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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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(vierhundertundvierzig im Text, fünf bunte
und sechs einfarbige Tafeln) und Karten
bringt das Geschilderte zu lebendiger An¬
schauung und macht das Buch zu einem vor¬
züglichen Unterrichtsmittel sür höhere Schulen,
für die es durch seine vortreffliche Ausstattung
und den billigen Preis (12 Mark) auch als
Bücherprämie sehr geeignet ist.

Auf den reichen Inhalt im einzelnen ein¬
zugehen, ist hier nicht Wohl möglich, nur die
leitenden Gedanken, die von den Verfassern
konsequent festgehalten werden, können hier
herausgehoben werden. Im ersten, dem
"Hellenismus" gewidmeten Teile (bis S. 216)
werden die drei Gebiete: Staat, Leben und
Götterverehrung, geistige Entwicklung und
Schrifttum, bildende Kunst zusammenfassend
durch die ganze Periode verfolgt. Im Staats¬
leben tritt das alte Hellas hinter den mo¬
narchischen Großreichen des Ostens, sein alter
Mittelpunkt Athen hinter den neuen Gro߬
städten Asiens und Ägyptens, Alerandria,
Antiochia, Pergamon ebenso zurück, wie die
exklusive hellenische polis, der Stadtstaat, dem
monarchischen Flächenstaat mit seinem in
Makedonien patriarchalischen, im Orient despo¬
tischen Königtum, seinem vielgestaltigen Berufs¬
beamtentum, seinem Finanz- und Kriegswesen
und seinem vielseitig durchgebildeten, dem
römischen durchaus ebenbürtigen Rechte weicht
und sich auf munizipale Selbstverwaltung be¬
schränkt. Nur wenige Stadtrepubliken wie
Rhodos behaupten ihre alte Selbständigkeit.
Ein kräftiger Mittelstand bildet sich nicht aus,
Wohl aber wächst die Zahl der freien Ar¬
beiter, während die Sklavenschaft bei weitem
nicht so stark ist, wie später bei den Römern.
Dank den zahllosen Papyrusfunden, aus
denen eine besondere Wissenschaft empor¬
gestiegen ist, können wir das alles am besten
in Ägypten erkennen. Wie sich nun das
Griechische über ungeheuere Räume verbreitet,
bildet sich auf der Grundlage des attischen
Dialekts die griechische Gemeinsprache, die
Koinö; sie wird im Orient bis Indien hin
zur Weltsprache und dadurch geeignet, die
Trägerin des Christentums zu werden. Mit
der alten polis schwindet auch der starre
Stadtpatriotismus, der Stadtbürger wird zum
Privatmann, zum Weltbürger und sein Ziel
die Ausbildung des Individuums. Daher

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tritt der Wille zur Erkenntnis beherrschend
hervor, und es entfaltet sich, vor allem in
Alexandria, eine Blüte der Wissenschaft, der die
althellenische Zeit nichts an die Seite zu setzen
hat und die erst in der Neuzeit wieder erreicht
wird. Die Philosophie der Stoiker und Epi¬
kuräer stellt durchgebildete Systeme der Moral
auf, die für den Gebildeten den schwindenden
Götterglauben ersetzen; ganz neu ersteht die
Philologie, die Geschichte wird zur Welt¬
geschichte, Mathematik und Mechanik, Astro¬
nomie und Geographie, Naturkunde und
Heilkunde schaffen die festen Grundlagen der
modernen Wissenschaft, die das Mittelalter
fast ganz vergaß, soweit sie nicht die Araber
bewahrten, bis die Renaissance sie wieder auf¬
deckte und an sie anknüpfte.

