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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

Aus dem Saal hörte man eine heisere Baßstimme.

"Wo est Fro Barronnin? Lassen Sie! Dönke, Dönke, Dönke! Tut nix,
das bißchen Staub kommt von weite Reise -- nitschewo, nitschewo!" Alles
wandte sich nach der Tür. Es war, als wenn der russische Bär selbst aus dem
Walde herausbräche.

Graf Woldemar sprang auf: "Das ist nämlich Dimitrief! Den kenne ich
gut!" Er ging auf den riesigen Menschen zu, dem die Dienstmädchen mit
Mühe und Not den beschmutzten Pelzmantel abgenommen hatten und begrüßte
ihn kichernd.

"Oh Herr Graff!" rief der Russe erfreut und schlug dem Grafen kräftig
auf die Schulter. "Serr angenämm! Frau Barronnin entschuldigen, daß ich
so platze mitten hinein in Souper. Mußte Weg direkt auf Borkull räumen --
brennt Brennerei von Sperliugshof, hat kein Zweck hinzugenn! Hat) -- machen
uns arme geplagte Beamte Arbeit leicht -- Herren Revolutionäre! Puff --
wie eine große Rakette flog Kessel in die Luft!"

"Auf Sperlingshof? Um Gottes Willen! Baron Schledehausen schob
feinen Stuhl zurück und sprang auf: "Der arme Kurt! Ich muß ans Telephon,
entschuldigen Sie, Baronin!"

Auch Edles sprang auf. Die junge Herrin auf Sperlingshof war ihre Freundin.

"Jetzt wird es Zeit!" Die Hand des alten Wenkendorff schlug schwer
auf den Tisch. Es gab einen allgemeinen Tumult. Nur Graf Woldemar
Hahn wurde von der Nachricht nicht erschüttert. Er hatte den russischen Beamten auf
einen Stuhl genötigt und ihm ein Wasserglas voll Wein in die Hand gedrückt.

"Bring dem Herrn Dimitrief zu essen!" rief er dem Diener zu. "Er hat
nämlich auch einen Magen!"

Dimitrief schüttete das Glas hinunter, daß ihm die Tropfen von seinem
langen schwarzen Bart herabrieselten. Dann lachte er dröhnend auf: "Stimmt
gut, Harr Graff, einen Rrreisemagen, groß wie ein Haferrsack und ganz karr!"
Und er trank und aß und hatte keine Augen für die anderen Gäste, die sich
bald wieder um den Tisch einfanden.

"Natürlich Brandstiftung!" war die Nachricht, die Schledehausen zurück¬
brachte. "Aber der Wind stand günstig, der Hof ist gerettet."

"Das müssen wirJhnen heute sagen, Baronin!" hubHerr von Wenkendorff an.
"Wir müssen uns auf schlimme Zeiten gefaßt machen. Borküll ist am meisten
gefährdet: ihm fehlt der Herr. Sie müssen Ihren Ältesten rufen!"

Die Baronin war von dem gewichtigen Ernst der Worte wie vernichtet.

"Mein Gott -- Wolff Joachim setzt seine ganze Karriere aufs Spiel, jetzt
wo die Hofbälle beginnen. Ich arme, verlassene Frau!"

Schledehausen sah mitleidig das Häufchen Unglück an seiner Seite: "Geben
Sie mir Vollmacht, Baronin, ich werde veranlassen, was nötig ist. Man wird
uns auf Tarjomaa wohl noch eine Weile verschonen. Ich denke, wir besprechen
das nachher!"


Sturm

Aus dem Saal hörte man eine heisere Baßstimme.

„Wo est Fro Barronnin? Lassen Sie! Dönke, Dönke, Dönke! Tut nix,
das bißchen Staub kommt von weite Reise — nitschewo, nitschewo!" Alles
wandte sich nach der Tür. Es war, als wenn der russische Bär selbst aus dem
Walde herausbräche.

Graf Woldemar sprang auf: „Das ist nämlich Dimitrief! Den kenne ich
gut!" Er ging auf den riesigen Menschen zu, dem die Dienstmädchen mit
Mühe und Not den beschmutzten Pelzmantel abgenommen hatten und begrüßte
ihn kichernd.

„Oh Herr Graff!" rief der Russe erfreut und schlug dem Grafen kräftig
auf die Schulter. „Serr angenämm! Frau Barronnin entschuldigen, daß ich
so platze mitten hinein in Souper. Mußte Weg direkt auf Borkull räumen —
brennt Brennerei von Sperliugshof, hat kein Zweck hinzugenn! Hat) — machen
uns arme geplagte Beamte Arbeit leicht — Herren Revolutionäre! Puff —
wie eine große Rakette flog Kessel in die Luft!"

„Auf Sperlingshof? Um Gottes Willen! Baron Schledehausen schob
feinen Stuhl zurück und sprang auf: „Der arme Kurt! Ich muß ans Telephon,
entschuldigen Sie, Baronin!"

Auch Edles sprang auf. Die junge Herrin auf Sperlingshof war ihre Freundin.

