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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

keit die Grenzen der Begabung Stauffers.
Warum soll man die nicht zugeben? Und
wer eines Künstlers Eigenart so sorgsam
nachgegangen ist wie Schäfer, hat doch gewiß
das erste Recht, den Wert und Gewinn seines
Schaffens schließlich in größere Zusammen¬
hänge einzufügen und für seine Gesamt¬
erscheinung die Stelle zu suchen, die ihr
zwischen anderen zukommt.

Daß den Anwälten des persönlichen An¬
denkens Karl Stauffers die Unbefangenheit
dieser Lebensdarstellung ein Ärgernis ist,
läßt sich eher verstehen. Man mochte sie so¬
gar gerne gewähren lassen in ihrem Eifer,
gar zu bedenkliche Vorstellungen von Stnuffers
Wesensart und Lebensführung zu bekämpfen,
denn sie legten ja zugleich neue Selbstzeugnisse
von seiner Hand vor. Aber was sie seitdem
aus den Briefen, die sie noch daheim be¬
wahren, zur Rechtfertigung haben veröffent¬
lichen lassen*), fügt dem Bilde des Menschen
Stauffer nirgends wesentlich neue, nirgends
sonderlich bedeutende Züge hinzu. Und an
Ergiebigkeit für das Verständnis von Stauffers
künstlerischer Persönlichkeit reichen sie an die
Bekenntnisse der Briefe an Lydia Escher nicht
von ferne heran. Daran wird auch die er¬
weiterte Buchausgabe dieser Familienbriefe
nichts ändern können. Um so freudiger wird
man es ihr danken, daß sie einen lange ge¬
hegten Wunsch endlich erfüllen und Stauffers
hinterlassene Dichtungen ohne ängstliches
Unterdrücken nun in ihrem ganzen Umfang
darbieten will.

Professor Th. Heinlein
Länder- und Völkerkunde
R. Thurnwald, "Volk, Staat und Wirt¬
schaft auf den Salomoinscln und dem Bis-
marckarchipel." Berlin 1912. Verlag Dietrich
Reimer (Ernst Vohsen).

Der bekannte und um die Südseeforschung
hoch verdiente Ethnologe veröffentlicht das
von ihm vorwiegend auf Bougcnnville ge¬
sammelte Material in möglichst dokumenta¬
rischer Form, die gerade auf soziologischen
Gebiet große Vorteile bietet; denn sie bewahrt
den Leser davor, daß er an Stelle der kon¬
kreten Tatsachen eine durch Theorien und

[Spaltenumbruch]

Vorurteile beeinflußte Schilderung der Formen
und Bedingungen des geselligen Zusammen¬
lebens der Eingeborenen erhält und sie läßt
ihm den Weg für die eigene Urteilsbildung
frei. Durch die getreuliche Wiedergabe der
Berichte der Eingeborenen selbst in Verbin¬
dung mit den Mitteilungen über das, was
der Berichterstatter selbst gesehen und erlebt
hat, werden wir so nahe als möglich an die
Wirklichkeit herangeführt, eine Wirklichkeit, die
für ein werdendes Knlonialvolk nicht allein
wissenschaftliches, sondern auch erhebliches
praktisches Interesse hat.

Die Veröffentlichung gliedert sich in drei
Teile. Der erste behandelt die Lebens¬
abschnitte (Pubertät, Heirat, Tod); im zweiten
Teil folgen Mitteilungen über Wirtschaft und
Staat (Wirtschaft, Politische Organisation,
Verletzung der sozialen Ordnung); im drittten
Teil endlich werden an der Hand der An¬
gaben eingeborener Gewährsmänner typische
Ereignisse geschildert.

Einige charakteristische Mitteilungen seien
hier wiedergegeben.

Zählen in Songa (Vellalavella)

Nach dem Tode eines großen Häuptlings
wird in Songa auf Vellalavella erst nach
tausend Tagen das Totenmahl veranstaltet.
Um diese tausend Tage aufzuzählen, wird
ein Rechnungsknotenfaden geknüpft (rmku
mento sie machen Rechnung, vsru --
Faden), und zwar macht zuerst ein Mann
einen Faden mit hundert Knoten. Der Faden
wird derartig geknotet, daß sich zwischen je
zehn Knoten ein größerer Zwischenraum be¬
findet. Ein zweiter Mann macht ebenfalls
einen Faden mit hundert Knoten usw., so
daß zehn verschiedene Leute beteiligt sind.
Rum beginnt der erste, jeden Tag einen
Knoten abzureißen. Wenn der erste fertig ist
mit seinem Faden, dann geht er zum zweiten,
teilt ihm das mit und der beginnt, von
seinem Faden die Knoten abzureißen. Ist
der zehnte fertig, so weiß man, daß die Frist
zu Ende ist. Es kann aber auch so gemacht
werden, daß ein Mann die Zählung des
ganzen Tausend vornimmt, und zwar so, daß
er zehn verschiedene Bastfasern nimmt und
an jeder Bastfaser jeden Tag einen Knoten
macht, bis er hundert Knoten auf einer Bast-

[Ende Spaltensatz]
*) In den Süddeutschen Monatsheften,
Jahrgang 1912/13.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

keit die Grenzen der Begabung Stauffers.
Warum soll man die nicht zugeben? Und
wer eines Künstlers Eigenart so sorgsam
nachgegangen ist wie Schäfer, hat doch gewiß
das erste Recht, den Wert und Gewinn seines
Schaffens schließlich in größere Zusammen¬
hänge einzufügen und für seine Gesamt¬
erscheinung die Stelle zu suchen, die ihr
zwischen anderen zukommt.

