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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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land kennen Sie nicht über Frankfurt hin¬
aus. Für wichtig halten Sie nur Ihr Land,
für liberal nur Ihre Ansichten, jenseits Frank-
furt fängt Ihnen die Barbarei an."

Daß seine Entwicklung in den Katholizis¬
mus ausmündete, lag im Geiste der Zeit;
hat er doch mit Achin von Arnim und Cle¬
mens Brentano zusammen die Quellen der
romantischen Strömung erschlossen. Eine
Zeitlang bewegte er sich im Fahrwasser
Schellings, doch ließ sich seine urkräftige
Originalität in eine philosophische Schule
nicht einsperren; große Ähnlichkeit haben die
Schriften seiner literarisch-romantischen Periode
mit denen von Novalis. Ultramontan darf
man ihn nicht nennen, denn er ist kerndeutsch
geblieben. Die Sünden der Päpste zu
geißeln, hat er sich auch in seiner späteren
Zeit nicht nehmen lassen (II, 478). Die Not¬
wendigkeit der Reformation hat er anerkannt
(I, 276 und 276), und er mißbilligte es, daß
in der Zeitschrift "Der Katholik", für die er
schrieb, ein Mitarbeiter "aus Luther, Fichte
und Napoleon seinen dreiköpfigen Höllenhund
bildete" (II, 416). Hätte er in den Zeiten
des neunten und des zehnten Pius gelobt,
er hätte sich von diesen sein freies Denken
nicht einhegen lassen in den engen Pferch
vatikanischer Orthodoxie. Auch ist er dem
allzu mittelalterlichen Adam Müller entgegen¬
getreten, welcher der Religion mehr Einfluß
auf die Politik einräumen wollte, als gut ist
(II, 266 und 279); Geistliche, wünscht er,
sollen sich so wenig wie möglich in die Politik
einmischen (II, 492). Was bei ihm, dessen
Jugend in dein Boden der Aufklärung ge¬
wurzelt hatte, der katholischen Anschauung
zum Siege verhalf, das war der historische
Sinn. An Jean Paul schreibt er einmal
(II, 374 und 376): "Ich habe in religiösen
Dingen nach reiflicher Erwägung für besser
gefunden, an den: alten Bau fortzuarbeiten,
als auf eigene Faust aus Stroh und Gold-
Papier ein eigenes Schwalbennest zu bauen.
Sie sind darin Wohl anderer Meinung, und
ich habe für jede redliche Überzeugung Platz."
Wie sich ihm die "liberalen" Strömungen
der Restaurationszeit darstellen, drücken n. a.
die Worte aus: "Die Welt hat nie einen so
öffentlichen geistigen Bankerott gesehen und
eine solche freche Verschwörung von allem,

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was gemein im Menschen ist, gegen alles
Höhere, und doch so ganz ohne allen Nach¬
druck, ja beinahe ohne alle Bosheit, alles
wie im Gähnen, in: sah af und Traum"
(II, 270). Auch in München vermag er 1830
nichts als ekle Fäulnis zu sehen; Künste und
Wissenschaften seien nur eine dünne Kleckserei,
die den Dreck vergolde (II, 474 bis 477).
Um die Vertreter einer falschen Aufklärung
ins Herz zu treffen, warf er sich mit aller
Wucht seiner gewaltigen Persönlichkeit auf die
Mystik, aus der er, in anatomischen und
physiologischen Studien die Theorien der
MeSmer, Justinus Kerner, Eschenmayer
vollendend, eine tötliche Waffe zu schmieden
gedachte.

