Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Frankreichs Rulturexpansion und ihre Bedeutung für Deutschland

landische Zuhörer an französischen Universitäten gegeben haben. Das größte
Kontingent stellen die Slawen, vor allem die Russen, für die sogar eine besondere
französische Zeitung herausgegeben wird.

Diese Arbeit für die Ausbreitung der französischen Kultur vollzieht sich
nun -- und das ist bemerkenswert -- in einer für Franzosen verhältnismäßigen
Stille und Zielsicherheit; sie gehen hier ausnahmsweise ziemlich methodisch vor.
Mehrere Persönlichkeiten, die sich durch ihr organisatorisches Geschick -- im
allgemeinen mangelt es den Franzosen daran -- auf diesem Gebiete aus¬
gezeichnet haben, hat man ins Unterrichtsministerium berufen, um das Werk
der Kulturexpansion, weiter auszubauen. Der ehemalige tüchtige Minister Steeg
schenkte dieser Arbeit seine besondere Aufmerksamkeit.

Alle derartigen Veranstaltungen Frankreichs gehen nun darauf hinaus,
möglichst viel Zuhörer zu gewinnen, Interesse und Sympathie für französisches
Wesen zu erwecken, im Auslande Mittelpunkte des französischen Kultureinflusses
zu bilden und die Bande mit den betreffenden Ländern enger zu knüpfen; sie
sollen für das Mutterland "moralische Eroberungen" machen. Dabei tritt
mehr oder minder verhüllt eine bestimmte Tendenz zutage; die ganze Arbeit
steht im Dienste dessen, was man drüben die lass kran?al8s nennt. Man will
die Ideen der französischen Revolution, die Ideen von 1789, die Gedanken der
Völkerverbrüderung, der Abrüstung und der Schiedsgerichte in der Welt ver¬
breiten, den "kulturfeindlichen Militarismus" bekämpfen, vor allem das Dogma
jedes Franzosen der dogmensüchtigen romanischen und slawischen Welt ver¬
künden: die Überlegenheit der französischen Rasse und Kultur, die die Ver¬
treterin der modernen Menschheit und ihres Fortschrittes zum Weltfrieden ist.
Wer nun aber ist in der Welt der geschworene Feind dieser sozialistischen
Ideen? Wer allein zwingt Frankreich und die übrige Welt zu den gewaltigen
militärischen Rüstungen und hält sie davon ab, die Milliarden für Werte des
Friedens zu verwenden? Darin ist drüben alles einig: nur Deutschland!
Das moderne Deutschland ist nach der Meinung der Mehrzahl der gebildeten
Franzosen ein sogenannter Anachronismus, der Sitz des kulturfeindlichen Mili¬
tarismus und der politischen Unfreiheit in der Welt. Wir aber erwidern, daß
man instinktiv erfaßt hat: unser Heerwesen ist der Ausdruck einer heldischen
und aristokratischen Lebensauffassung, die dem Germanen im Blute liegt und
die allerdings der Todfeind der modern-französischen ist. Wir wollen sie darum
noch nicht verachten, aber müssen sie ablehnen, weil sie unserem Wesen nicht
gemäß ist, es fälschen und verderben würde. Kultur und Heeresdienst sind
dem heutigen Franzosen, wie Religion und Wissenschaft, totale Gegensätze, die
er nicht miteinander vereinigen kann. Als geborener Analytiker ist er im
allgemeinen zu der höchsten Leistung des menschlichen Geistes, zur Synthese,
zur Auflösung von Antinomien unfähig, also gerade zu dem, was der deutsche
Geist seiner Anlage nach in der Welt zu leisten berufen ist. Er kann nicht
frei und fromm zu gleicher Zeit sein, nicht Soldat sein und doch alle Werke


Frankreichs Rulturexpansion und ihre Bedeutung für Deutschland

landische Zuhörer an französischen Universitäten gegeben haben. Das größte
Kontingent stellen die Slawen, vor allem die Russen, für die sogar eine besondere
französische Zeitung herausgegeben wird.

