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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Deutsches Bluts- und Vodenrecht
Dr. Hans Ratjen Vonin

s sind von je die stolzen Eroberervölker, es sind die von Skan¬
dinavien, der früheren, und von Deutschland, der späteren Völker¬
wiege, ausgehenden Herrenvölker gewesen, die bei Regelung der
Frage, wer zu ihnen gehöre oder nicht, gefußt haben auf dem
reinen Blutsrechte, dem sogenannten Personalgrundsatze. Wenn
Haus und Hof den zweitgeborenen Ritterkindern keinen Raum mehr ließen,
wenn sie an Nordfrieslands Küste ihr Schwert, den kurzen Sachs um sich banden
und die Kriegskähne ins Wasser schoben, um die britischen Kelten totzuschlagen,
dann war diesen Enterbten nur dreierlei heilig: ihr Blut, ihre Familie, ihr Volk.
Letzten Endes mag denn auch der vielbewunderte englische Grundsatz, der bis
zum Jahre 1870 in unbeschränkter Geltung war, jener Grundsatz nämlich, daß
die englische Untertanenschaft im Auswanderer unzerstörbar sei bis zu Kind und
Kindeskind, zurückzuführen sein auf das Jahrhundert der Hengist und Horsa,
auf unser fahrendes und doch so sehr an sich selbst festhaltendes Volk. Das
waren wir auch später noch, als wir "gen Oostland" fuhren. Wir waren es,
bis Hanse und Deutschorden niedergingen, bis hin in die Zeit, in der der
Dreißigjährige Krieg uns den Rest gab und das neuentdeckte Amerika unsere
Enterbten aufnahm. Diese freilich kamen waffenlos, gedrückt und zermürbt,
ein armselig "Heer ohne Offiziere". Damals war es denn auch mit der Voll¬
geltung unseres Blutes- und Abstammungsrechts zu Ende, der amerikanische Boden
bürgerte alle ein, die sich auf ihm niederließen.

Nicht daß es erst im amerikanischen Rechte entstanden wäre, dieses dem
Erobererrechte (Personalgrundsatz) entgegengesetzte, von dem großen überseeischen
Einwanderungslande verfochtene Territorialprinzip (Bodenrecht). Allüberall viel¬
mehr, wo sich in alter Zeit jenseits der See und des Rheines unsere angel¬
sächsischen und fränkischen Staatengründer in dünner Herrenschicht über Kelten
und Romanen setzten, allüberall, wo sie ihr Capua fanden und das Wandern
verlernten, mußte sich dieser Schwertadel den Boden und die auf ihm geborenen
Menschen dienstbar machen. Die Leibeigenschaft ist ein Auswuchs dieser Boden¬
herrlichkeit. Wie später selbst der kleinste Grundherr sein: "Die Luft macht
eigen" aufstellen und seine Knechte an die Scholle binden konnte, so hat es




Deutsches Bluts- und Vodenrecht
Dr. Hans Ratjen Vonin

s sind von je die stolzen Eroberervölker, es sind die von Skan¬
dinavien, der früheren, und von Deutschland, der späteren Völker¬
wiege, ausgehenden Herrenvölker gewesen, die bei Regelung der
Frage, wer zu ihnen gehöre oder nicht, gefußt haben auf dem
reinen Blutsrechte, dem sogenannten Personalgrundsatze. Wenn
Haus und Hof den zweitgeborenen Ritterkindern keinen Raum mehr ließen,
wenn sie an Nordfrieslands Küste ihr Schwert, den kurzen Sachs um sich banden
und die Kriegskähne ins Wasser schoben, um die britischen Kelten totzuschlagen,
dann war diesen Enterbten nur dreierlei heilig: ihr Blut, ihre Familie, ihr Volk.
Letzten Endes mag denn auch der vielbewunderte englische Grundsatz, der bis
zum Jahre 1870 in unbeschränkter Geltung war, jener Grundsatz nämlich, daß
die englische Untertanenschaft im Auswanderer unzerstörbar sei bis zu Kind und
Kindeskind, zurückzuführen sein auf das Jahrhundert der Hengist und Horsa,
auf unser fahrendes und doch so sehr an sich selbst festhaltendes Volk. Das
waren wir auch später noch, als wir „gen Oostland" fuhren. Wir waren es,
bis Hanse und Deutschorden niedergingen, bis hin in die Zeit, in der der
Dreißigjährige Krieg uns den Rest gab und das neuentdeckte Amerika unsere
Enterbten aufnahm. Diese freilich kamen waffenlos, gedrückt und zermürbt,
ein armselig „Heer ohne Offiziere". Damals war es denn auch mit der Voll¬
geltung unseres Blutes- und Abstammungsrechts zu Ende, der amerikanische Boden
bürgerte alle ein, die sich auf ihm niederließen.

