die Regeln<lb/>
parlamentarisch regierter Länder für sie nicht gelten, so sei es doch ein Gebot<lb/>
der Selbstachtung und des Respekts vor der Verfassung, dem nahezu einstimmigen<lb/>
und vom Reichstag anerkannten Spruche der Volksvertretung Elsaß-Lothringens<lb/>
zu weichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2331"> Diese Argumentation klingt recht überzeugend, macht aber, abgesehen von<lb/>
ihrem Eingriffe in die kaiserlichen Rechte, den großen Fehler, eine Verantwor¬<lb/>
tung der elsaß-lothringischen Regierung vor dem Landesparlament zu konstruieren,<lb/>
wo es sich um reichsgesetzliche Angelegenheiten handelt. Die elsaß-lothringische<lb/>
Regierung ist, wie die jedes einzelnen Bundesstaates, berechtigt, ohne Anhörung<lb/>
des Landesparlaments Anträge beim Bundesrat zu stellen, sobald sie von ihrem<lb/>
Standpunkt aus, der sich keineswegs mit dem der Volksvertretung zu decken<lb/>
braucht, die reichsgesetzliche Regelung einer bestimmten, der Zuständigkeit des<lb/>
Reiches unterliegenden Frage für erforderlich hält. Geht der Bundesrat auf<lb/>
ihre Anträge ein, dann ist es Sache des Reichstags, sich für oder gegen die<lb/>
betreffenden Anträge zu entscheiden, wobei er sich die Ansicht der Volksvertretung<lb/>
des in Frage kommenden Einzelstaates als Richtschnur dienen lassen kann, wenn<lb/>
er ihr eine genügend große Bedeutung beimißt.'</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 32</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0503] [Abbildung] Die Anträge der elsaß - lothringischen Regierung v ni. Winterberg on in le elsaß-lothringische Regierung befindet sich in einer recht üblen Lage. Ihre durch Veröffentlichungen im Matin bekannt ge¬ wordenen Anträge zum Reichsvereins- und Preßgesetz, durch die sie sich Handhaben gegen die deutsch - feindlichen Umtriebe des Nationalismus verschaffen wollte, haben ihr die Mißbilligung sämtlicher Fraktionen der Zweiten Kammer und ein zwar höflich formuliertes, aber keineswegs weniger klares ablehnendes Votum der Ersten Kammer des Landtags zugezogen; außerdem haben sie zu einer Jnterpellation im Reichstage geführt, nach deren Ergebnis es feststeht, daß nur eine kleine Minderheit für einen den Anträgen entsprechenden Gesetzentwurf eintreten würde. Elsa߬ lothringische und altdeutsche Zeitungen demokratischer und klerikaler Richtung ziehen aus alledem den Schluß, daß die Regierung abgewirtschaftet habe und von Rechts wegen von der Bildfläche verschwinden müßte. Wenn auch die Regeln parlamentarisch regierter Länder für sie nicht gelten, so sei es doch ein Gebot der Selbstachtung und des Respekts vor der Verfassung, dem nahezu einstimmigen und vom Reichstag anerkannten Spruche der Volksvertretung Elsaß-Lothringens zu weichen. Diese Argumentation klingt recht überzeugend, macht aber, abgesehen von ihrem Eingriffe in die kaiserlichen Rechte, den großen Fehler, eine Verantwor¬ tung der elsaß-lothringischen Regierung vor dem Landesparlament zu konstruieren, wo es sich um reichsgesetzliche Angelegenheiten handelt. Die elsaß-lothringische Regierung ist, wie die jedes einzelnen Bundesstaates, berechtigt, ohne Anhörung des Landesparlaments Anträge beim Bundesrat zu stellen, sobald sie von ihrem Standpunkt aus, der sich keineswegs mit dem der Volksvertretung zu decken braucht, die reichsgesetzliche Regelung einer bestimmten, der Zuständigkeit des Reiches unterliegenden Frage für erforderlich hält. Geht der Bundesrat auf ihre Anträge ein, dann ist es Sache des Reichstags, sich für oder gegen die betreffenden Anträge zu entscheiden, wobei er sich die Ansicht der Volksvertretung des in Frage kommenden Einzelstaates als Richtschnur dienen lassen kann, wenn er ihr eine genügend große Bedeutung beimißt.' 32

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/503
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/503>, abgerufen am 27.07.2024.