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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche wcltpolitik nach der Vrientkrisis

das Charakteristische für unsere Weltpolitik überhaupt und das will natur¬
gemäß der allgemeinen Beurteilung bei uns so sehr schwer eingehen, die erklär¬
licherweise immer kurze, bestimmte Schlagworte und Forderungen verlangt, die
nicht einsieht, warum es dem Engländer oder Russen möglich ist, mit wenigen
Worten seine weltpolitischen Ansprüche auszudrücken, und warum uns das
nicht auch möglich sein soll. Wer sich mit den Dingen beschäftigt, braucht
dafür keine Erklärung. Das ist eben die Folge der deutschen Geschichte seit Be¬
ginn der Neuzeit, an der wir tragen, die überall in der Gegenwart noch auch
in den kleinen politischen Geschäften des Tages sich spürbar macht. Es ist
auch keine Frage, daß dadurch unsere offizielle auswärtige Politik einen Zug
der Undurchstchtigkeit und Unübersichtlichkeit erhalten kann. Der Verständige wird
sie darum nicht schelten können, sondern spüren, daß sie sich der Kompliziertheit
unserer Lage und der Schwierigkeit, unsere Forderungen im einzelnen klar zu
formulieren, stets bewußt ist. Daß sie dabei die großen Grundtatsachen
unserer politischen Existenz immer fest im Auge hält, sollte man ihr vielmehr
danken. Grundsätzliche Kritik, wie sie bei uns zur Genüge und oft genug
ohne ausreichende Kenntnis geübt wird, wäre nur dann gerechtfertigt, nenn
diese Kompliziertheit unserer Lage und Stellung zum Vorwande genommen
würde für die Vernachlässigung unserer eigentlichen Lebensinteressen, mit anderen
Worten: für die Scheu auch vor einem Kriege. Das ist aber erst recht nicht
der Fall. Unzweideutig genug ist von Deutschland mehrmals in den letzten
Jahren erklärt worden, daß es vor einem Kriege nicht zurücksehend, und viel¬
leicht noch wirksamer als dies ist, daß im letzten Winter neben der klug sich
zurückhaltender, auf den Frieden bedachten Diplomatie unseres Reiches von
demselben Staatsmann die Durchführung der größten Rüstungsvorlage in die
Wege geleitet worden ist, die Deutschland bisher gesehen hat. Das gehört
innerlich durchaus zusammen, und aus all den schwierigen und nicht ganz
übersichtlichen Gedankengängen, die hier entwickelt worden sind, leuchtet doch
mit größter Stärke das eine hervor, daß Deutschland in der Hauptsache, ohne
daß wir das (rückendeckende) Bündnis mit Österreich unterschätzen wollen, auf
seine eigene Kraft angewiesen bleibt. Wenn die deutsche große Politik in den
Wirrnissen dieses Winters unbedingt auf den Frieden hingearbeitet, zugleich aber
um eine entsprechende Rüstung unseres Volkes sich bemüht hat, für den Fall, daß
aus allem doch die Notwendigkeit eines nicht gewollten, aber auch nicht gefürchteten
Krieges entspringt, so stand und steht sie damit auf einem Standpunkte, der genau
den realen Interessen unseres Volkes entspricht. Sie beherzigt dabei vollkommen
die abgedroschen klingenden und doch ewig wahr bleibenden alten Sätze, daß die
Politik die Kunst des Möglichen und der Krieg nur die Fortsetzung der Politik
rin anderen Mitteln ist.