In der Dichtung wiegt die Reflexions¬
poesie durchaus vor, aber Mencmders bürger¬
liche Komödie wird das Vorbild für das
römische und durch dieses für das moderne
Lustspiel, wie Theokrits Jdyllendichtung, der
notwendige Rückschlag gegen die herrschende
Uberkultur, in verwandten Zeiten für die Pflege
dieser Gattung in der römischen und mo¬
dernen Literatur. Ganz besonderes Interesse
und weitgehende Wirkung hat die hellenistische
Kunst erregt, denn sie hatte ganz neue und
vielseitige Aufgaben zu lösen, nachdem die
volle Durchbildung der Technik erreicht war:
den Planmäßigen großartigen Städtebau bei
den vielen Neuanlagen im Osten, in der
Plastik und Malerei die realistische Dar¬
stellung des Porträts, der Landschaft und des
Leidenschaftlich-Pathetischen, dazu die Be¬
friedigung der Prachtliebe an den Fürsten¬
höfen und im vornehmen Haushalt durch eine
unübertroffene Entwicklung des Kunstgewerbes.
Reben die alten Kunststätten Sikyon und Athen
treten beherrschend und in besonderer Eigenart
Alexandria, Pergamon (der Zeusaltar, die
Gallierstatuen), Rhodos (Laokoon), Priene,
das jetzt wieder aufgedeckte Bild einer helle¬
nistischen Kleinstadt, das von Alexander wie¬
derhergestellte Milet, die hellenistische Gro߬
stadt, und Delos, das uns das vornehme
hellenistische Privathaus zeigt. Diese helle¬
nistische Kunst, vornehmlich die Plastik, ist
der Neuzeit viel früher bekannt geworden, als
die der klassischen Zeit, und sie, nicht diese
hat die römische Kunst beherrscht.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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(vierhundertundvierzig im Text, fünf bunte
und sechs einfarbige Tafeln) und Karten
bringt das Geschilderte zu lebendiger An¬
schauung und macht das Buch zu einem vor¬
züglichen Unterrichtsmittel sür höhere Schulen,
für die es durch seine vortreffliche Ausstattung
und den billigen Preis (12 Mark) auch als
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Auf den reichen Inhalt im einzelnen ein¬
zugehen, ist hier nicht Wohl möglich, nur die
leitenden Gedanken, die von den Verfassern
konsequent festgehalten werden, können hier
herausgehoben werden. Im ersten, dem
„Hellenismus" gewidmeten Teile (bis S. 216)
werden die drei Gebiete: Staat, Leben und
Götterverehrung, geistige Entwicklung und
Schrifttum, bildende Kunst zusammenfassend
durch die ganze Periode verfolgt. Im Staats¬
leben tritt das alte Hellas hinter den mo¬
narchischen Großreichen des Ostens, sein alter
Mittelpunkt Athen hinter den neuen Gro߬
städten Asiens und Ägyptens, Alerandria,
Antiochia, Pergamon ebenso zurück, wie die
exklusive hellenische polis, der Stadtstaat, dem
monarchischen Flächenstaat mit seinem in
Makedonien patriarchalischen, im Orient despo¬
tischen Königtum, seinem vielgestaltigen Berufs¬
beamtentum, seinem Finanz- und Kriegswesen
und seinem vielseitig durchgebildeten, dem
römischen durchaus ebenbürtigen Rechte weicht
und sich auf munizipale Selbstverwaltung be¬
schränkt. Nur wenige Stadtrepubliken wie
Rhodos behaupten ihre alte Selbständigkeit.
Ein kräftiger Mittelstand bildet sich nicht aus,
Wohl aber wächst die Zahl der freien Ar¬
beiter, während die Sklavenschaft bei weitem
nicht so stark ist, wie später bei den Römern.