Diese Arbeit für die Ausbreitung der französischen Kultur vollzieht sich
nun — und das ist bemerkenswert — in einer für Franzosen verhältnismäßigen
Stille und Zielsicherheit; sie gehen hier ausnahmsweise ziemlich methodisch vor.
Mehrere Persönlichkeiten, die sich durch ihr organisatorisches Geschick — im
allgemeinen mangelt es den Franzosen daran — auf diesem Gebiete aus¬
gezeichnet haben, hat man ins Unterrichtsministerium berufen, um das Werk
der Kulturexpansion, weiter auszubauen. Der ehemalige tüchtige Minister Steeg
schenkte dieser Arbeit seine besondere Aufmerksamkeit.

Alle derartigen Veranstaltungen Frankreichs gehen nun darauf hinaus,
möglichst viel Zuhörer zu gewinnen, Interesse und Sympathie für französisches
Wesen zu erwecken, im Auslande Mittelpunkte des französischen Kultureinflusses
zu bilden und die Bande mit den betreffenden Ländern enger zu knüpfen; sie
sollen für das Mutterland „moralische Eroberungen" machen. Dabei tritt
mehr oder minder verhüllt eine bestimmte Tendenz zutage; die ganze Arbeit
steht im Dienste dessen, was man drüben die lass kran?al8s nennt. Man will
die Ideen der französischen Revolution, die Ideen von 1789, die Gedanken der
Völkerverbrüderung, der Abrüstung und der Schiedsgerichte in der Welt ver¬
breiten, den „kulturfeindlichen Militarismus" bekämpfen, vor allem das Dogma
jedes Franzosen der dogmensüchtigen romanischen und slawischen Welt ver¬
künden: die Überlegenheit der französischen Rasse und Kultur, die die Ver¬
treterin der modernen Menschheit und ihres Fortschrittes zum Weltfrieden ist.
Wer nun aber ist in der Welt der geschworene Feind dieser sozialistischen
Ideen? Wer allein zwingt Frankreich und die übrige Welt zu den gewaltigen
militärischen Rüstungen und hält sie davon ab, die Milliarden für Werte des
Friedens zu verwenden? Darin ist drüben alles einig: nur Deutschland!
Das moderne Deutschland ist nach der Meinung der Mehrzahl der gebildeten
Franzosen ein sogenannter Anachronismus, der Sitz des kulturfeindlichen Mili¬
tarismus und der politischen Unfreiheit in der Welt. Wir aber erwidern, daß
man instinktiv erfaßt hat: unser Heerwesen ist der Ausdruck einer heldischen
und aristokratischen Lebensauffassung, die dem Germanen im Blute liegt und
die allerdings der Todfeind der modern-französischen ist. Wir wollen sie darum
noch nicht verachten, aber müssen sie ablehnen, weil sie unserem Wesen nicht
gemäß ist, es fälschen und verderben würde. Kultur und Heeresdienst sind
dem heutigen Franzosen, wie Religion und Wissenschaft, totale Gegensätze, die
er nicht miteinander vereinigen kann. Als geborener Analytiker ist er im
allgemeinen zu der höchsten Leistung des menschlichen Geistes, zur Synthese,
zur Auflösung von Antinomien unfähig, also gerade zu dem, was der deutsche
Geist seiner Anlage nach in der Welt zu leisten berufen ist. Er kann nicht
frei und fromm zu gleicher Zeit sein, nicht Soldat sein und doch alle Werke