Sein Naturell machte ihn zum Agitator
und Publizisten. Was er als solcher geleistet,
hat Napoleon anerkannt, und sieht man heute
noch am Zentrum; denn obwohl er 22 Jahre
vor dessen Gründung gestorben ist, darf er
als sein Gründer angesehen werden; er vor
allen anderen Erneuerern des Katholizismus
hat jene gebildete katholische Jugend der
dreißiger und vierziger Jahre begeistert, die,
zur Manchen gereift, von 1870 an den sie
erfüllenden Geist in einer Politischen Form
verkörperte. Ein Publizist und Agitator ge¬
wöhnlichen Schlages ist er freilich nicht ge¬
wesen. Er verfügte über ein ungeheures
Wissen, war jedoch vom Gelehrten das gerade
Gegenteil. Aus dem Leben schöpfte er seine
Weisheit, nicht aus Büchern ("O Aller-
gelehrteste, wie seid ihr so dumm, wenn ihr
eure Bücher zu Hause gelassen!" I, 296); aus
Büchern nur, so weit das Leben, so weit der
Geist der Völker und der Zeiten aus ihnen
spricht. Diesen zu erfassen, den Menschen
und den Dingen auf den Grund zu sehen,
die Eigenart der Nationalitäten, den Zu¬
sammenhang der Begebenheiten, den Gang
der Weltgeschichte durch Intuition zu erkennen,
das und nicht kritische Analyse dessen, was
er als ein Ganzes schaute, war seine Gabe.
Die einander nach Zeit und Raum welten¬
weit entfernt liegenden Dinge verband seine
Phantasie miteinander, so daß ihn? aus der
Ferne und aus der Vergangenheit Bilder in
Fülle zuströmten, die Geschehnisse der Gegen¬
wart und seines Wirkungskreises z" erläutern.
DaS ergab nun einen Stil, wie ihn vor ihm

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aus. Für wichtig halten Sie nur Ihr Land,
für liberal nur Ihre Ansichten, jenseits Frank-
furt fängt Ihnen die Barbarei an."

Daß seine Entwicklung in den Katholizis¬
mus ausmündete, lag im Geiste der Zeit;
hat er doch mit Achin von Arnim und Cle¬
mens Brentano zusammen die Quellen der
romantischen Strömung erschlossen. Eine
Zeitlang bewegte er sich im Fahrwasser
Schellings, doch ließ sich seine urkräftige
Originalität in eine philosophische Schule
nicht einsperren; große Ähnlichkeit haben die
Schriften seiner literarisch-romantischen Periode
mit denen von Novalis. Ultramontan darf
man ihn nicht nennen, denn er ist kerndeutsch
geblieben. Die Sünden der Päpste zu
geißeln, hat er sich auch in seiner späteren
Zeit nicht nehmen lassen (II, 478). Die Not¬
wendigkeit der Reformation hat er anerkannt
(I, 276 und 276), und er mißbilligte es, daß
in der Zeitschrift „Der Katholik", für die er
schrieb, ein Mitarbeiter „aus Luther, Fichte
und Napoleon seinen dreiköpfigen Höllenhund
bildete" (II, 416). Hätte er in den Zeiten
des neunten und des zehnten Pius gelobt,
er hätte sich von diesen sein freies Denken
nicht einhegen lassen in den engen Pferch
vatikanischer Orthodoxie. Auch ist er dem
allzu mittelalterlichen Adam Müller entgegen¬
getreten, welcher der Religion mehr Einfluß
auf die Politik einräumen wollte, als gut ist
(II, 266 und 279); Geistliche, wünscht er,
sollen sich so wenig wie möglich in die Politik
einmischen (II, 492). Was bei ihm, dessen
Jugend in dein Boden der Aufklärung ge¬
wurzelt hatte, der katholischen Anschauung
zum Siege verhalf, das war der historische
Sinn. An Jean Paul schreibt er einmal
(II, 374 und 376): „Ich habe in religiösen
Dingen nach reiflicher Erwägung für besser
gefunden, an den: alten Bau fortzuarbeiten,
als auf eigene Faust aus Stroh und Gold-
Papier ein eigenes Schwalbennest zu bauen.
Sie sind darin Wohl anderer Meinung, und
ich habe für jede redliche Überzeugung Platz."
Wie sich ihm die „liberalen" Strömungen
der Restaurationszeit darstellen, drücken n. a.
die Worte aus: „Die Welt hat nie einen so
öffentlichen geistigen Bankerott gesehen und
eine solche freche Verschwörung von allem,