Daß den Anwälten des persönlichen An¬
denkens Karl Stauffers die Unbefangenheit
dieser Lebensdarstellung ein Ärgernis ist,
läßt sich eher verstehen. Man mochte sie so¬
gar gerne gewähren lassen in ihrem Eifer,
gar zu bedenkliche Vorstellungen von Stnuffers
Wesensart und Lebensführung zu bekämpfen,
denn sie legten ja zugleich neue Selbstzeugnisse
von seiner Hand vor. Aber was sie seitdem
aus den Briefen, die sie noch daheim be¬
wahren, zur Rechtfertigung haben veröffent¬
lichen lassen*), fügt dem Bilde des Menschen
Stauffer nirgends wesentlich neue, nirgends
sonderlich bedeutende Züge hinzu. Und an
Ergiebigkeit für das Verständnis von Stauffers
künstlerischer Persönlichkeit reichen sie an die
Bekenntnisse der Briefe an Lydia Escher nicht
von ferne heran. Daran wird auch die er¬
weiterte Buchausgabe dieser Familienbriefe
nichts ändern können. Um so freudiger wird
man es ihr danken, daß sie einen lange ge¬
hegten Wunsch endlich erfüllen und Stauffers
hinterlassene Dichtungen ohne ängstliches
Unterdrücken nun in ihrem ganzen Umfang
darbieten will.

Professor Th. Heinlein
Länder- und Völkerkunde
R. Thurnwald, „Volk, Staat und Wirt¬
schaft auf den Salomoinscln und dem Bis-
marckarchipel." Berlin 1912. Verlag Dietrich
Reimer (Ernst Vohsen).

Der bekannte und um die Südseeforschung
hoch verdiente Ethnologe veröffentlicht das
von ihm vorwiegend auf Bougcnnville ge¬
sammelte Material in möglichst dokumenta¬
rischer Form, die gerade auf soziologischen
Gebiet große Vorteile bietet; denn sie bewahrt
den Leser davor, daß er an Stelle der kon¬
kreten Tatsachen eine durch Theorien und

[Spaltenumbruch]

Vorurteile beeinflußte Schilderung der Formen
und Bedingungen des geselligen Zusammen¬
lebens der Eingeborenen erhält und sie läßt
ihm den Weg für die eigene Urteilsbildung
frei. Durch die getreuliche Wiedergabe der
Berichte der Eingeborenen selbst in Verbin¬
dung mit den Mitteilungen über das, was
der Berichterstatter selbst gesehen und erlebt
hat, werden wir so nahe als möglich an die
Wirklichkeit herangeführt, eine Wirklichkeit, die
für ein werdendes Knlonialvolk nicht allein
wissenschaftliches, sondern auch erhebliches
praktisches Interesse hat.

Die Veröffentlichung gliedert sich in drei
Teile. Der erste behandelt die Lebens¬
abschnitte (Pubertät, Heirat, Tod); im zweiten
Teil folgen Mitteilungen über Wirtschaft und
Staat (Wirtschaft, Politische Organisation,
Verletzung der sozialen Ordnung); im drittten
Teil endlich werden an der Hand der An¬
gaben eingeborener Gewährsmänner typische
Ereignisse geschildert.

Einige charakteristische Mitteilungen seien
hier wiedergegeben.

Zählen in Songa (Vellalavella)

Nach dem Tode eines großen Häuptlings
wird in Songa auf Vellalavella erst nach
tausend Tagen das Totenmahl veranstaltet.
Um diese tausend Tage aufzuzählen, wird
ein Rechnungsknotenfaden geknüpft (rmku
mento sie machen Rechnung, vsru —
Faden), und zwar macht zuerst ein Mann
einen Faden mit hundert Knoten. Der Faden
wird derartig geknotet, daß sich zwischen je
zehn Knoten ein größerer Zwischenraum be¬
findet. Ein zweiter Mann macht ebenfalls
einen Faden mit hundert Knoten usw., so
daß zehn verschiedene Leute beteiligt sind.
Rum beginnt der erste, jeden Tag einen
Knoten abzureißen. Wenn der erste fertig ist
mit seinem Faden, dann geht er zum zweiten,
teilt ihm das mit und der beginnt, von
seinem Faden die Knoten abzureißen. Ist
der zehnte fertig, so weiß man, daß die Frist
zu Ende ist. Es kann aber auch so gemacht
werden, daß ein Mann die Zählung des
ganzen Tausend vornimmt, und zwar so, daß
er zehn verschiedene Bastfasern nimmt und
an jeder Bastfaser jeden Tag einen Knoten
macht, bis er hundert Knoten auf einer Bast-