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0473" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325993"/>
          <fw type="header" place="top"> Frankreichs Rulturexpansion und ihre Bedeutung für Deutschland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2142" prev="#ID_2141"> landische Zuhörer an französischen Universitäten gegeben haben. Das größte<lb/>
Kontingent stellen die Slawen, vor allem die Russen, für die sogar eine besondere<lb/>
französische Zeitung herausgegeben wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2143"> Diese Arbeit für die Ausbreitung der französischen Kultur vollzieht sich<lb/>
nun &#x2014; und das ist bemerkenswert &#x2014; in einer für Franzosen verhältnismäßigen<lb/>
Stille und Zielsicherheit; sie gehen hier ausnahmsweise ziemlich methodisch vor.<lb/>
Mehrere Persönlichkeiten, die sich durch ihr organisatorisches Geschick &#x2014; im<lb/>
allgemeinen mangelt es den Franzosen daran &#x2014; auf diesem Gebiete aus¬<lb/>
gezeichnet haben, hat man ins Unterrichtsministerium berufen, um das Werk<lb/>
der Kulturexpansion, weiter auszubauen. Der ehemalige tüchtige Minister Steeg<lb/>
schenkte dieser Arbeit seine besondere Aufmerksamkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2144" next="#ID_2145"> Alle derartigen Veranstaltungen Frankreichs gehen nun darauf hinaus,<lb/>
möglichst viel Zuhörer zu gewinnen, Interesse und Sympathie für französisches<lb/>
Wesen zu erwecken, im Auslande Mittelpunkte des französischen Kultureinflusses<lb/>
zu bilden und die Bande mit den betreffenden Ländern enger zu knüpfen; sie<lb/>
sollen für das Mutterland &#x201E;moralische Eroberungen" machen. Dabei tritt<lb/>
mehr oder minder verhüllt eine bestimmte Tendenz zutage; die ganze Arbeit<lb/>
steht im Dienste dessen, was man drüben die lass kran?al8s nennt. Man will<lb/>
die Ideen der französischen Revolution, die Ideen von 1789, die Gedanken der<lb/>
Völkerverbrüderung, der Abrüstung und der Schiedsgerichte in der Welt ver¬<lb/>
breiten, den &#x201E;kulturfeindlichen Militarismus" bekämpfen, vor allem das Dogma<lb/>
jedes Franzosen der dogmensüchtigen romanischen und slawischen Welt ver¬<lb/>
künden: die Überlegenheit der französischen Rasse und Kultur, die die Ver¬<lb/>
treterin der modernen Menschheit und ihres Fortschrittes zum Weltfrieden ist.<lb/>
Wer nun aber ist in der Welt der geschworene Feind dieser sozialistischen<lb/>
Ideen? Wer allein zwingt Frankreich und die übrige Welt zu den gewaltigen<lb/>
militärischen Rüstungen und hält sie davon ab, die Milliarden für Werte des<lb/>
Friedens zu verwenden? Darin ist drüben alles einig: nur Deutschland!<lb/>
Das moderne Deutschland ist nach der Meinung der Mehrzahl der gebildeten<lb/>
Franzosen ein sogenannter Anachronismus, der Sitz des kulturfeindlichen Mili¬<lb/>
tarismus und der politischen Unfreiheit in der Welt. Wir aber erwidern, daß<lb/>
man instinktiv erfaßt hat: unser Heerwesen ist der Ausdruck einer heldischen<lb/>
und aristokratischen Lebensauffassung, die dem Germanen im Blute liegt und<lb/>
die allerdings der Todfeind der modern-französischen ist. Wir wollen sie darum<lb/>
noch nicht verachten, aber müssen sie ablehnen, weil sie unserem Wesen nicht<lb/>
gemäß ist, es fälschen und verderben würde. Kultur und Heeresdienst sind<lb/>
dem heutigen Franzosen, wie Religion und Wissenschaft, totale Gegensätze, die<lb/>
er nicht miteinander vereinigen kann. Als geborener Analytiker ist er im<lb/>
allgemeinen zu der höchsten Leistung des menschlichen Geistes, zur Synthese,<lb/>
