Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Nach der Entspannung

Geldmarkt überschätzt worden. Denn andernfalls wäre schwer erklärlich, daß
nunmehr nach Beseitigung des Kriegsschreckens der ersehnte Rückfluß und die
Kräftigung des Geldmarktes ausbleibt. Man darf freilich nicht übersehen, daß
die Fälle der sich augenblicklich an letztere herandrängenden Ansprüche eine
tatsächlich vorhandene Erleichterung mehr wie ausgleicht. Dieses allgemeine
Jagen nach dem Kapital ist nicht geeignet, den Leihwert desselben herab¬
zudrücken und es aus seiner Reserve herauszulocken.

Charakteristisch für diese Tatsache ist der eklatante Mißerfolg der großen
brasilianischen Anleihe in London. Obwohl diese Emission von elf Millionen
Pfund durch den Emissionskredit des Hauses Rothschild getragen war, sind von
der Anleihe nur fünf Prozent gezeichnet worden, so daß fast der gesamte Be¬
trag in den Händen der Übernehmer geblieben ist. Und dies geschah am
Londoner Markt, der für solche Anleihen in normalen Zeiten ein stets williger
Abnehmer gewesen ist! Es ist klar, daß solche Mißerfolge eine abschreckende
Wirkung äußern müssen. Es läßt sich daher auch kaum behaupten, daß die
große chinesische Fünfmächte-Anleihe, welche dieser Tage zur Zeichnung auf¬
gelegt wird, rein finanziell betrachtet, sehr gelegen kommt, obwohl die Bedingungen
spectator für das private Kapital verlockend genug sind.




Die Schicksale dieser so lange beredeten Chinesenanleihe sind merkwürdig.
Die Verquickung von Politik und Geschäft hat hier finanziell keine besonders
günstigen Ergebnisse gezeitigt. Wenigstens nicht für China. Ursprünglich war
die Anleihe gedacht als solche, die dem neuen China neben der Durchführung
politischer und militärischer Reformen auch solche wirtschaftlicher und kultureller
ermöglichen sollte. Dementsprechend sollte sich die Anleihe auf die gewaltige
Summe von 1200 Millionen Mark belaufen. Unter diesen Umständen war es
erklärlich und gerechtfertigt, daß alle Großmächte an der Anleihe und an der
wirtschaftlichen Aufschließung des Reiches der Mitte ihren Anteil haben wollten.
Das bisherige tatsächliche Monopol des deutsch-englischen Bankkonsortiums für
chinesische Anleihen mußte einer erweiterten Gruppierung weichen, aus der
schließlich durch den Zutritt Japans und Amerikas ein Sechsmächtesyndikat
wurde. Nach dem Präsidentenwechsel in New Aork hat sich Amerika zurück¬
gezogen, und wie das Syndikat, so ist auch die Anleihe ein Torso geworden.
Sie beläuft sich nur auf 500 Millionen Mark und ihr Erlös reicht gerade aus,
China finanziell und politisch zu arrangieren, aber nicht um ihm die Durch¬
führung wirtschaftlicher Aufgaben von Staats wegen zu ermöglichen.

Die den Chinesen gewährte Summe ist aber doch groß genug, um die Durch¬
führung innerpolitischer Reformen zu gewährleisten, wenn einiger guter Wille
und Konsequenz vorhanden sind. Damit aber wären die Interessen aller jener
Mächte, die an China ein wirtschaftliches Interesse haben, genügend gesichert,
und somit sind die deutschen Bestrebungen für China wieder auf eine Basis


Nach der Entspannung

Geldmarkt überschätzt worden. Denn andernfalls wäre schwer erklärlich, daß
nunmehr nach Beseitigung des Kriegsschreckens der ersehnte Rückfluß und die
Kräftigung des Geldmarktes ausbleibt. Man darf freilich nicht übersehen, daß
die Fälle der sich augenblicklich an letztere herandrängenden Ansprüche eine
tatsächlich vorhandene Erleichterung mehr wie ausgleicht. Dieses allgemeine
Jagen nach dem Kapital ist nicht geeignet, den Leihwert desselben herab¬
zudrücken und es aus seiner Reserve herauszulocken.

Charakteristisch für diese Tatsache ist der eklatante Mißerfolg der großen
brasilianischen Anleihe in London. Obwohl diese Emission von elf Millionen
Pfund durch den Emissionskredit des Hauses Rothschild getragen war, sind von
der Anleihe nur fünf Prozent gezeichnet worden, so daß fast der gesamte Be¬
trag in den Händen der Übernehmer geblieben ist. Und dies geschah am
Londoner Markt, der für solche Anleihen in normalen Zeiten ein stets williger
Abnehmer gewesen ist! Es ist klar, daß solche Mißerfolge eine abschreckende
Wirkung äußern müssen. Es läßt sich daher auch kaum behaupten, daß die
große chinesische Fünfmächte-Anleihe, welche dieser Tage zur Zeichnung auf¬
gelegt wird, rein finanziell betrachtet, sehr gelegen kommt, obwohl die Bedingungen
spectator für das private Kapital verlockend genug sind.




