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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

Wie blitzte es in beider Augen, als Wasslijew die Stelle des Glases suchte, die
Angöliques Lippen berührt hatten. So hatte sie ihn selbst noch nie angesehen I

Ja -- hatte er es denn bisher vermißt? Dann würde Edles seine Stellung
zu dem Mädchen also richtiger beurteilt haben als er selbst?

Er griff nach dem Brief. Während er die kräftige, charakteristische Schrift
betrachtete, sah er im Geist die Gestalt der Schreiberin vor sich, wie sie vor
drei Jahren Abschied von ihm genommen hatte.

Auf der Station war es gewesen, wo er den Petersburger Zug erwartete.
Gerade als er vom Wagen stieg, kamen die drei Wenkendorffer Damen über
die Stoppeln gesprengt -- Edles und Edda auf Izwei Rappen edelsten Blutes,
mehrere Längen hinter ihnen die kleine Evi. Sie hatte Tränen im Auge vor
Wut über den schwerfälligen Trott ihres wohlgenährten Father. Edles beugte
sich von ihrem hochbeinigen Gaul herab und reichte Paul die Hand:

"Ich sah den Borküller Wagen und habe mit Edda gewettet, daß wir
noch vor dem Zug ankommen würden. Vergessen Sie uns nicht in Ihrem
Sonnenland, Herr Vetter. Und halten Sie Wort -- schreiben Sie mir matt"

Aus dem Kupeefenster sah Paul die drei Reiterinnen den Sturzäcker hinan¬
traben. Oben auf der Höhe wendete die erste und stand als schwarze Silhouette gegen
den Himmel. Sie winkte mit einem Taschentuch. War es Edles gewesen?

Wie damals wallte es jetzt warm und zärtlich in ihm auf. Nein -- mochte
Angölique anlächelt, wen sie wollte. Es beunruhigte ihn nicht. Wohl aber
spürte er in diesem Augenblick Unruhe in dem Gedanken an das zukünftige
Verhältnis zwischen ihm und seiner Kusine.

Sie war in dem Alter, wo junge Mädchen, wenn sie hübsch und ver¬
mögend sind, sich zu verheiraten pflegen.

Wenn Edles von Wenkendorff eine Ausnahme machte, so kam es nur
daher, weil ihr Leben auch jetzt schon mit Pflichten und Aufgaben ausgefüllt
war. Ihr Vater hatte aus ihr eine regelrechte Landwirtin gemacht, die ihm
allmählich eine männliche Hilfe bei der Verwaltung des Gutes ersetzte. Da
aber ihre weibliche Anmut dabei keinen Schaden genommen hatte, so machte
sie ihre weithin im Land bekannte Tüchtigkeit erst recht zu einer begehrenswerter
Partie. Und eines Tages mußte es wohl wahr werden, daß sie einem ihrer
vielen Bewerber die Hand reichte.

Paul schnitt die Vorstellung dieser Möglichkeit ins Herz. Ihrer ganzen
werkfröhlichen Art nach schien ihm Edles allerdings bestimmt, eine Gutsherrin
zu werden, nicht eine Professorengattm, die sie bestenfalls dereinst sein würde,
wenn sie sich zu einer Ehe mit ihm entschließen könnte.

"Es wäre eben doch eine Stilwidrigkeit!" sagte sich Paul und verspottete
sich selbst in der Vorstellung, daß er Edles einen Antrag machen müsse, wenn
er jemals seinen Traum verwirklicht sehen wollte.

Dabei mußte man sich ja wohl zu einem Kniefall entschließen und in beredten
Worten seine Liebe erklären?! Ein peinliches Unternehmen!


Sturm

Wie blitzte es in beider Augen, als Wasslijew die Stelle des Glases suchte, die
Angöliques Lippen berührt hatten. So hatte sie ihn selbst noch nie angesehen I

Ja — hatte er es denn bisher vermißt? Dann würde Edles seine Stellung
zu dem Mädchen also richtiger beurteilt haben als er selbst?

Er griff nach dem Brief. Während er die kräftige, charakteristische Schrift
betrachtete, sah er im Geist die Gestalt der Schreiberin vor sich, wie sie vor
drei Jahren Abschied von ihm genommen hatte.

Auf der Station war es gewesen, wo er den Petersburger Zug erwartete.
Gerade als er vom Wagen stieg, kamen die drei Wenkendorffer Damen über
die Stoppeln gesprengt — Edles und Edda auf Izwei Rappen edelsten Blutes,
mehrere Längen hinter ihnen die kleine Evi. Sie hatte Tränen im Auge vor
Wut über den schwerfälligen Trott ihres wohlgenährten Father. Edles beugte
sich von ihrem hochbeinigen Gaul herab und reichte Paul die Hand:

„Ich sah den Borküller Wagen und habe mit Edda gewettet, daß wir
noch vor dem Zug ankommen würden. Vergessen Sie uns nicht in Ihrem
Sonnenland, Herr Vetter. Und halten Sie Wort — schreiben Sie mir matt"

Aus dem Kupeefenster sah Paul die drei Reiterinnen den Sturzäcker hinan¬
traben. Oben auf der Höhe wendete die erste und stand als schwarze Silhouette gegen
den Himmel. Sie winkte mit einem Taschentuch. War es Edles gewesen?

Wie damals wallte es jetzt warm und zärtlich in ihm auf. Nein — mochte
Angölique anlächelt, wen sie wollte. Es beunruhigte ihn nicht. Wohl aber
spürte er in diesem Augenblick Unruhe in dem Gedanken an das zukünftige
Verhältnis zwischen ihm und seiner Kusine.

Sie war in dem Alter, wo junge Mädchen, wenn sie hübsch und ver¬
mögend sind, sich zu verheiraten pflegen.

Wenn Edles von Wenkendorff eine Ausnahme machte, so kam es nur
daher, weil ihr Leben auch jetzt schon mit Pflichten und Aufgaben ausgefüllt
war. Ihr Vater hatte aus ihr eine regelrechte Landwirtin gemacht, die ihm
allmählich eine männliche Hilfe bei der Verwaltung des Gutes ersetzte. Da
aber ihre weibliche Anmut dabei keinen Schaden genommen hatte, so machte
sie ihre weithin im Land bekannte Tüchtigkeit erst recht zu einer begehrenswerter
Partie. Und eines Tages mußte es wohl wahr werden, daß sie einem ihrer
vielen Bewerber die Hand reichte.

Paul schnitt die Vorstellung dieser Möglichkeit ins Herz. Ihrer ganzen
werkfröhlichen Art nach schien ihm Edles allerdings bestimmt, eine Gutsherrin
zu werden, nicht eine Professorengattm, die sie bestenfalls dereinst sein würde,
wenn sie sich zu einer Ehe mit ihm entschließen könnte.

„Es wäre eben doch eine Stilwidrigkeit!" sagte sich Paul und verspottete
sich selbst in der Vorstellung, daß er Edles einen Antrag machen müsse, wenn
er jemals seinen Traum verwirklicht sehen wollte.

Dabei mußte man sich ja wohl zu einem Kniefall entschließen und in beredten
Worten seine Liebe erklären?! Ein peinliches Unternehmen!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/492>, abgerufen am 28.07.2024.