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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Frankreichs Kulturexpansion und ihre Bedeutung für Deutschland

unter französischem Kultureinfluß, der nun von angelsächsischer und deutscher
Seite ernstlich bedroht wird. Dort war bisher französische Zivilisation mit der
europäischen identisch, und Paris galt als die Kulturhauptstadt der Welt. Wie
Feldmarschall von der Goltz, war auch der bekannte deutschfeindliche Staats¬
mann Clomenceau in Argentinien, wo er Vorträge über Frankreich gehalten
hat. Ein französisch-amerikanisches Komitee hat sich gebildet, das den Austausch
von amerikanischen und französischen Studenten vermittelt.

Unter den sonstigen französischen Bildungsherden in der Welt nenne ich
die medizinische Fakultät in Beyritt, die ganz Vorderasien mit Ärzten und
Apothekern versorgt und die man jetzt zu neuer Blüte bringen will.

Ferner gibt man in verschiedenen Ländern französische Zeitschriften heraus,
die meist ausgezeichnet redigiert sind und dort viel gelesen werden. So z. B.
eine in Ungarn, wo die kulturelle Sympathie für Frankreich immer lebendig
gewesen ist; aber die dem Magyaren angeborene politische Klugheit läßt solche
Kulturfreundschaft hinter seine realen Interessen zurücktreten. Auch für Rußland,
für die skandinavischen Länder und für Brasilien erscheint je eine französische
Zeitschrift. Eine andere interessiert uns Deutsche besonders: I^es NareneZ as
I'L8t, die Ostmarken; sie soll den französischen Einfluß in Belgien, Luxemburg,
Elsaß-Lothringen und in der Schweiz stärken. Sie hat z. B. in Böhmen und
Polen besondere Korrespondenten, deren Beiträge natürlich einen tiefen Haß
gegen uns atmen. Im Jahre 1911 veröffentlichte darin der nun verstorbene
Artilleriegeneral Langlois, Mitglied der Akademie, einen interessanten Aufsatz
über den Aufmarsch der deutschen Heere an der Grenze im Kriegsfalle. Daß
wir die Neutralität Belgiens, Hollands und der Schweiz nicht achten werden,
steht für ihn fest; so sollte auch dieser Artikel Mißtrauen gegen uns säen.

Durch besondere Maßregeln im Innern wird nun diese Kulturexpansion
sachgemäß und geschickt ergänzt. Man sucht systematisch ausländische Studenten
an die französischen Universitäten zu ziehen. Das ganze Hochschulwesen Frank¬
reichs ist jetzt mit auf sie zugeschnitten, besonders seit der Reform von 1902,
als man die Provinzialuniversitäten nach deutschem Muster selbständiger machte
und aufbaute. An allen Universitäten gibt es besondere Kurse für Ausländer,
besondere Komitees, um sich ihrer in jeder Beziehung anzunehmen. Sogar
Stipendien und Freistellen für ausländische Studenten sind vorhanden. Tür¬
kische und ägyptische Studenten wiesen bei meiner Frage, warum sie nicht nach
Deutschland gingen, auf alle diese Unterstützungen hin, die sie in Frankreich
fänden. Mohammedaner und Chinesen sucht man jetzt besonders nach Frank¬
reich zu ziehen. Die /^lllÄNLe iranLaiss ist auf diesem Gebiete hervorragend
tätig, hat unstreitig großartige Erfolge erzielt und ist auch gut organisiert. An
den meisten Universitäten, während des Sommers auch in französischen See¬
bädern, hat sie Vorlesungskurse für Fremde eingerichtet und sucht diese auf alle
mögliche Weise anzulocken. Sie gründet Ortsgruppen im Auslande, z. B. in
Petersburg, selbst in Deutschland. Im Jahre 1910 soll es zehntausend aus-


Frankreichs Kulturexpansion und ihre Bedeutung für Deutschland

unter französischem Kultureinfluß, der nun von angelsächsischer und deutscher
Seite ernstlich bedroht wird. Dort war bisher französische Zivilisation mit der
europäischen identisch, und Paris galt als die Kulturhauptstadt der Welt. Wie
Feldmarschall von der Goltz, war auch der bekannte deutschfeindliche Staats¬
mann Clomenceau in Argentinien, wo er Vorträge über Frankreich gehalten
hat. Ein französisch-amerikanisches Komitee hat sich gebildet, das den Austausch
von amerikanischen und französischen Studenten vermittelt.

Unter den sonstigen französischen Bildungsherden in der Welt nenne ich
die medizinische Fakultät in Beyritt, die ganz Vorderasien mit Ärzten und
Apothekern versorgt und die man jetzt zu neuer Blüte bringen will.

Ferner gibt man in verschiedenen Ländern französische Zeitschriften heraus,
die meist ausgezeichnet redigiert sind und dort viel gelesen werden. So z. B.
eine in Ungarn, wo die kulturelle Sympathie für Frankreich immer lebendig
gewesen ist; aber die dem Magyaren angeborene politische Klugheit läßt solche
Kulturfreundschaft hinter seine realen Interessen zurücktreten. Auch für Rußland,
für die skandinavischen Länder und für Brasilien erscheint je eine französische
Zeitschrift. Eine andere interessiert uns Deutsche besonders: I^es NareneZ as
I'L8t, die Ostmarken; sie soll den französischen Einfluß in Belgien, Luxemburg,
Elsaß-Lothringen und in der Schweiz stärken. Sie hat z. B. in Böhmen und
Polen besondere Korrespondenten, deren Beiträge natürlich einen tiefen Haß
gegen uns atmen. Im Jahre 1911 veröffentlichte darin der nun verstorbene
Artilleriegeneral Langlois, Mitglied der Akademie, einen interessanten Aufsatz
über den Aufmarsch der deutschen Heere an der Grenze im Kriegsfalle. Daß
wir die Neutralität Belgiens, Hollands und der Schweiz nicht achten werden,
steht für ihn fest; so sollte auch dieser Artikel Mißtrauen gegen uns säen.

