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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Aus Arndts Vermächtnis

das Recht der Nachlebenden zu solchem Aufdecken des Allereigensten streiten
(der Mann war hier vorsichtiger als das Weib: Arndt verbrannte anscheinend
ihre Briefe), Aber das Schöne ist, daß Arndts reine Menschlichkeit durch die
Darstellung Steffens' nur gewinnen kann. In ihrer ganzen Größe wird man
sie nur in den Briefen selbst erfassen. Wie erhebt doch dieses heroische Verzichten,
diese Befreiung von der Gewalt, die alle Wesen bindetl Wie ist doch sein großes
Schweigenkönnen ein Spiegel für uns, die wir oft allzu vertrauensselig und schwatz¬
haft, eigenes und fremdes Innenleben zu sezieren geneigt sind. Man gebe es doch
auf, in der Liebe und im Leid der Liebe allzusehr nach Gründen zu forschen.
Wo tiefe, ewige Notwendigkeiten walten, was sollen da Gründe? Arndts Ver¬
hältnis zur Romantik wird von Steffens an den gegebenen Stellen stets treffend
gekennzeichnet; ich hätte hier aber etwas mehr Ausführlichkeit, vielleicht ein Zitat
aus den in Anbetung der Gotik schwelgenden Schriften aus der Frankfurter
Zeit ("Blick aus der Zeit") gewünscht. Ebenso wäre S. 23 und 24, wo vom
ersten Hervorbrechen des deutschen Nationalgeistes (1799) in Arndt die Rede
ist, ein Hinweis auf die hessischen Bauernfreischaren angebracht gewesen ("Briefe"
S. 35). Wie stark in Arndt beim Anblick solcher Volksscharen die Imponderabilien
des Vaterlandsgefühls in Schwingungen versetzt wurden, das hat er in rührenden
und zugleich erhebenden Worten noch oft bekannt. Es schwang noch mehr in
ihm als in Eichendorff Versen:

Eigenste gründlichste Arbeit erkennt man auch in der Auswahl der Gedichte,
die Leffson mit sicherem Geschmack vorgenommen hat; eine große Anzahl aus
der Meisnerschen Sammlung hat er gestrichen; die vierundzwanzig, die er statt
deren neu aufgenommen hat, verdienen es. Mit rechtem Verstand hat auch
Steffens in der engeren Auswahl der "kleinen Schriften" sich beschränkt auf das
Notwendigste, das zu dem "Gesamtbilde der Entwicklung des Menschen, vor
allem aber des Politikers Arndt" beizutragen geeignet erschien.

Nun aber auch einige Wünsche und Bedenken: wenn nun einmal noch
eine Ausgabe nach eigenem Kopfe für die große Menge der Gebildeten gemacht
werden mußte, warum in aller Welt mußte man da zum zweiten Male die
sämtlichen Märchen, die doch Leffson so sicher bewertet, abdrucken? Verdient
Arndt. der Märchenerzähler, wirklich die fünfhundert Seiten? Was hätte auf
zweihundertundfünfzig Seiten, die man den Märchen nahm, alles Platz finden
können! Ferner: auch Steffens druckt vom Soldatenkatechismus beide Ausgaben
ab, und zwar hintereinander, als je ein selbständiges Ganzes. Das ist in diesem
Falle mehr zu billigen als die Art des "Druckes unter dem Strich", die Geerds
vorzog; denn die Ausgaben weichen tatsächlich so stark voneinander ab, daß
man die Entsprechungen nicht gut im Druck andeuten kann. Ganz unangebracht,
ja geradezu störend erscheint es mir aber, die Anmerkungen und den kritischen


Grenzboten II 1913 27
Aus Arndts Vermächtnis

das Recht der Nachlebenden zu solchem Aufdecken des Allereigensten streiten
(der Mann war hier vorsichtiger als das Weib: Arndt verbrannte anscheinend
ihre Briefe), Aber das Schöne ist, daß Arndts reine Menschlichkeit durch die
Darstellung Steffens' nur gewinnen kann. In ihrer ganzen Größe wird man
sie nur in den Briefen selbst erfassen. Wie erhebt doch dieses heroische Verzichten,
diese Befreiung von der Gewalt, die alle Wesen bindetl Wie ist doch sein großes
Schweigenkönnen ein Spiegel für uns, die wir oft allzu vertrauensselig und schwatz¬
haft, eigenes und fremdes Innenleben zu sezieren geneigt sind. Man gebe es doch
auf, in der Liebe und im Leid der Liebe allzusehr nach Gründen zu forschen.
Wo tiefe, ewige Notwendigkeiten walten, was sollen da Gründe? Arndts Ver¬
hältnis zur Romantik wird von Steffens an den gegebenen Stellen stets treffend
gekennzeichnet; ich hätte hier aber etwas mehr Ausführlichkeit, vielleicht ein Zitat
aus den in Anbetung der Gotik schwelgenden Schriften aus der Frankfurter
Zeit („Blick aus der Zeit") gewünscht. Ebenso wäre S. 23 und 24, wo vom
ersten Hervorbrechen des deutschen Nationalgeistes (1799) in Arndt die Rede
ist, ein Hinweis auf die hessischen Bauernfreischaren angebracht gewesen („Briefe"
S. 35). Wie stark in Arndt beim Anblick solcher Volksscharen die Imponderabilien
des Vaterlandsgefühls in Schwingungen versetzt wurden, das hat er in rührenden
und zugleich erhebenden Worten noch oft bekannt. Es schwang noch mehr in
ihm als in Eichendorff Versen:

Eigenste gründlichste Arbeit erkennt man auch in der Auswahl der Gedichte,
die Leffson mit sicherem Geschmack vorgenommen hat; eine große Anzahl aus
der Meisnerschen Sammlung hat er gestrichen; die vierundzwanzig, die er statt
deren neu aufgenommen hat, verdienen es. Mit rechtem Verstand hat auch
Steffens in der engeren Auswahl der „kleinen Schriften" sich beschränkt auf das
Notwendigste, das zu dem „Gesamtbilde der Entwicklung des Menschen, vor
allem aber des Politikers Arndt" beizutragen geeignet erschien.

