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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Weltpolitik nach der Oricntkrisis

Entfaltung ferner dadurch, daß Frankreich im Abkommen mit Deutschland zwar
nicht ausdrücklich auf sein vertragsmäßiges Vorkaufsrecht auf den Kongo ver¬
zichtet, aber sich verpflichtet hat, im Kongobecken keine territorialen Veränderungen
vorzunehmen ohne Deutschland und die anderen Signatarmächte der Kongoakte,
so daß also die weitere internationale Behandlung des Problems gesichert ist.
Und das ist für Deutschland zunächst die Hauptsache.

Wichtiger bleibt aber doch die Haltung Englands. In dieser ist nicht nur
allgemein, sondern auch Afrika gegenüber eine deutlich erkennbare Änderung
eingetreten. Die vorliegende Schrift erinnert mit berechtigtem Nachdruck an
die außerordentlich wichtige Erklärung, die Sir Edward Grey im Parlament
am 27. November 1911 abgegeben hat und die hier im Hauptteile wieder¬
gegeben werden muß:

"Nach meiner Ansicht -- wenn ich auch in dieser Frage nur für mich selber
sprechen möchte -- ist es eine weise Politik für England, daß wir uns so wenig
wie möglich weiter ausdehnen, namentlich durch künftige Erwerbungen in Afrika.
Natürlich gibt es gewisse Gebiete in Afrika, die in absoluter Grenznachbarschaft
mit britischen Besitzungen liegen, namentlich mit denen der südafrikanischen
Union, und die wir nicht in andere Hände kommen lassen könnten, wenn terri¬
toriale Veränderungen stattfinden sollten. Und wenn es zu großen territorialen
Veränderungen käme, so würde es in der Nachbarschaft britischen Gebiets andere
Fragen wie Grenzregulierungen geben. Aber das ist keine Expansionspolitik,
und wenn es so große territoriale Veränderungen in Afrika geben sollte, die
natürlich in Freundschaft und durch Verhandlungen mit anderen Mächten Zu¬
standekommen müßten, dann sind wir, wenn Deutschland mit anderen
Ländern freundschaftliche Vereinbarungen in bezug auf Afrika treffen
will, nicht bestrebt, ihm und den anderen Ländern in den Weg zu
treten. Ich halte das für eine weise Politik für England, und wenn es für
uns eine weise Politik ist. sich nicht in große Expansionspläne einzulassen, so
würde es nach meiner Meinung diplomatisch wie moralisch falsch sein, anderen
gegenüber eine mißgünstige Politik zu verfolgen."

Diese Erklärung ist damals vom Führer der Opposition gleichfalls abgegeben
worden. Ihr Sinn ist seitdem, auch in bezug auf andere Expansionsgebiete
der Erde, z. B. auf Persien, häufiger wiederholt worden, so daß wir berechtigt
sind, darin eine dauernde Neuorientierung der großen englischen Politik zu sehen,
für die sich ja auch sonst, in der Haltung Englands zur Balkankrise, im --
soweit man davon sprechen kann -- politischen Programm des Königs Georg u. ä.,
eine ganze Reihe Symptome anführen lassen. Der durch die englische Politik
jetzt gehende Gedanke scheint doch zu sein das Bemühen, die Selbstverwaltungs¬
kolonien enger mit dem Reiche zu verbinden und, worauf in unserer Schrift
nicht hingewiesen wird, Ägypten und Indien unbedingt zu sichern und zu
diesem Zwecke gleichfalls miteinander zu verbinden. Man ist daher in Afrika
vorläufig gleichfalls saturiert, freilich mit allen Vorbehalten, die in der Rede


Deutsche Weltpolitik nach der Oricntkrisis

Entfaltung ferner dadurch, daß Frankreich im Abkommen mit Deutschland zwar
nicht ausdrücklich auf sein vertragsmäßiges Vorkaufsrecht auf den Kongo ver¬
zichtet, aber sich verpflichtet hat, im Kongobecken keine territorialen Veränderungen
vorzunehmen ohne Deutschland und die anderen Signatarmächte der Kongoakte,
so daß also die weitere internationale Behandlung des Problems gesichert ist.
Und das ist für Deutschland zunächst die Hauptsache.

Wichtiger bleibt aber doch die Haltung Englands. In dieser ist nicht nur
allgemein, sondern auch Afrika gegenüber eine deutlich erkennbare Änderung
eingetreten. Die vorliegende Schrift erinnert mit berechtigtem Nachdruck an
die außerordentlich wichtige Erklärung, die Sir Edward Grey im Parlament
am 27. November 1911 abgegeben hat und die hier im Hauptteile wieder¬
gegeben werden muß:

„Nach meiner Ansicht — wenn ich auch in dieser Frage nur für mich selber
sprechen möchte — ist es eine weise Politik für England, daß wir uns so wenig
wie möglich weiter ausdehnen, namentlich durch künftige Erwerbungen in Afrika.
Natürlich gibt es gewisse Gebiete in Afrika, die in absoluter Grenznachbarschaft
mit britischen Besitzungen liegen, namentlich mit denen der südafrikanischen
Union, und die wir nicht in andere Hände kommen lassen könnten, wenn terri¬
toriale Veränderungen stattfinden sollten. Und wenn es zu großen territorialen
Veränderungen käme, so würde es in der Nachbarschaft britischen Gebiets andere
Fragen wie Grenzregulierungen geben. Aber das ist keine Expansionspolitik,
und wenn es so große territoriale Veränderungen in Afrika geben sollte, die
natürlich in Freundschaft und durch Verhandlungen mit anderen Mächten Zu¬
standekommen müßten, dann sind wir, wenn Deutschland mit anderen
Ländern freundschaftliche Vereinbarungen in bezug auf Afrika treffen
will, nicht bestrebt, ihm und den anderen Ländern in den Weg zu
treten. Ich halte das für eine weise Politik für England, und wenn es für
uns eine weise Politik ist. sich nicht in große Expansionspläne einzulassen, so
würde es nach meiner Meinung diplomatisch wie moralisch falsch sein, anderen
gegenüber eine mißgünstige Politik zu verfolgen."