Die Schicksale dieser so lange beredeten Chinesenanleihe sind merkwürdig.
Die Verquickung von Politik und Geschäft hat hier finanziell keine besonders
günstigen Ergebnisse gezeitigt. Wenigstens nicht für China. Ursprünglich war
die Anleihe gedacht als solche, die dem neuen China neben der Durchführung
politischer und militärischer Reformen auch solche wirtschaftlicher und kultureller
ermöglichen sollte. Dementsprechend sollte sich die Anleihe auf die gewaltige
Summe von 1200 Millionen Mark belaufen. Unter diesen Umständen war es
erklärlich und gerechtfertigt, daß alle Großmächte an der Anleihe und an der
wirtschaftlichen Aufschließung des Reiches der Mitte ihren Anteil haben wollten.
Das bisherige tatsächliche Monopol des deutsch-englischen Bankkonsortiums für
chinesische Anleihen mußte einer erweiterten Gruppierung weichen, aus der
schließlich durch den Zutritt Japans und Amerikas ein Sechsmächtesyndikat
wurde. Nach dem Präsidentenwechsel in New Aork hat sich Amerika zurück¬
gezogen, und wie das Syndikat, so ist auch die Anleihe ein Torso geworden.
Sie beläuft sich nur auf 500 Millionen Mark und ihr Erlös reicht gerade aus,
China finanziell und politisch zu arrangieren, aber nicht um ihm die Durch¬
führung wirtschaftlicher Aufgaben von Staats wegen zu ermöglichen.

Die den Chinesen gewährte Summe ist aber doch groß genug, um die Durch¬
führung innerpolitischer Reformen zu gewährleisten, wenn einiger guter Wille
und Konsequenz vorhanden sind. Damit aber wären die Interessen aller jener
Mächte, die an China ein wirtschaftliches Interesse haben, genügend gesichert,
und somit sind die deutschen Bestrebungen für China wieder auf eine Basis