Nun aber auch einige Wünsche und Bedenken: wenn nun einmal noch
eine Ausgabe nach eigenem Kopfe für die große Menge der Gebildeten gemacht
werden mußte, warum in aller Welt mußte man da zum zweiten Male die
sämtlichen Märchen, die doch Leffson so sicher bewertet, abdrucken? Verdient
Arndt. der Märchenerzähler, wirklich die fünfhundert Seiten? Was hätte auf
zweihundertundfünfzig Seiten, die man den Märchen nahm, alles Platz finden
können! Ferner: auch Steffens druckt vom Soldatenkatechismus beide Ausgaben
ab, und zwar hintereinander, als je ein selbständiges Ganzes. Das ist in diesem
Falle mehr zu billigen als die Art des „Druckes unter dem Strich", die Geerds
vorzog; denn die Ausgaben weichen tatsächlich so stark voneinander ab, daß
man die Entsprechungen nicht gut im Druck andeuten kann. Ganz unangebracht,
ja geradezu störend erscheint es mir aber, die Anmerkungen und den kritischen


Grenzboten II 1913 27
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[0421] Aus Arndts Vermächtnis das Recht der Nachlebenden zu solchem Aufdecken des Allereigensten streiten (der Mann war hier vorsichtiger als das Weib: Arndt verbrannte anscheinend ihre Briefe), Aber das Schöne ist, daß Arndts reine Menschlichkeit durch die Darstellung Steffens' nur gewinnen kann. In ihrer ganzen Größe wird man sie nur in den Briefen selbst erfassen. Wie erhebt doch dieses heroische Verzichten, diese Befreiung von der Gewalt, die alle Wesen bindetl Wie ist doch sein großes Schweigenkönnen ein Spiegel für uns, die wir oft allzu vertrauensselig und schwatz¬ haft, eigenes und fremdes Innenleben zu sezieren geneigt sind. Man gebe es doch auf, in der Liebe und im Leid der Liebe allzusehr nach Gründen zu forschen. Wo tiefe, ewige Notwendigkeiten walten, was sollen da Gründe? Arndts Ver¬ hältnis zur Romantik wird von Steffens an den gegebenen Stellen stets treffend gekennzeichnet; ich hätte hier aber etwas mehr Ausführlichkeit, vielleicht ein Zitat aus den in Anbetung der Gotik schwelgenden Schriften aus der Frankfurter Zeit („Blick aus der Zeit") gewünscht. Ebenso wäre S. 23 und 24, wo vom ersten Hervorbrechen des deutschen Nationalgeistes (1799) in Arndt die Rede ist, ein Hinweis auf die hessischen Bauernfreischaren angebracht gewesen („Briefe" S. 35). Wie stark in Arndt beim Anblick solcher Volksscharen die Imponderabilien des Vaterlandsgefühls in Schwingungen versetzt wurden, das hat er in rührenden und zugleich erhebenden Worten noch oft bekannt. Es schwang noch mehr in ihm als in Eichendorff Versen: Eigenste gründlichste Arbeit erkennt man auch in der Auswahl der Gedichte, die Leffson mit sicherem Geschmack vorgenommen hat; eine große Anzahl aus der Meisnerschen Sammlung hat er gestrichen; die vierundzwanzig, die er statt deren neu aufgenommen hat, verdienen es. Mit rechtem Verstand hat auch Steffens in der engeren Auswahl der „kleinen Schriften" sich beschränkt auf das Notwendigste, das zu dem „Gesamtbilde der Entwicklung des Menschen, vor allem aber des Politikers Arndt" beizutragen geeignet erschien. Nun aber auch einige Wünsche und Bedenken: wenn nun einmal noch eine Ausgabe nach eigenem Kopfe für die große Menge der Gebildeten gemacht werden mußte, warum in aller Welt mußte man da zum zweiten Male die sämtlichen Märchen, die doch Leffson so sicher bewertet, abdrucken? Verdient Arndt. der Märchenerzähler, wirklich die fünfhundert Seiten? Was hätte auf zweihundertundfünfzig Seiten, die man den Märchen nahm, alles Platz finden können! Ferner: auch Steffens druckt vom Soldatenkatechismus beide Ausgaben ab, und zwar hintereinander, als je ein selbständiges Ganzes. Das ist in diesem Falle mehr zu billigen als die Art des „Druckes unter dem Strich", die Geerds vorzog; denn die Ausgaben weichen tatsächlich so stark voneinander ab, daß man die Entsprechungen nicht gut im Druck andeuten kann. Ganz unangebracht, ja geradezu störend erscheint es mir aber, die Anmerkungen und den kritischen Grenzboten II 1913 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/421>, abgerufen am 28.07.2024.