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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Jndifferontismus in der Literatur

heit und Lächeln und Spiel zurückgeworfen sein müssen und daß von nun an
nichts ihm Lebenswerkes gelten könne als ein reifer Mann zu sein -- dies mag
nicht mehr der Abschied von irgendeiner Jugend, es mag vielleicht der Ab¬
schluß auch einer künstlerischen Jugend sein. Und daß dieses Drama vielleicht,
auf seinen Dichter zurückbezogen, "ein schwaches Abbild der schönen Ordnung
ist, die ich jetzt in meinem Herzen habe." -- Vielleicht also ein zweiter Grenz¬
stein. Man kann es ja nur vermuten, nicht vorhersagen. Und es wäre dann
eine Straße zurückgelegt von einem gemütlosen, rein intellektuellen, pragerischen
Indifferentismus zu einem zwar Alles-Verstehen, aber trotzdem schon zu einem
Zugestehen moralischer Kontraste.

An der aber immerhin noch indifferenttstischen Natur des Dichters, die
ihn, immer in einem gewissen Grade verbleiben wird, mag es liegen, daß
dieses entzückende, prickelnde, geistvolle und lebendige Lustspiel doch mehr ein
Spiel bleiben mußte als ein Drama. Denn der Dramatiker ist der vom Erd¬
geist erleuchtete Wisser des ewigen Kampfes. Er weiß: in alle Zeit hinein
kämpft ein dunkles Prinzip mit einem lichten. Und die Gestaltung dieses Kampfes,
für den es keinen endgültigen Sieg giebt, ist das Drama. Dies gilt auch für das
Lustspiel, nur daß es einen zeitlichen Sieg des hellen Prinzips bringt und den
Weltkontrast durch die Lupe des Optimisten betrachtet. Nun mag der Jn-
differentist mit seinem Alles-Geltenlassen ein großer Epiker werden -- man denke
nur an spanische und frühfranzösische Vagabundenromane bis zum "Gil Blas" --
niemals aber ein Dramatiker. Die Objektivität, der gnadenvolle Vorzug des
Epikers, wird zum Herzfehler des Dramatikers. Brod konnte ein über alles
liebenswertes Spiel geben, einen berauschenden Überschuß an poetischer Lebendig¬
keit: aber das Wesen des Dramas mußte ihm -- vorderhand -- versagt bleiben.

Die ganze bisherige Entwicklung Max Brods umschließend, stehen, wie zwei
schlanke Pfeiler, einer am Anfang seiner Laufbahn überhaupt und der andere
am Ende, seine beiden Gedichtbücher. Das erste "Der Weg des Verliebten"
kann ein Buch der Erotik genannt werden, ein Kessel der ungebändigten Sinn¬
lichkeit, ein ununterbrochener Genuß am Weib und an der ganzen Erde, eine
Hitze des Leibes. Das zweite "Tagebuch in Versen" -- eine Hitze der Seele,
ein Sich-Verschenken, eine schöne freundliche Rührung und endlich das Verlangen
nach gegenseitiger Güte. Aus dem indifferentistischen Nur-Nehmen sprüht hier
und dort die Bitte auf: auch geben zu dürfen. Aus der Erotik ist zärtliche
Liebe geworden.

Mögen in den Büchern Max Brods die Gestalten und der Dichter wie
immer zur Welt stehen, diese Welt selbst, die äußere Welt, die stnnenfaßliche,
die ereignisreiche, die stets wechselnde -- sie ist überall, auf jeder Seite, mit einer
Inbrunst ohnegleichen eingefangen. Man denke nur an seine Verse, an die
besseren, denn der gänzlich unpoetischen und bubenhaft willkürlichen gibt es auch
genug, und welch eine Erweiterung künstlerischer Gestaltungsmöglichkeiten wird
einem bewußt! Das Telephon. Tramwaybillets, die Sommerfrische mit "Bier,


Jndifferontismus in der Literatur

heit und Lächeln und Spiel zurückgeworfen sein müssen und daß von nun an
nichts ihm Lebenswerkes gelten könne als ein reifer Mann zu sein — dies mag
nicht mehr der Abschied von irgendeiner Jugend, es mag vielleicht der Ab¬
schluß auch einer künstlerischen Jugend sein. Und daß dieses Drama vielleicht,
auf seinen Dichter zurückbezogen, „ein schwaches Abbild der schönen Ordnung
ist, die ich jetzt in meinem Herzen habe." — Vielleicht also ein zweiter Grenz¬
stein. Man kann es ja nur vermuten, nicht vorhersagen. Und es wäre dann
eine Straße zurückgelegt von einem gemütlosen, rein intellektuellen, pragerischen
Indifferentismus zu einem zwar Alles-Verstehen, aber trotzdem schon zu einem
Zugestehen moralischer Kontraste.

An der aber immerhin noch indifferenttstischen Natur des Dichters, die
ihn, immer in einem gewissen Grade verbleiben wird, mag es liegen, daß
dieses entzückende, prickelnde, geistvolle und lebendige Lustspiel doch mehr ein
Spiel bleiben mußte als ein Drama. Denn der Dramatiker ist der vom Erd¬
geist erleuchtete Wisser des ewigen Kampfes. Er weiß: in alle Zeit hinein
kämpft ein dunkles Prinzip mit einem lichten. Und die Gestaltung dieses Kampfes,
für den es keinen endgültigen Sieg giebt, ist das Drama. Dies gilt auch für das
Lustspiel, nur daß es einen zeitlichen Sieg des hellen Prinzips bringt und den
Weltkontrast durch die Lupe des Optimisten betrachtet. Nun mag der Jn-
differentist mit seinem Alles-Geltenlassen ein großer Epiker werden — man denke
nur an spanische und frühfranzösische Vagabundenromane bis zum „Gil Blas" —
niemals aber ein Dramatiker. Die Objektivität, der gnadenvolle Vorzug des
Epikers, wird zum Herzfehler des Dramatikers. Brod konnte ein über alles
liebenswertes Spiel geben, einen berauschenden Überschuß an poetischer Lebendig¬
keit: aber das Wesen des Dramas mußte ihm — vorderhand — versagt bleiben.