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0393" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325913"/>
          <fw type="header" place="top"> Nach der Entspannung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1609" prev="#ID_1608"> Geldmarkt überschätzt worden. Denn andernfalls wäre schwer erklärlich, daß<lb/>
nunmehr nach Beseitigung des Kriegsschreckens der ersehnte Rückfluß und die<lb/>
Kräftigung des Geldmarktes ausbleibt. Man darf freilich nicht übersehen, daß<lb/>
die Fälle der sich augenblicklich an letztere herandrängenden Ansprüche eine<lb/>
tatsächlich vorhandene Erleichterung mehr wie ausgleicht. Dieses allgemeine<lb/>
Jagen nach dem Kapital ist nicht geeignet, den Leihwert desselben herab¬<lb/>
zudrücken und es aus seiner Reserve herauszulocken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1610"> Charakteristisch für diese Tatsache ist der eklatante Mißerfolg der großen<lb/>
brasilianischen Anleihe in London. Obwohl diese Emission von elf Millionen<lb/>
Pfund durch den Emissionskredit des Hauses Rothschild getragen war, sind von<lb/>
der Anleihe nur fünf Prozent gezeichnet worden, so daß fast der gesamte Be¬<lb/>
trag in den Händen der Übernehmer geblieben ist. Und dies geschah am<lb/>
Londoner Markt, der für solche Anleihen in normalen Zeiten ein stets williger<lb/>
Abnehmer gewesen ist! Es ist klar, daß solche Mißerfolge eine abschreckende<lb/>
Wirkung äußern müssen. Es läßt sich daher auch kaum behaupten, daß die<lb/>
große chinesische Fünfmächte-Anleihe, welche dieser Tage zur Zeichnung auf¬<lb/>
gelegt wird, rein finanziell betrachtet, sehr gelegen kommt, obwohl die Bedingungen<lb/><note type="byline"> spectator</note> für das private Kapital verlockend genug sind. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1611"> Die Schicksale dieser so lange beredeten Chinesenanleihe sind merkwürdig.<lb/>
Die Verquickung von Politik und Geschäft hat hier finanziell keine besonders<lb/>
günstigen Ergebnisse gezeitigt. Wenigstens nicht für China. Ursprünglich war<lb/>
die Anleihe gedacht als solche, die dem neuen China neben der Durchführung<lb/>
politischer und militärischer Reformen auch solche wirtschaftlicher und kultureller<lb/>
ermöglichen sollte. Dementsprechend sollte sich die Anleihe auf die gewaltige<lb/>
Summe von 1200 Millionen Mark belaufen. Unter diesen Umständen war es<lb/>
erklärlich und gerechtfertigt, daß alle Großmächte an der Anleihe und an der<lb/>
wirtschaftlichen Aufschließung des Reiches der Mitte ihren Anteil haben wollten.<lb/>
Das bisherige tatsächliche Monopol des deutsch-englischen Bankkonsortiums für<lb/>
chinesische Anleihen mußte einer erweiterten Gruppierung weichen, aus der<lb/>
schließlich durch den Zutritt Japans und Amerikas ein Sechsmächtesyndikat<lb/>
wurde. Nach dem Präsidentenwechsel in New Aork hat sich Amerika zurück¬<lb/>
gezogen, und wie das Syndikat, so ist auch die Anleihe ein Torso geworden.<lb/>
Sie beläuft sich nur auf 500 Millionen Mark und ihr Erlös reicht gerade aus,<lb/>
China finanziell und politisch zu arrangieren, aber nicht um ihm die Durch¬<lb/>
führung wirtschaftlicher Aufgaben von Staats wegen zu ermöglichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1612" next="#ID_1613"> Die den Chinesen gewährte Summe ist aber doch groß genug, um die Durch¬<lb/>
führung innerpolitischer Reformen zu gewährleisten, wenn einiger guter Wille<lb/>
und Konsequenz vorhanden sind. Damit aber wären die Interessen aller jener<lb/>
Mächte, die an China ein wirtschaftliches Interesse haben, genügend gesichert,<lb/>
und somit sind die deutschen Bestrebungen für China wieder auf eine Basis</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0393] Nach der Entspannung Geldmarkt überschätzt worden. Denn andernfalls wäre schwer erklärlich, daß nunmehr nach Beseitigung des Kriegsschreckens der ersehnte Rückfluß und die Kräftigung des Geldmarktes ausbleibt. Man darf freilich nicht übersehen, daß die Fälle der sich augenblicklich an letztere herandrängenden Ansprüche eine tatsächlich vorhandene Erleichterung mehr wie ausgleicht. Dieses allgemeine Jagen nach dem Kapital ist nicht geeignet, den Leihwert desselben herab¬ zudrücken und es aus seiner Reserve herauszulocken. Charakteristisch für diese Tatsache ist der eklatante Mißerfolg der großen brasilianischen Anleihe in London. Obwohl diese Emission von elf Millionen Pfund durch den Emissionskredit des Hauses Rothschild getragen war, sind von der Anleihe nur fünf Prozent gezeichnet worden, so daß fast der gesamte Be¬ trag in den Händen der Übernehmer geblieben ist. Und dies geschah am Londoner Markt, der für solche Anleihen in normalen Zeiten ein stets williger Abnehmer gewesen ist! Es ist klar, daß solche Mißerfolge eine abschreckende Wirkung äußern müssen. Es läßt sich daher auch kaum behaupten, daß die große chinesische Fünfmächte-Anleihe, welche dieser Tage zur Zeichnung auf¬ gelegt wird, rein finanziell betrachtet, sehr gelegen kommt, obwohl die Bedingungen spectator für das private Kapital verlockend genug sind. Die Schicksale dieser so lange beredeten Chinesenanleihe sind merkwürdig. Die Verquickung von Politik und Geschäft hat hier finanziell keine besonders günstigen Ergebnisse gezeitigt. Wenigstens nicht für China. Ursprünglich war die Anleihe gedacht als solche, die dem neuen China neben der Durchführung politischer und militärischer Reformen auch solche wirtschaftlicher und kultureller ermöglichen sollte. Dementsprechend sollte sich die Anleihe auf die gewaltige Summe von 1200 Millionen Mark belaufen. Unter diesen Umständen war es erklärlich und gerechtfertigt, daß alle Großmächte an der Anleihe und an der wirtschaftlichen Aufschließung des Reiches der Mitte ihren Anteil haben wollten. Das bisherige tatsächliche Monopol des deutsch-englischen Bankkonsortiums für chinesische Anleihen mußte einer erweiterten Gruppierung weichen, aus der schließlich durch den Zutritt Japans und Amerikas ein Sechsmächtesyndikat wurde. Nach dem Präsidentenwechsel in New Aork hat sich Amerika zurück¬ gezogen, und wie das Syndikat, so ist auch die Anleihe ein Torso geworden. Sie beläuft sich nur auf 500 Millionen Mark und ihr Erlös reicht gerade aus, China finanziell und politisch zu arrangieren, aber nicht um ihm die Durch¬ führung wirtschaftlicher Aufgaben von Staats wegen zu ermöglichen. Die den Chinesen gewährte Summe ist aber doch groß genug, um die Durch¬ führung innerpolitischer Reformen zu gewährleisten, wenn einiger guter Wille und Konsequenz vorhanden sind. Damit aber wären die Interessen aller jener Mächte, die an China ein wirtschaftliches Interesse haben, genügend gesichert, und somit sind die deutschen Bestrebungen für China wieder auf eine Basis

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/393
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/393>, abgerufen am 27.07.2024.