Durch besondere Maßregeln im Innern wird nun diese Kulturexpansion
sachgemäß und geschickt ergänzt. Man sucht systematisch ausländische Studenten
an die französischen Universitäten zu ziehen. Das ganze Hochschulwesen Frank¬
reichs ist jetzt mit auf sie zugeschnitten, besonders seit der Reform von 1902,
als man die Provinzialuniversitäten nach deutschem Muster selbständiger machte
und aufbaute. An allen Universitäten gibt es besondere Kurse für Ausländer,
besondere Komitees, um sich ihrer in jeder Beziehung anzunehmen. Sogar
Stipendien und Freistellen für ausländische Studenten sind vorhanden. Tür¬
kische und ägyptische Studenten wiesen bei meiner Frage, warum sie nicht nach
Deutschland gingen, auf alle diese Unterstützungen hin, die sie in Frankreich
fänden. Mohammedaner und Chinesen sucht man jetzt besonders nach Frank¬
reich zu ziehen. Die /^lllÄNLe iranLaiss ist auf diesem Gebiete hervorragend
tätig, hat unstreitig großartige Erfolge erzielt und ist auch gut organisiert. An
den meisten Universitäten, während des Sommers auch in französischen See¬
bädern, hat sie Vorlesungskurse für Fremde eingerichtet und sucht diese auf alle
mögliche Weise anzulocken. Sie gründet Ortsgruppen im Auslande, z. B. in
Petersburg, selbst in Deutschland. Im Jahre 1910 soll es zehntausend aus-


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[0472] Frankreichs Kulturexpansion und ihre Bedeutung für Deutschland unter französischem Kultureinfluß, der nun von angelsächsischer und deutscher Seite ernstlich bedroht wird. Dort war bisher französische Zivilisation mit der europäischen identisch, und Paris galt als die Kulturhauptstadt der Welt. Wie Feldmarschall von der Goltz, war auch der bekannte deutschfeindliche Staats¬ mann Clomenceau in Argentinien, wo er Vorträge über Frankreich gehalten hat. Ein französisch-amerikanisches Komitee hat sich gebildet, das den Austausch von amerikanischen und französischen Studenten vermittelt. Unter den sonstigen französischen Bildungsherden in der Welt nenne ich die medizinische Fakultät in Beyritt, die ganz Vorderasien mit Ärzten und Apothekern versorgt und die man jetzt zu neuer Blüte bringen will. Ferner gibt man in verschiedenen Ländern französische Zeitschriften heraus, die meist ausgezeichnet redigiert sind und dort viel gelesen werden. So z. B. eine in Ungarn, wo die kulturelle Sympathie für Frankreich immer lebendig gewesen ist; aber die dem Magyaren angeborene politische Klugheit läßt solche Kulturfreundschaft hinter seine realen Interessen zurücktreten. Auch für Rußland, für die skandinavischen Länder und für Brasilien erscheint je eine französische Zeitschrift. Eine andere interessiert uns Deutsche besonders: I^es NareneZ as I'L8t, die Ostmarken; sie soll den französischen Einfluß in Belgien, Luxemburg, Elsaß-Lothringen und in der Schweiz stärken. Sie hat z. B. in Böhmen und Polen besondere Korrespondenten, deren Beiträge natürlich einen tiefen Haß gegen uns atmen. Im Jahre 1911 veröffentlichte darin der nun verstorbene Artilleriegeneral Langlois, Mitglied der Akademie, einen interessanten Aufsatz über den Aufmarsch der deutschen Heere an der Grenze im Kriegsfalle. Daß wir die Neutralität Belgiens, Hollands und der Schweiz nicht achten werden, steht für ihn fest; so sollte auch dieser Artikel Mißtrauen gegen uns säen. Durch besondere Maßregeln im Innern wird nun diese Kulturexpansion sachgemäß und geschickt ergänzt. Man sucht systematisch ausländische Studenten an die französischen Universitäten zu ziehen. Das ganze Hochschulwesen Frank¬ reichs ist jetzt mit auf sie zugeschnitten, besonders seit der Reform von 1902, als man die Provinzialuniversitäten nach deutschem Muster selbständiger machte und aufbaute. An allen Universitäten gibt es besondere Kurse für Ausländer, besondere Komitees, um sich ihrer in jeder Beziehung anzunehmen. Sogar Stipendien und Freistellen für ausländische Studenten sind vorhanden. Tür¬ kische und ägyptische Studenten wiesen bei meiner Frage, warum sie nicht nach Deutschland gingen, auf alle diese Unterstützungen hin, die sie in Frankreich fänden. Mohammedaner und Chinesen sucht man jetzt besonders nach Frank¬ reich zu ziehen. Die /^lllÄNLe iranLaiss ist auf diesem Gebiete hervorragend tätig, hat unstreitig großartige Erfolge erzielt und ist auch gut organisiert. An den meisten Universitäten, während des Sommers auch in französischen See¬ bädern, hat sie Vorlesungskurse für Fremde eingerichtet und sucht diese auf alle mögliche Weise anzulocken. Sie gründet Ortsgruppen im Auslande, z. B. in Petersburg, selbst in Deutschland. Im Jahre 1910 soll es zehntausend aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/472>, abgerufen am 28.07.2024.