„Jetzt wird es Zeit!" Die Hand des alten Wenkendorff schlug schwer
auf den Tisch. Es gab einen allgemeinen Tumult. Nur Graf Woldemar
Hahn wurde von der Nachricht nicht erschüttert. Er hatte den russischen Beamten auf
einen Stuhl genötigt und ihm ein Wasserglas voll Wein in die Hand gedrückt.

„Bring dem Herrn Dimitrief zu essen!" rief er dem Diener zu. „Er hat
nämlich auch einen Magen!"

Dimitrief schüttete das Glas hinunter, daß ihm die Tropfen von seinem
langen schwarzen Bart herabrieselten. Dann lachte er dröhnend auf: „Stimmt
gut, Harr Graff, einen Rrreisemagen, groß wie ein Haferrsack und ganz karr!"
Und er trank und aß und hatte keine Augen für die anderen Gäste, die sich
bald wieder um den Tisch einfanden.

„Natürlich Brandstiftung!" war die Nachricht, die Schledehausen zurück¬
brachte. „Aber der Wind stand günstig, der Hof ist gerettet."

„Das müssen wirJhnen heute sagen, Baronin!" hubHerr von Wenkendorff an.
„Wir müssen uns auf schlimme Zeiten gefaßt machen. Borküll ist am meisten
gefährdet: ihm fehlt der Herr. Sie müssen Ihren Ältesten rufen!"

Die Baronin war von dem gewichtigen Ernst der Worte wie vernichtet.

„Mein Gott — Wolff Joachim setzt seine ganze Karriere aufs Spiel, jetzt
wo die Hofbälle beginnen. Ich arme, verlassene Frau!"

Schledehausen sah mitleidig das Häufchen Unglück an seiner Seite: „Geben
Sie mir Vollmacht, Baronin, ich werde veranlassen, was nötig ist. Man wird
uns auf Tarjomaa wohl noch eine Weile verschonen. Ich denke, wir besprechen
das nachher!"


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[0435] Sturm Aus dem Saal hörte man eine heisere Baßstimme. „Wo est Fro Barronnin? Lassen Sie! Dönke, Dönke, Dönke! Tut nix, das bißchen Staub kommt von weite Reise — nitschewo, nitschewo!" Alles wandte sich nach der Tür. Es war, als wenn der russische Bär selbst aus dem Walde herausbräche. Graf Woldemar sprang auf: „Das ist nämlich Dimitrief! Den kenne ich gut!" Er ging auf den riesigen Menschen zu, dem die Dienstmädchen mit Mühe und Not den beschmutzten Pelzmantel abgenommen hatten und begrüßte ihn kichernd. „Oh Herr Graff!" rief der Russe erfreut und schlug dem Grafen kräftig auf die Schulter. „Serr angenämm! Frau Barronnin entschuldigen, daß ich so platze mitten hinein in Souper. Mußte Weg direkt auf Borkull räumen — brennt Brennerei von Sperliugshof, hat kein Zweck hinzugenn! Hat) — machen uns arme geplagte Beamte Arbeit leicht — Herren Revolutionäre! Puff — wie eine große Rakette flog Kessel in die Luft!" „Auf Sperlingshof? Um Gottes Willen! Baron Schledehausen schob feinen Stuhl zurück und sprang auf: „Der arme Kurt! Ich muß ans Telephon, entschuldigen Sie, Baronin!" Auch Edles sprang auf. Die junge Herrin auf Sperlingshof war ihre Freundin. „Jetzt wird es Zeit!" Die Hand des alten Wenkendorff schlug schwer auf den Tisch. Es gab einen allgemeinen Tumult. Nur Graf Woldemar Hahn wurde von der Nachricht nicht erschüttert. Er hatte den russischen Beamten auf einen Stuhl genötigt und ihm ein Wasserglas voll Wein in die Hand gedrückt. „Bring dem Herrn Dimitrief zu essen!" rief er dem Diener zu. „Er hat nämlich auch einen Magen!" Dimitrief schüttete das Glas hinunter, daß ihm die Tropfen von seinem langen schwarzen Bart herabrieselten. Dann lachte er dröhnend auf: „Stimmt gut, Harr Graff, einen Rrreisemagen, groß wie ein Haferrsack und ganz karr!" Und er trank und aß und hatte keine Augen für die anderen Gäste, die sich bald wieder um den Tisch einfanden. „Natürlich Brandstiftung!" war die Nachricht, die Schledehausen zurück¬ brachte. „Aber der Wind stand günstig, der Hof ist gerettet." „Das müssen wirJhnen heute sagen, Baronin!" hubHerr von Wenkendorff an. „Wir müssen uns auf schlimme Zeiten gefaßt machen. Borküll ist am meisten gefährdet: ihm fehlt der Herr. Sie müssen Ihren Ältesten rufen!" Die Baronin war von dem gewichtigen Ernst der Worte wie vernichtet. „Mein Gott — Wolff Joachim setzt seine ganze Karriere aufs Spiel, jetzt wo die Hofbälle beginnen. Ich arme, verlassene Frau!" Schledehausen sah mitleidig das Häufchen Unglück an seiner Seite: „Geben Sie mir Vollmacht, Baronin, ich werde veranlassen, was nötig ist. Man wird uns auf Tarjomaa wohl noch eine Weile verschonen. Ich denke, wir besprechen das nachher!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/435>, abgerufen am 28.07.2024.