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was gemein im Menschen ist, gegen alles
Höhere, und doch so ganz ohne allen Nach¬
druck, ja beinahe ohne alle Bosheit, alles
wie im Gähnen, in: sah af und Traum"
(II, 270). Auch in München vermag er 1830
nichts als ekle Fäulnis zu sehen; Künste und
Wissenschaften seien nur eine dünne Kleckserei,
die den Dreck vergolde (II, 474 bis 477).
Um die Vertreter einer falschen Aufklärung
ins Herz zu treffen, warf er sich mit aller
Wucht seiner gewaltigen Persönlichkeit auf die
Mystik, aus der er, in anatomischen und
physiologischen Studien die Theorien der
MeSmer, Justinus Kerner, Eschenmayer
vollendend, eine tötliche Waffe zu schmieden
gedachte.

Sein Naturell machte ihn zum Agitator
und Publizisten. Was er als solcher geleistet,
hat Napoleon anerkannt, und sieht man heute
noch am Zentrum; denn obwohl er 22 Jahre
vor dessen Gründung gestorben ist, darf er
als sein Gründer angesehen werden; er vor
allen anderen Erneuerern des Katholizismus
hat jene gebildete katholische Jugend der
dreißiger und vierziger Jahre begeistert, die,
zur Manchen gereift, von 1870 an den sie
erfüllenden Geist in einer Politischen Form
verkörperte. Ein Publizist und Agitator ge¬
wöhnlichen Schlages ist er freilich nicht ge¬
wesen. Er verfügte über ein ungeheures
Wissen, war jedoch vom Gelehrten das gerade
Gegenteil. Aus dem Leben schöpfte er seine
Weisheit, nicht aus Büchern („O Aller-
gelehrteste, wie seid ihr so dumm, wenn ihr
eure Bücher zu Hause gelassen!" I, 296); aus
Büchern nur, so weit das Leben, so weit der
Geist der Völker und der Zeiten aus ihnen
spricht. Diesen zu erfassen, den Menschen
und den Dingen auf den Grund zu sehen,
die Eigenart der Nationalitäten, den Zu¬
sammenhang der Begebenheiten, den Gang
der Weltgeschichte durch Intuition zu erkennen,
das und nicht kritische Analyse dessen, was
er als ein Ganzes schaute, war seine Gabe.
Die einander nach Zeit und Raum welten¬
weit entfernt liegenden Dinge verband seine
Phantasie miteinander, so daß ihn? aus der
Ferne und aus der Vergangenheit Bilder in
Fülle zuströmten, die Geschehnisse der Gegen¬
wart und seines Wirkungskreises z» erläutern.
DaS ergab nun einen Stil, wie ihn vor ihm