Nicht daß es erst im amerikanischen Rechte entstanden wäre, dieses dem
Erobererrechte (Personalgrundsatz) entgegengesetzte, von dem großen überseeischen
Einwanderungslande verfochtene Territorialprinzip (Bodenrecht). Allüberall viel¬
mehr, wo sich in alter Zeit jenseits der See und des Rheines unsere angel¬
sächsischen und fränkischen Staatengründer in dünner Herrenschicht über Kelten
und Romanen setzten, allüberall, wo sie ihr Capua fanden und das Wandern
verlernten, mußte sich dieser Schwertadel den Boden und die auf ihm geborenen
Menschen dienstbar machen. Die Leibeigenschaft ist ein Auswuchs dieser Boden¬
herrlichkeit. Wie später selbst der kleinste Grundherr sein: „Die Luft macht
eigen" aufstellen und seine Knechte an die Scholle binden konnte, so hat es


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[0464] [Abbildung] Deutsches Bluts- und Vodenrecht Dr. Hans Ratjen Vonin s sind von je die stolzen Eroberervölker, es sind die von Skan¬ dinavien, der früheren, und von Deutschland, der späteren Völker¬ wiege, ausgehenden Herrenvölker gewesen, die bei Regelung der Frage, wer zu ihnen gehöre oder nicht, gefußt haben auf dem reinen Blutsrechte, dem sogenannten Personalgrundsatze. Wenn Haus und Hof den zweitgeborenen Ritterkindern keinen Raum mehr ließen, wenn sie an Nordfrieslands Küste ihr Schwert, den kurzen Sachs um sich banden und die Kriegskähne ins Wasser schoben, um die britischen Kelten totzuschlagen, dann war diesen Enterbten nur dreierlei heilig: ihr Blut, ihre Familie, ihr Volk. Letzten Endes mag denn auch der vielbewunderte englische Grundsatz, der bis zum Jahre 1870 in unbeschränkter Geltung war, jener Grundsatz nämlich, daß die englische Untertanenschaft im Auswanderer unzerstörbar sei bis zu Kind und Kindeskind, zurückzuführen sein auf das Jahrhundert der Hengist und Horsa, auf unser fahrendes und doch so sehr an sich selbst festhaltendes Volk. Das waren wir auch später noch, als wir „gen Oostland" fuhren. Wir waren es, bis Hanse und Deutschorden niedergingen, bis hin in die Zeit, in der der Dreißigjährige Krieg uns den Rest gab und das neuentdeckte Amerika unsere Enterbten aufnahm. Diese freilich kamen waffenlos, gedrückt und zermürbt, ein armselig „Heer ohne Offiziere". Damals war es denn auch mit der Voll¬ geltung unseres Blutes- und Abstammungsrechts zu Ende, der amerikanische Boden bürgerte alle ein, die sich auf ihm niederließen. Nicht daß es erst im amerikanischen Rechte entstanden wäre, dieses dem Erobererrechte (Personalgrundsatz) entgegengesetzte, von dem großen überseeischen Einwanderungslande verfochtene Territorialprinzip (Bodenrecht). Allüberall viel¬ mehr, wo sich in alter Zeit jenseits der See und des Rheines unsere angel¬ sächsischen und fränkischen Staatengründer in dünner Herrenschicht über Kelten und Romanen setzten, allüberall, wo sie ihr Capua fanden und das Wandern verlernten, mußte sich dieser Schwertadel den Boden und die auf ihm geborenen Menschen dienstbar machen. Die Leibeigenschaft ist ein Auswuchs dieser Boden¬ herrlichkeit. Wie später selbst der kleinste Grundherr sein: „Die Luft macht eigen" aufstellen und seine Knechte an die Scholle binden konnte, so hat es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/464>, abgerufen am 30.12.2024.