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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Deutsches Bluts-- und Bodenrecht

denn die Geburt auf dem Reichsboden sagt nichts. Wir gründen vielmehr
unseren staatlichen Zusammenhang auf ein vom Boden gänzlich losgelöstes
Abstammungsrecht, als hätte sich unser Volk nicht verändert, seit unsere Kähne
in See stachen und unsere Planwagen aufbrachen aus den vlämischen
Niederungen zur Fahrt "gen Oostland". Weil das Leben des einzelnen schnell
dahinfährt, mag es für uns letzten Endes fast gleichgültig sein, ob sich der
nach Deutschland zurückkehrende Auswanderer für seine Person die deutsche
Nationalität wieder aneignet. Unser Interesse liegt bei seinen Kindern, die
mit ihm zurückkehren oder bei uns geboren werden, und bei seinen Enkeln.
Unser Interesse liegt darin, daß ehemals deutsche, mit einem fremden Bürger¬
rechte ausgestattete Familien nicht durch Generationen hindurch als Fremde
unter uns wohnen. Solchen Möglichkeiten und Erscheinungen gegenüber ver¬
missen wir ein deutsches Bodenrecht. Es tritt uns die Tatsache vor Augen,
daß deutsche Luft nicht deutsch macht, daß deutsch vielmehr nur die deutsch¬
gebliebenen Kinder deutschgebliebener Väter sind, einerlei, ob die Familie ihre
Zelte in Wiesbaden, am Missisippi oder am Silberstrome aufschlüge. Hat das
russische Recht seine Menschen und seinen Staatsbegriff bis in die heutige Zeit
hinein in unfreier Form an den Staatsboden gebunden, so ist es, als wären
wir in umgekehrter Richtung nicht vorangeschritten: unser Recht ist vom Boden
losgelöst, wie keines. Es ist, als würden wir noch heute im Wikingerschiffe
und nicht unter den heimischen Eichen geboren. So sehr hat also umgekehrt
Deutschland über dem germanischen Blutsrecht ganz des deutschen Bodens ver¬
gessen können. Der Grund ist zu suchen in unserer kriegerischen Vergangenheit,
die seit den Tagen Albrechts des Bären und des Deutschordens eine Krieger¬
kaste über wendisch-slavische Bauern setzte und in dem gegenwärtigen Zurück¬
sinken dieses eingedämmten Polen- und Slawentumes. Deutschland will sich die
Art erhalten, die seine Schlachten schlug, so sehr sie auch in den unteren
Schichten von je durchsetzt war mit fremdem Blute.

So konnte es kommen, daß eine, in der nordwestlichsten Ecke unseres
Reiches sich abspielende Frage, wie diejenige der dänischen Heimatlosen, die
Arbeit der für größere Dinge bestimmten Reichstagskommission ernstlich zu
hemmen vermochte. Diese "Südjüten", kaum unterscheidbar von den Deutschen
Nordschleswigs, berufen sich auf ein Naturrecht deutscher Geburt, das Deutsch¬
land nirgends kennt. Die Frage wird künstlich verschärft durch den Umstand,
daß der dänische Jnseltrotz zwar eine Volksgemeinschaft aller "Dänen" nach¬
drücklichst betont, in staatlicher Hinsicht aber eine Reichsgemeinschaft und eine
dänische Staatsangehörigkeit diesen Nachkommen in Dänemark geborener Menschen
versagt, nur um Preußen zu zwingen, sie zu widerwilligen Preußen zu machen.

Es ist unschwer festzustellen, daß Dänemark dabei Unrecht tut. Aber ebenso
offensichtlich ist es, daß eine Zeit kommen wird und muß, in der auch wir uns
dem Territorialgrundsatze der übrigen Völker bei unserem eigenen Staats¬
angehörigkeitserwerbe nähern.


Deutsches Bluts-- und Bodenrecht

denn die Geburt auf dem Reichsboden sagt nichts. Wir gründen vielmehr
unseren staatlichen Zusammenhang auf ein vom Boden gänzlich losgelöstes
Abstammungsrecht, als hätte sich unser Volk nicht verändert, seit unsere Kähne
in See stachen und unsere Planwagen aufbrachen aus den vlämischen
Niederungen zur Fahrt „gen Oostland". Weil das Leben des einzelnen schnell
dahinfährt, mag es für uns letzten Endes fast gleichgültig sein, ob sich der
nach Deutschland zurückkehrende Auswanderer für seine Person die deutsche
Nationalität wieder aneignet. Unser Interesse liegt bei seinen Kindern, die
mit ihm zurückkehren oder bei uns geboren werden, und bei seinen Enkeln.
Unser Interesse liegt darin, daß ehemals deutsche, mit einem fremden Bürger¬
rechte ausgestattete Familien nicht durch Generationen hindurch als Fremde
unter uns wohnen. Solchen Möglichkeiten und Erscheinungen gegenüber ver¬
missen wir ein deutsches Bodenrecht. Es tritt uns die Tatsache vor Augen,
daß deutsche Luft nicht deutsch macht, daß deutsch vielmehr nur die deutsch¬
gebliebenen Kinder deutschgebliebener Väter sind, einerlei, ob die Familie ihre
Zelte in Wiesbaden, am Missisippi oder am Silberstrome aufschlüge. Hat das
russische Recht seine Menschen und seinen Staatsbegriff bis in die heutige Zeit
hinein in unfreier Form an den Staatsboden gebunden, so ist es, als wären
wir in umgekehrter Richtung nicht vorangeschritten: unser Recht ist vom Boden
losgelöst, wie keines. Es ist, als würden wir noch heute im Wikingerschiffe
und nicht unter den heimischen Eichen geboren. So sehr hat also umgekehrt
Deutschland über dem germanischen Blutsrecht ganz des deutschen Bodens ver¬
gessen können. Der Grund ist zu suchen in unserer kriegerischen Vergangenheit,
die seit den Tagen Albrechts des Bären und des Deutschordens eine Krieger¬
kaste über wendisch-slavische Bauern setzte und in dem gegenwärtigen Zurück¬
sinken dieses eingedämmten Polen- und Slawentumes. Deutschland will sich die
Art erhalten, die seine Schlachten schlug, so sehr sie auch in den unteren
Schichten von je durchsetzt war mit fremdem Blute.