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[0401] Maßgebliches und Unmaßgebliches land kennen Sie nicht über Frankfurt hin¬ aus. Für wichtig halten Sie nur Ihr Land, für liberal nur Ihre Ansichten, jenseits Frank- furt fängt Ihnen die Barbarei an." Daß seine Entwicklung in den Katholizis¬ mus ausmündete, lag im Geiste der Zeit; hat er doch mit Achin von Arnim und Cle¬ mens Brentano zusammen die Quellen der romantischen Strömung erschlossen. Eine Zeitlang bewegte er sich im Fahrwasser Schellings, doch ließ sich seine urkräftige Originalität in eine philosophische Schule nicht einsperren; große Ähnlichkeit haben die Schriften seiner literarisch-romantischen Periode mit denen von Novalis. Ultramontan darf man ihn nicht nennen, denn er ist kerndeutsch geblieben. Die Sünden der Päpste zu geißeln, hat er sich auch in seiner späteren Zeit nicht nehmen lassen (II, 478). Die Not¬ wendigkeit der Reformation hat er anerkannt (I, 276 und 276), und er mißbilligte es, daß in der Zeitschrift „Der Katholik", für die er schrieb, ein Mitarbeiter „aus Luther, Fichte und Napoleon seinen dreiköpfigen Höllenhund bildete" (II, 416). Hätte er in den Zeiten des neunten und des zehnten Pius gelobt, er hätte sich von diesen sein freies Denken nicht einhegen lassen in den engen Pferch vatikanischer Orthodoxie. Auch ist er dem allzu mittelalterlichen Adam Müller entgegen¬ getreten, welcher der Religion mehr Einfluß auf die Politik einräumen wollte, als gut ist (II, 266 und 279); Geistliche, wünscht er, sollen sich so wenig wie möglich in die Politik einmischen (II, 492). Was bei ihm, dessen Jugend in dein Boden der Aufklärung ge¬ wurzelt hatte, der katholischen Anschauung zum Siege verhalf, das war der historische Sinn. An Jean Paul schreibt er einmal (II, 374 und 376): „Ich habe in religiösen Dingen nach reiflicher Erwägung für besser gefunden, an den: alten Bau fortzuarbeiten, als auf eigene Faust aus Stroh und Gold- Papier ein eigenes Schwalbennest zu bauen. Sie sind darin Wohl anderer Meinung, und ich habe für jede redliche Überzeugung Platz." Wie sich ihm die „liberalen" Strömungen der Restaurationszeit darstellen, drücken n. a. die Worte aus: „Die Welt hat nie einen so öffentlichen geistigen Bankerott gesehen und eine solche freche Verschwörung von allem, was gemein im Menschen ist, gegen alles Höhere, und doch so ganz ohne allen Nach¬ druck, ja beinahe ohne alle Bosheit, alles wie im Gähnen, in: sah af und Traum" (II, 270). Auch in München vermag er 1830 nichts als ekle Fäulnis zu sehen; Künste und Wissenschaften seien nur eine dünne Kleckserei, die den Dreck vergolde (II, 474 bis 477). Um die Vertreter einer falschen Aufklärung ins Herz zu treffen, warf er sich mit aller Wucht seiner gewaltigen Persönlichkeit auf die Mystik, aus der er, in anatomischen und physiologischen Studien die Theorien der MeSmer, Justinus Kerner, Eschenmayer vollendend, eine tötliche Waffe zu schmieden gedachte. Sein Naturell machte ihn zum Agitator und Publizisten. Was er als solcher geleistet, hat Napoleon anerkannt, und sieht man heute noch am Zentrum; denn obwohl er 22 Jahre vor dessen Gründung gestorben ist, darf er als sein Gründer angesehen werden; er vor allen anderen Erneuerern des Katholizismus hat jene gebildete katholische Jugend der dreißiger und vierziger Jahre begeistert, die, zur Manchen gereift, von 1870 an den sie erfüllenden Geist in einer Politischen Form verkörperte. Ein Publizist und Agitator ge¬ wöhnlichen Schlages ist er freilich nicht ge¬ wesen. Er verfügte über ein ungeheures Wissen, war jedoch vom Gelehrten das gerade Gegenteil. Aus dem Leben schöpfte er seine Weisheit, nicht aus Büchern („O Aller- gelehrteste, wie seid ihr so dumm, wenn ihr eure Bücher zu Hause gelassen!" I, 296); aus Büchern nur, so weit das Leben, so weit der Geist der Völker und der Zeiten aus ihnen spricht. Diesen zu erfassen, den Menschen und den Dingen auf den Grund zu sehen, die Eigenart der Nationalitäten, den Zu¬ sammenhang der Begebenheiten, den Gang der Weltgeschichte durch Intuition zu erkennen, das und nicht kritische Analyse dessen, was er als ein Ganzes schaute, war seine Gabe. Die einander nach Zeit und Raum welten¬ weit entfernt liegenden Dinge verband seine Phantasie miteinander, so daß ihn? aus der Ferne und aus der Vergangenheit Bilder in Fülle zuströmten, die Geschehnisse der Gegen¬ wart und seines Wirkungskreises z» erläutern. DaS ergab nun einen Stil, wie ihn vor ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/401>, abgerufen am 27.07.2024.