Deutsche wcltpolitik nach der Vrientkrisis

das Charakteristische für unsere Weltpolitik überhaupt und das will natur¬
gemäß der allgemeinen Beurteilung bei uns so sehr schwer eingehen, die erklär¬
licherweise immer kurze, bestimmte Schlagworte und Forderungen verlangt, die
nicht einsieht, warum es dem Engländer oder Russen möglich ist, mit wenigen
Worten seine weltpolitischen Ansprüche auszudrücken, und warum uns das
nicht auch möglich sein soll. Wer sich mit den Dingen beschäftigt, braucht
dafür keine Erklärung. Das ist eben die Folge der deutschen Geschichte seit Be¬
ginn der Neuzeit, an der wir tragen, die überall in der Gegenwart noch auch
in den kleinen politischen Geschäften des Tages sich spürbar macht. Es ist
auch keine Frage, daß dadurch unsere offizielle auswärtige Politik einen Zug
der Undurchstchtigkeit und Unübersichtlichkeit erhalten kann. Der Verständige wird
sie darum nicht schelten können, sondern spüren, daß sie sich der Kompliziertheit
unserer Lage und der Schwierigkeit, unsere Forderungen im einzelnen klar zu
formulieren, stets bewußt ist. Daß sie dabei die großen Grundtatsachen
unserer politischen Existenz immer fest im Auge hält, sollte man ihr vielmehr
danken. Grundsätzliche Kritik, wie sie bei uns zur Genüge und oft genug
ohne ausreichende Kenntnis geübt wird, wäre nur dann gerechtfertigt, nenn
diese Kompliziertheit unserer Lage und Stellung zum Vorwande genommen
würde für die Vernachlässigung unserer eigentlichen Lebensinteressen, mit anderen
Worten: für die Scheu auch vor einem Kriege. Das ist aber erst recht nicht
der Fall. Unzweideutig genug ist von Deutschland mehrmals in den letzten
Jahren erklärt worden, daß es vor einem Kriege nicht zurücksehend, und viel¬
leicht noch wirksamer als dies ist, daß im letzten Winter neben der klug sich
zurückhaltender, auf den Frieden bedachten Diplomatie unseres Reiches von
demselben Staatsmann die Durchführung der größten Rüstungsvorlage in die
Wege geleitet worden ist, die Deutschland bisher gesehen hat. Das gehört
innerlich durchaus zusammen, und aus all den schwierigen und nicht ganz
übersichtlichen Gedankengängen, die hier entwickelt worden sind, leuchtet doch
mit größter Stärke das eine hervor, daß Deutschland in der Hauptsache, ohne
daß wir das (rückendeckende) Bündnis mit Österreich unterschätzen wollen, auf
seine eigene Kraft angewiesen bleibt. Wenn die deutsche große Politik in den
Wirrnissen dieses Winters unbedingt auf den Frieden hingearbeitet, zugleich aber
um eine entsprechende Rüstung unseres Volkes sich bemüht hat, für den Fall, daß
aus allem doch die Notwendigkeit eines nicht gewollten, aber auch nicht gefürchteten
Krieges entspringt, so stand und steht sie damit auf einem Standpunkte, der genau
den realen Interessen unseres Volkes entspricht. Sie beherzigt dabei vollkommen
die abgedroschen klingenden und doch ewig wahr bleibenden alten Sätze, daß die
Politik die Kunst des Möglichen und der Krieg nur die Fortsetzung der Politik
rin anderen Mitteln ist.




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[0463] Deutsche wcltpolitik nach der Vrientkrisis das Charakteristische für unsere Weltpolitik überhaupt und das will natur¬ gemäß der allgemeinen Beurteilung bei uns so sehr schwer eingehen, die erklär¬ licherweise immer kurze, bestimmte Schlagworte und Forderungen verlangt, die nicht einsieht, warum es dem Engländer oder Russen möglich ist, mit wenigen Worten seine weltpolitischen Ansprüche auszudrücken, und warum uns das nicht auch möglich sein soll. Wer sich mit den Dingen beschäftigt, braucht dafür keine Erklärung. Das ist eben die Folge der deutschen Geschichte seit Be¬ ginn der Neuzeit, an der wir tragen, die überall in der Gegenwart noch auch in den kleinen politischen Geschäften des Tages sich spürbar macht. Es ist auch keine Frage, daß dadurch unsere offizielle auswärtige Politik einen Zug der Undurchstchtigkeit und Unübersichtlichkeit erhalten kann. Der Verständige wird sie darum nicht schelten können, sondern spüren, daß sie sich der Kompliziertheit unserer Lage und der Schwierigkeit, unsere Forderungen im einzelnen klar zu formulieren, stets bewußt ist. Daß sie dabei die großen Grundtatsachen unserer politischen Existenz immer fest im Auge hält, sollte man ihr vielmehr danken. Grundsätzliche Kritik, wie sie bei uns zur Genüge und oft genug ohne ausreichende Kenntnis geübt wird, wäre nur dann gerechtfertigt, nenn diese Kompliziertheit unserer Lage und Stellung zum Vorwande genommen würde für die Vernachlässigung unserer eigentlichen Lebensinteressen, mit anderen Worten: für die Scheu auch vor einem Kriege. Das ist aber erst recht nicht der Fall. Unzweideutig genug ist von Deutschland mehrmals in den letzten Jahren erklärt worden, daß es vor einem Kriege nicht zurücksehend, und viel¬ leicht noch wirksamer als dies ist, daß im letzten Winter neben der klug sich zurückhaltender, auf den Frieden bedachten Diplomatie unseres Reiches von demselben Staatsmann die Durchführung der größten Rüstungsvorlage in die Wege geleitet worden ist, die Deutschland bisher gesehen hat. Das gehört innerlich durchaus zusammen, und aus all den schwierigen und nicht ganz übersichtlichen Gedankengängen, die hier entwickelt worden sind, leuchtet doch mit größter Stärke das eine hervor, daß Deutschland in der Hauptsache, ohne daß wir das (rückendeckende) Bündnis mit Österreich unterschätzen wollen, auf seine eigene Kraft angewiesen bleibt. Wenn die deutsche große Politik in den Wirrnissen dieses Winters unbedingt auf den Frieden hingearbeitet, zugleich aber um eine entsprechende Rüstung unseres Volkes sich bemüht hat, für den Fall, daß aus allem doch die Notwendigkeit eines nicht gewollten, aber auch nicht gefürchteten Krieges entspringt, so stand und steht sie damit auf einem Standpunkte, der genau den realen Interessen unseres Volkes entspricht. Sie beherzigt dabei vollkommen die abgedroschen klingenden und doch ewig wahr bleibenden alten Sätze, daß die Politik die Kunst des Möglichen und der Krieg nur die Fortsetzung der Politik rin anderen Mitteln ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/463>, abgerufen am 27.07.2024.