zur Auflösung von Antinomien unfähig, also gerade zu dem, was der deutsche<lb/>
Geist seiner Anlage nach in der Welt zu leisten berufen ist. Er kann nicht<lb/>
frei und fromm zu gleicher Zeit sein, nicht Soldat sein und doch alle Werke</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0473] Frankreichs Rulturexpansion und ihre Bedeutung für Deutschland landische Zuhörer an französischen Universitäten gegeben haben. Das größte Kontingent stellen die Slawen, vor allem die Russen, für die sogar eine besondere französische Zeitung herausgegeben wird. Diese Arbeit für die Ausbreitung der französischen Kultur vollzieht sich nun — und das ist bemerkenswert — in einer für Franzosen verhältnismäßigen Stille und Zielsicherheit; sie gehen hier ausnahmsweise ziemlich methodisch vor. Mehrere Persönlichkeiten, die sich durch ihr organisatorisches Geschick — im allgemeinen mangelt es den Franzosen daran — auf diesem Gebiete aus¬ gezeichnet haben, hat man ins Unterrichtsministerium berufen, um das Werk der Kulturexpansion, weiter auszubauen. Der ehemalige tüchtige Minister Steeg schenkte dieser Arbeit seine besondere Aufmerksamkeit. Alle derartigen Veranstaltungen Frankreichs gehen nun darauf hinaus, möglichst viel Zuhörer zu gewinnen, Interesse und Sympathie für französisches Wesen zu erwecken, im Auslande Mittelpunkte des französischen Kultureinflusses zu bilden und die Bande mit den betreffenden Ländern enger zu knüpfen; sie sollen für das Mutterland „moralische Eroberungen" machen. Dabei tritt mehr oder minder verhüllt eine bestimmte Tendenz zutage; die ganze Arbeit steht im Dienste dessen, was man drüben die lass kran?al8s nennt. Man will die Ideen der französischen Revolution, die Ideen von 1789, die Gedanken der Völkerverbrüderung, der Abrüstung und der Schiedsgerichte in der Welt ver¬ breiten, den „kulturfeindlichen Militarismus" bekämpfen, vor allem das Dogma jedes Franzosen der dogmensüchtigen romanischen und slawischen Welt ver¬ künden: die Überlegenheit der französischen Rasse und Kultur, die die Ver¬ treterin der modernen Menschheit und ihres Fortschrittes zum Weltfrieden ist. Wer nun aber ist in der Welt der geschworene Feind dieser sozialistischen Ideen? Wer allein zwingt Frankreich und die übrige Welt zu den gewaltigen militärischen Rüstungen und hält sie davon ab, die Milliarden für Werte des Friedens zu verwenden? Darin ist drüben alles einig: nur Deutschland! Das moderne Deutschland ist nach der Meinung der Mehrzahl der gebildeten Franzosen ein sogenannter Anachronismus, der Sitz des kulturfeindlichen Mili¬ tarismus und der politischen Unfreiheit in der Welt. Wir aber erwidern, daß man instinktiv erfaßt hat: unser Heerwesen ist der Ausdruck einer heldischen und aristokratischen Lebensauffassung, die dem Germanen im Blute liegt und die allerdings der Todfeind der modern-französischen ist. Wir wollen sie darum noch nicht verachten, aber müssen sie ablehnen, weil sie unserem Wesen nicht gemäß ist, es fälschen und verderben würde. Kultur und Heeresdienst sind dem heutigen Franzosen, wie Religion und Wissenschaft, totale Gegensätze, die er nicht miteinander vereinigen kann. Als geborener Analytiker ist er im allgemeinen zu der höchsten Leistung des menschlichen Geistes, zur Synthese, zur Auflösung von Antinomien unfähig, also gerade zu dem, was der deutsche Geist seiner Anlage nach in der Welt zu leisten berufen ist. Er kann nicht frei und fromm zu gleicher Zeit sein, nicht Soldat sein und doch alle Werke

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/473
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/473>, abgerufen am 28.07.2024.