Dank den zahllosen Papyrusfunden, aus
denen eine besondere Wissenschaft empor¬
gestiegen ist, können wir das alles am besten
in Ägypten erkennen. Wie sich nun das
Griechische über ungeheuere Räume verbreitet,
bildet sich auf der Grundlage des attischen
Dialekts die griechische Gemeinsprache, die
Koinö; sie wird im Orient bis Indien hin
zur Weltsprache und dadurch geeignet, die
Trägerin des Christentums zu werden. Mit
der alten polis schwindet auch der starre
Stadtpatriotismus, der Stadtbürger wird zum
Privatmann, zum Weltbürger und sein Ziel
die Ausbildung des Individuums. Daher

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tritt der Wille zur Erkenntnis beherrschend
hervor, und es entfaltet sich, vor allem in
Alexandria, eine Blüte der Wissenschaft, der die
althellenische Zeit nichts an die Seite zu setzen
hat und die erst in der Neuzeit wieder erreicht
wird. Die Philosophie der Stoiker und Epi¬
kuräer stellt durchgebildete Systeme der Moral
auf, die für den Gebildeten den schwindenden
Götterglauben ersetzen; ganz neu ersteht die
Philologie, die Geschichte wird zur Welt¬
geschichte, Mathematik und Mechanik, Astro¬
nomie und Geographie, Naturkunde und
Heilkunde schaffen die festen Grundlagen der
modernen Wissenschaft, die das Mittelalter
fast ganz vergaß, soweit sie nicht die Araber
bewahrten, bis die Renaissance sie wieder auf¬
deckte und an sie anknüpfte.

In der Dichtung wiegt die Reflexions¬
poesie durchaus vor, aber Mencmders bürger¬
liche Komödie wird das Vorbild für das
römische und durch dieses für das moderne
Lustspiel, wie Theokrits Jdyllendichtung, der
notwendige Rückschlag gegen die herrschende
Uberkultur, in verwandten Zeiten für die Pflege
dieser Gattung in der römischen und mo¬
dernen Literatur. Ganz besonderes Interesse
und weitgehende Wirkung hat die hellenistische
Kunst erregt, denn sie hatte ganz neue und
vielseitige Aufgaben zu lösen, nachdem die
volle Durchbildung der Technik erreicht war:
den Planmäßigen großartigen Städtebau bei
den vielen Neuanlagen im Osten, in der
Plastik und Malerei die realistische Dar¬
stellung des Porträts, der Landschaft und des
Leidenschaftlich-Pathetischen, dazu die Be¬
friedigung der Prachtliebe an den Fürsten¬
höfen und im vornehmen Haushalt durch eine
unübertroffene Entwicklung des Kunstgewerbes.
Reben die alten Kunststätten Sikyon und Athen
treten beherrschend und in besonderer Eigenart
Alexandria, Pergamon (der Zeusaltar, die
Gallierstatuen), Rhodos (Laokoon), Priene,
das jetzt wieder aufgedeckte Bild einer helle¬
nistischen Kleinstadt, das von Alexander wie¬
derhergestellte Milet, die hellenistische Gro߬
stadt, und Delos, das uns das vornehme
hellenistische Privathaus zeigt. Diese helle¬
nistische Kunst, vornehmlich die Plastik, ist
der Neuzeit viel früher bekannt geworden, als
die der klassischen Zeit, und sie, nicht diese
hat die römische Kunst beherrscht.

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[0448] Maßgebliches und Unmaßgebliches (vierhundertundvierzig im Text, fünf bunte und sechs einfarbige Tafeln) und Karten bringt das Geschilderte zu lebendiger An¬ schauung und macht das Buch zu einem vor¬ züglichen Unterrichtsmittel sür höhere Schulen, für die es durch seine vortreffliche Ausstattung und den billigen Preis (12 Mark) auch als Bücherprämie sehr geeignet ist. Auf den reichen Inhalt im einzelnen ein¬ zugehen, ist hier nicht Wohl möglich, nur die leitenden Gedanken, die von den Verfassern konsequent festgehalten werden, können hier herausgehoben werden. Im ersten, dem „Hellenismus" gewidmeten Teile (bis S. 216) werden die drei Gebiete: Staat, Leben und Götterverehrung, geistige Entwicklung und Schrifttum, bildende Kunst zusammenfassend durch die ganze Periode verfolgt. Im Staats¬ leben