So konnte es kommen, daß eine, in der nordwestlichsten Ecke unseres
Reiches sich abspielende Frage, wie diejenige der dänischen Heimatlosen, die
Arbeit der für größere Dinge bestimmten Reichstagskommission ernstlich zu
hemmen vermochte. Diese „Südjüten", kaum unterscheidbar von den Deutschen
Nordschleswigs, berufen sich auf ein Naturrecht deutscher Geburt, das Deutsch¬
land nirgends kennt. Die Frage wird künstlich verschärft durch den Umstand,
daß der dänische Jnseltrotz zwar eine Volksgemeinschaft aller „Dänen" nach¬
drücklichst betont, in staatlicher Hinsicht aber eine Reichsgemeinschaft und eine
dänische Staatsangehörigkeit diesen Nachkommen in Dänemark geborener Menschen
versagt, nur um Preußen zu zwingen, sie zu widerwilligen Preußen zu machen.

Es ist unschwer festzustellen, daß Dänemark dabei Unrecht tut. Aber ebenso
offensichtlich ist es, daß eine Zeit kommen wird und muß, in der auch wir uns
dem Territorialgrundsatze der übrigen Völker bei unserem eigenen Staats¬
angehörigkeitserwerbe nähern.


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[0468] Deutsches Bluts-- und Bodenrecht denn die Geburt auf dem Reichsboden sagt nichts. Wir gründen vielmehr unseren staatlichen Zusammenhang auf ein vom Boden gänzlich losgelöstes Abstammungsrecht, als hätte sich unser Volk nicht verändert, seit unsere Kähne in See stachen und unsere Planwagen aufbrachen aus den vlämischen Niederungen zur Fahrt „gen Oostland". Weil das Leben des einzelnen schnell dahinfährt, mag es für uns letzten Endes fast gleichgültig sein, ob sich der nach Deutschland zurückkehrende Auswanderer für seine Person die deutsche Nationalität wieder aneignet. Unser Interesse liegt bei seinen Kindern, die mit ihm zurückkehren oder bei uns geboren werden, und bei seinen Enkeln. Unser Interesse liegt darin, daß ehemals deutsche, mit einem fremden Bürger¬ rechte ausgestattete Familien nicht durch Generationen hindurch als Fremde unter uns wohnen. Solchen Möglichkeiten und Erscheinungen gegenüber ver¬ missen wir ein deutsches Bodenrecht. Es tritt uns die Tatsache vor Augen, daß deutsche Luft nicht deutsch macht, daß deutsch vielmehr nur die deutsch¬ gebliebenen Kinder deutschgebliebener Väter sind, einerlei, ob die Familie ihre Zelte in Wiesbaden, am Missisippi oder am Silberstrome aufschlüge. Hat das russische Recht seine Menschen und seinen Staatsbegriff bis in die heutige Zeit hinein in unfreier Form an den Staatsboden gebunden, so ist es, als wären wir in umgekehrter Richtung nicht vorangeschritten: unser Recht ist vom Boden losgelöst, wie keines. Es ist, als würden wir noch heute im Wikingerschiffe und nicht unter den heimischen Eichen geboren. So sehr hat also umgekehrt Deutschland über dem germanischen Blutsrecht ganz des deutschen Bodens ver¬ gessen können. Der Grund ist zu suchen in unserer kriegerischen Vergangenheit, die seit den Tagen Albrechts des Bären und des Deutschordens eine Krieger¬ kaste über wendisch-slavische Bauern setzte und in dem gegenwärtigen Zurück¬ sinken dieses eingedämmten Polen- und Slawentumes. Deutschland will sich die Art erhalten, die seine Schlachten schlug, so sehr sie auch in den unteren Schichten von je durchsetzt war mit fremdem Blute. So konnte es kommen, daß eine, in der nordwestlichsten Ecke unseres Reiches sich abspielende Frage, wie diejenige der dänischen Heimatlosen, die Arbeit der für größere Dinge bestimmten Reichstagskommission ernstlich zu hemmen vermochte. Diese „Südjüten", kaum unterscheidbar von den Deutschen Nordschleswigs, berufen sich auf ein Naturrecht deutscher Geburt, das Deutsch¬ land nirgends kennt. Die Frage wird künstlich verschärft durch den Umstand, daß der dänische Jnseltrotz zwar eine Volksgemeinschaft aller „Dänen" nach¬ drücklichst betont, in staatlicher Hinsicht aber eine Reichsgemeinschaft und eine dänische Staatsangehörigkeit diesen Nachkommen in Dänemark geborener Menschen versagt, nur um Preußen zu zwingen, sie zu widerwilligen Preußen zu machen. Es ist unschwer festzustellen, daß Dänemark dabei Unrecht tut. Aber ebenso offensichtlich ist es, daß eine Zeit kommen wird und muß, in der auch wir uns dem Territorialgrundsatze der übrigen Völker bei unserem eigenen Staats¬ angehörigkeitserwerbe nähern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/468>, abgerufen am 22.12.2024.