[Ende Spaltensatz]
*) In den Süddeutschen Monatsheften,
Jahrgang 1912/13.
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[0497] Maßgebliches und Unmaßgebliches keit die Grenzen der Begabung Stauffers. Warum soll man die nicht zugeben? Und wer eines Künstlers Eigenart so sorgsam nachgegangen ist wie Schäfer, hat doch gewiß das erste Recht, den Wert und Gewinn seines Schaffens schließlich in größere Zusammen¬ hänge einzufügen und für seine Gesamt¬ erscheinung die Stelle zu suchen, die ihr zwischen anderen zukommt. Daß den Anwälten des persönlichen An¬ denkens Karl Stauffers die Unbefangenheit dieser Lebensdarstellung ein Ärgernis ist, läßt sich eher verstehen. Man mochte sie so¬ gar gerne gewähren lassen in ihrem Eifer, gar zu bedenkliche Vorstellungen von Stnuffers Wesensart und Lebensführung zu bekämpfen, denn sie legten ja zugleich neue Selbstzeugnisse von seiner Hand vor. Aber was sie seitdem aus den Briefen, die sie noch daheim be¬ wahren, zur Rechtfertigung haben veröffent¬ lichen lassen*), fügt dem Bilde des Menschen Stauffer nirgends wesentlich neue, nirgends sonderlich bedeutende Züge hinzu. Und an Ergiebigkeit für das Verständnis von Stauffers künstlerischer Persönlichkeit reichen sie an die Bekenntnisse der Briefe an Lydia Escher nicht von ferne heran. Daran wird auch die er¬ weiterte Buchausgabe dieser Familienbriefe nichts ändern können. Um so freudiger wird man es ihr danken, daß sie einen lange ge¬ hegten Wunsch endlich erfüllen und Stauffers hinterlassene Dichtungen ohne ängstliches Unterdrücken nun in ihrem ganzen Umfang darbieten will. Professor Th. Heinlein Länder- und Völkerkunde R. Thurnwald, „Volk, Staat und Wirt¬ schaft auf den Salomoinscln und dem Bis- marckarchipel." Berlin 1912. Verlag Dietrich Reimer (Ernst Vohsen). Der bekannte und um die Südseeforschung hoch verdiente Ethnologe veröffentlicht das von ihm vorwiegend auf Bougcnnville ge¬ sammelte Material in möglichst dokumenta¬ rischer Form, die gerade auf soziologischen Gebiet große Vorteile bietet; denn sie bewahrt den Leser davor, daß er an Stelle der kon¬ kreten Tatsachen eine durch Theorien und Vorurteile beeinflußte Schilderung der Formen und Bedingungen des geselligen Zusammen¬ lebens der Eingeborenen erhält und sie läßt ihm den Weg für die eigene Urteilsbildung frei. Durch die getreuliche Wiedergabe der Berichte der Eingeborenen selbst in Verbin¬ dung mit den Mitteilungen über das, was der Berichterstatter selbst gesehen und erlebt hat, werden wir so nahe als möglich an die Wirklichkeit herangeführt, eine Wirklichkeit, die für ein werdendes Knlonialvolk nicht allein wissenschaftliches, sondern auch erhebliches praktisches Interesse hat. Die Veröffentlichung gliedert sich in drei Teile. Der erste behandelt die Lebens¬ abschnitte (Pubertät, Heirat, Tod); im zweiten Teil folgen Mitteilungen über Wirtschaft und Staat (Wirtschaft, Politische Organisation, Verletzung der sozialen Ordnung); im drittten Teil endlich werden an der Hand der An¬ gaben eingeborener Gewährsmänner typische Ereignisse geschildert. Einige charakteristische Mitteilungen seien hier wiedergegeben. Zählen in Songa (Vellalavella) Nach dem Tode eines großen Häuptlings wird in Songa auf Vellalavella erst nach tausend Tagen das Totenmahl veranstaltet. Um diese tausend Tage aufzuzählen, wird ein Rechnungsknotenfaden geknüpft (rmku mento sie machen Rechnung, vsru — Faden), und zwar macht zuerst ein Mann einen Faden mit hundert Knoten. Der Faden wird derartig geknotet, daß sich zwischen je zehn Knoten ein größerer Zwischenraum be¬ findet. Ein zweiter Mann macht ebenfalls einen Faden mit hundert Knoten usw., so daß zehn verschiedene Leute beteiligt sind. Rum beginnt der erste, jeden Tag einen Knoten abzureißen. Wenn der erste fertig ist mit seinem Faden, dann geht er zum zweiten, teilt ihm das mit und der beginnt, von seinem Faden die Knoten abzureißen. Ist der zehnte fertig, so weiß man, daß die Frist zu Ende ist. Es kann aber auch so gemacht werden, daß ein Mann die Zählung des ganzen Tausend vornimmt, und zwar so, daß er zehn verschiedene Bastfasern nimmt und an jeder Bastfaser jeden Tag einen Knoten macht, bis er hundert Knoten auf einer Bast- *) In den Süddeutschen Monatsheften, Jahrgang 1912/13.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/497>, abgerufen am 27.07.2024.