tritt das alte Hellas hinter den mo¬ narchischen Großreichen des Ostens, sein alter Mittelpunkt Athen hinter den neuen Gro߬ städten Asiens und Ägyptens, Alerandria, Antiochia, Pergamon ebenso zurück, wie die exklusive hellenische polis, der Stadtstaat, dem monarchischen Flächenstaat mit seinem in Makedonien patriarchalischen, im Orient despo¬ tischen Königtum, seinem vielgestaltigen Berufs¬ beamtentum, seinem Finanz- und Kriegswesen und seinem vielseitig durchgebildeten, dem römischen durchaus ebenbürtigen Rechte weicht und sich auf munizipale Selbstverwaltung be¬ schränkt. Nur wenige Stadtrepubliken wie Rhodos behaupten ihre alte Selbständigkeit. Ein kräftiger Mittelstand bildet sich nicht aus, Wohl aber wächst die Zahl der freien Ar¬ beiter, während die Sklavenschaft bei weitem nicht so stark ist, wie später bei den Römern. Dank den zahllosen Papyrusfunden, aus denen eine besondere Wissenschaft empor¬ gestiegen ist, können wir das alles am besten in Ägypten erkennen. Wie sich nun das Griechische über ungeheuere Räume verbreitet, bildet sich auf der Grundlage des attischen Dialekts die griechische Gemeinsprache, die Koinö; sie wird im Orient bis Indien hin zur Weltsprache und dadurch geeignet, die Trägerin des Christentums zu werden. Mit der alten polis schwindet auch der starre Stadtpatriotismus, der Stadtbürger wird zum Privatmann, zum Weltbürger und sein Ziel die Ausbildung des Individuums. Daher tritt der Wille zur Erkenntnis beherrschend hervor, und es entfaltet sich, vor allem in Alexandria, eine Blüte der Wissenschaft, der die althellenische Zeit nichts an die Seite zu setzen hat und die erst in der Neuzeit wieder erreicht wird. Die Philosophie der Stoiker und Epi¬ kuräer stellt durchgebildete Systeme der Moral auf, die für den Gebildeten den schwindenden Götterglauben ersetzen; ganz neu ersteht die Philologie, die Geschichte wird zur Welt¬ geschichte, Mathematik und Mechanik, Astro¬ nomie und Geographie, Naturkunde und Heilkunde schaffen die festen Grundlagen der modernen Wissenschaft, die das Mittelalter fast ganz vergaß, soweit sie nicht die Araber bewahrten, bis die Renaissance sie wieder auf¬ deckte und an sie anknüpfte. In der Dichtung wiegt die Reflexions¬ poesie durchaus vor, aber Mencmders bürger¬ liche Komödie wird das Vorbild für das römische und durch dieses für das moderne Lustspiel, wie Theokrits Jdyllendichtung, der notwendige Rückschlag gegen die herrschende Uberkultur, in verwandten Zeiten für die Pflege dieser Gattung in der römischen und mo¬ dernen Literatur. Ganz besonderes Interesse und weitgehende Wirkung hat die hellenistische Kunst erregt, denn sie hatte ganz neue und vielseitige Aufgaben zu lösen, nachdem die volle Durchbildung der Technik erreicht war: den Planmäßigen großartigen Städtebau bei den vielen Neuanlagen im Osten, in der Plastik und Malerei die realistische Dar¬ stellung des Porträts, der Landschaft und des Leidenschaftlich-Pathetischen, dazu die Be¬ friedigung der Prachtliebe an den Fürsten¬ höfen und im vornehmen Haushalt durch eine unübertroffene Entwicklung des Kunstgewerbes. Reben die alten Kunststätten Sikyon und Athen treten beherrschend und in besonderer Eigenart Alexandria, Pergamon (der Zeusaltar, die Gallierstatuen), Rhodos (Laokoon), Priene, das jetzt wieder aufgedeckte Bild einer helle¬ nistischen Kleinstadt, das von Alexander wie¬ derhergestellte Milet, die hellenistische Gro߬ stadt, und Delos, das uns das vornehme hellenistische Privathaus zeigt. Diese helle¬ nistische Kunst, vornehmlich die Plastik, ist der Neuzeit viel früher bekannt geworden, als die der klassischen Zeit, und sie, nicht diese hat die römische Kunst beherrscht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/448>, abgerufen am 27.07.2024.