Diese Erklärung ist damals vom Führer der Opposition gleichfalls abgegeben
worden. Ihr Sinn ist seitdem, auch in bezug auf andere Expansionsgebiete
der Erde, z. B. auf Persien, häufiger wiederholt worden, so daß wir berechtigt
sind, darin eine dauernde Neuorientierung der großen englischen Politik zu sehen,
für die sich ja auch sonst, in der Haltung Englands zur Balkankrise, im —
soweit man davon sprechen kann — politischen Programm des Königs Georg u. ä.,
eine ganze Reihe Symptome anführen lassen. Der durch die englische Politik
jetzt gehende Gedanke scheint doch zu sein das Bemühen, die Selbstverwaltungs¬
kolonien enger mit dem Reiche zu verbinden und, worauf in unserer Schrift
nicht hingewiesen wird, Ägypten und Indien unbedingt zu sichern und zu
diesem Zwecke gleichfalls miteinander zu verbinden. Man ist daher in Afrika
vorläufig gleichfalls saturiert, freilich mit allen Vorbehalten, die in der Rede


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[0461] Deutsche Weltpolitik nach der Oricntkrisis Entfaltung ferner dadurch, daß Frankreich im Abkommen mit Deutschland zwar nicht ausdrücklich auf sein vertragsmäßiges Vorkaufsrecht auf den Kongo ver¬ zichtet, aber sich verpflichtet hat, im Kongobecken keine territorialen Veränderungen vorzunehmen ohne Deutschland und die anderen Signatarmächte der Kongoakte, so daß also die weitere internationale Behandlung des Problems gesichert ist. Und das ist für Deutschland zunächst die Hauptsache. Wichtiger bleibt aber doch die Haltung Englands. In dieser ist nicht nur allgemein, sondern auch Afrika gegenüber eine deutlich erkennbare Änderung eingetreten. Die vorliegende Schrift erinnert mit berechtigtem Nachdruck an die außerordentlich wichtige Erklärung, die Sir Edward Grey im Parlament am 27. November 1911 abgegeben hat und die hier im Hauptteile wieder¬ gegeben werden muß: „Nach meiner Ansicht — wenn ich auch in dieser Frage nur für mich selber sprechen möchte — ist es eine weise Politik für England, daß wir uns so wenig wie möglich weiter ausdehnen, namentlich durch künftige Erwerbungen in Afrika. Natürlich gibt es gewisse Gebiete in Afrika, die in absoluter Grenznachbarschaft mit britischen Besitzungen liegen, namentlich mit denen der südafrikanischen Union, und die wir nicht in andere Hände kommen lassen könnten, wenn terri¬ toriale Veränderungen stattfinden sollten. Und wenn es zu großen territorialen Veränderungen käme, so würde es in der Nachbarschaft britischen Gebiets andere Fragen wie Grenzregulierungen geben. Aber das ist keine Expansionspolitik, und wenn es so große territoriale Veränderungen in Afrika geben sollte, die natürlich in Freundschaft und durch Verhandlungen mit anderen Mächten Zu¬ standekommen müßten, dann sind wir, wenn Deutschland mit anderen Ländern freundschaftliche Vereinbarungen in bezug auf Afrika treffen will, nicht bestrebt, ihm und den anderen Ländern in den Weg zu treten. Ich halte das für eine weise Politik für England, und wenn es für uns eine weise Politik ist. sich nicht in große Expansionspläne einzulassen, so würde es nach meiner Meinung diplomatisch wie moralisch falsch sein, anderen gegenüber eine mißgünstige Politik zu verfolgen." Diese Erklärung ist damals vom Führer der Opposition gleichfalls abgegeben worden. Ihr Sinn ist seitdem, auch in bezug auf andere Expansionsgebiete der Erde, z. B. auf Persien, häufiger wiederholt worden, so daß wir berechtigt sind, darin eine dauernde Neuorientierung der großen englischen Politik zu sehen, für die sich ja auch sonst, in der Haltung Englands zur Balkankrise, im — soweit man davon sprechen kann — politischen Programm des Königs Georg u. ä., eine ganze Reihe Symptome anführen lassen. Der durch die englische Politik jetzt gehende Gedanke scheint doch zu sein das Bemühen, die Selbstverwaltungs¬ kolonien enger mit dem Reiche zu verbinden und, worauf in unserer Schrift nicht hingewiesen wird, Ägypten und Indien unbedingt zu sichern und zu diesem Zwecke gleichfalls miteinander zu verbinden. Man ist daher in Afrika vorläufig gleichfalls saturiert, freilich mit allen Vorbehalten, die in der Rede

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/461>, abgerufen am 28.07.2024.