Die ganze bisherige Entwicklung Max Brods umschließend, stehen, wie zwei
schlanke Pfeiler, einer am Anfang seiner Laufbahn überhaupt und der andere
am Ende, seine beiden Gedichtbücher. Das erste „Der Weg des Verliebten"
kann ein Buch der Erotik genannt werden, ein Kessel der ungebändigten Sinn¬
lichkeit, ein ununterbrochener Genuß am Weib und an der ganzen Erde, eine
Hitze des Leibes. Das zweite „Tagebuch in Versen" — eine Hitze der Seele,
ein Sich-Verschenken, eine schöne freundliche Rührung und endlich das Verlangen
nach gegenseitiger Güte. Aus dem indifferentistischen Nur-Nehmen sprüht hier
und dort die Bitte auf: auch geben zu dürfen. Aus der Erotik ist zärtliche
Liebe geworden.

Mögen in den Büchern Max Brods die Gestalten und der Dichter wie
immer zur Welt stehen, diese Welt selbst, die äußere Welt, die stnnenfaßliche,
die ereignisreiche, die stets wechselnde — sie ist überall, auf jeder Seite, mit einer
Inbrunst ohnegleichen eingefangen. Man denke nur an seine Verse, an die
besseren, denn der gänzlich unpoetischen und bubenhaft willkürlichen gibt es auch
genug, und welch eine Erweiterung künstlerischer Gestaltungsmöglichkeiten wird
einem bewußt! Das Telephon. Tramwaybillets, die Sommerfrische mit „Bier,


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[0429] Jndifferontismus in der Literatur heit und Lächeln und Spiel zurückgeworfen sein müssen und daß von nun an nichts ihm Lebenswerkes gelten könne als ein reifer Mann zu sein — dies mag nicht mehr der Abschied von irgendeiner Jugend, es mag vielleicht der Ab¬ schluß auch einer künstlerischen Jugend sein. Und daß dieses Drama vielleicht, auf seinen Dichter zurückbezogen, „ein schwaches Abbild der schönen Ordnung ist, die ich jetzt in meinem Herzen habe." — Vielleicht also ein zweiter Grenz¬ stein. Man kann es ja nur vermuten, nicht vorhersagen. Und es wäre dann eine Straße zurückgelegt von einem gemütlosen, rein intellektuellen, pragerischen Indifferentismus zu einem zwar Alles-Verstehen, aber trotzdem schon zu einem Zugestehen moralischer Kontraste. An der aber immerhin noch indifferenttstischen Natur des Dichters, die ihn, immer in einem gewissen Grade verbleiben wird, mag es liegen, daß dieses entzückende, prickelnde, geistvolle und lebendige Lustspiel doch mehr ein Spiel bleiben mußte als ein Drama. Denn der Dramatiker ist der vom Erd¬ geist erleuchtete Wisser des ewigen Kampfes. Er weiß: in alle Zeit hinein kämpft ein dunkles Prinzip mit einem lichten. Und die Gestaltung dieses Kampfes, für den es keinen endgültigen Sieg giebt, ist das Drama. Dies gilt auch für das Lustspiel, nur daß es einen zeitlichen Sieg des hellen Prinzips bringt und den Weltkontrast durch die Lupe des Optimisten betrachtet. Nun mag der Jn- differentist mit seinem Alles-Geltenlassen ein großer Epiker werden — man denke nur an spanische und frühfranzösische Vagabundenromane bis zum „Gil Blas" — niemals aber ein Dramatiker. Die Objektivität, der gnadenvolle Vorzug des Epikers, wird zum Herzfehler des Dramatikers. Brod konnte ein über alles liebenswertes Spiel geben, einen berauschenden Überschuß an poetischer Lebendig¬ keit: aber das Wesen des Dramas mußte ihm — vorderhand — versagt bleiben. Die ganze bisherige Entwicklung Max Brods umschließend, stehen, wie zwei schlanke Pfeiler, einer am Anfang seiner Laufbahn überhaupt und der andere am Ende, seine beiden Gedichtbücher. Das erste „Der Weg des Verliebten" kann ein Buch der Erotik genannt werden, ein Kessel der ungebändigten Sinn¬ lichkeit, ein ununterbrochener Genuß am Weib und an der ganzen Erde, eine Hitze des Leibes. Das zweite „Tagebuch in Versen" — eine Hitze der Seele, ein Sich-Verschenken, eine schöne freundliche Rührung und endlich das Verlangen nach gegenseitiger Güte. Aus dem indifferentistischen Nur-Nehmen sprüht hier und dort die Bitte auf: auch geben zu dürfen. Aus der Erotik ist zärtliche Liebe geworden. Mögen in den Büchern Max Brods die Gestalten und der Dichter wie immer zur Welt stehen, diese Welt selbst, die äußere Welt, die stnnenfaßliche, die ereignisreiche, die stets wechselnde — sie ist überall, auf jeder Seite, mit einer Inbrunst ohnegleichen eingefangen. Man denke nur an seine Verse, an die besseren, denn der gänzlich unpoetischen und bubenhaft willkürlichen gibt es auch genug, und welch eine Erweiterung künstlerischer Gestaltungsmöglichkeiten wird einem bewußt! Das Telephon. Tramwaybillets, die Sommerfrische mit „Bier,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/429>, abgerufen am 22.12.2024.