Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
<Linn Ludwig contra Richard Magnor

Was aber hat diese Entzauberung mit dem Wert eines Werkes zu tun,
wie er sich dem enthüllt, dem Hysterie nicht den Blick trübt? Aber ich will
einstweilen nicht von dem Werk sprechen, ich verweile zunächst bei diesem nun
so vielfach geschmähten Leben.

Woran haftet bei der Mehrzahl der Wagnergegner der maßlose Vorwurf?

Neben der Verärgerung durch die vielen unsympathischen Episoden vor
allem an dem Willen Wagners, sich und sein Werk durchzusetzen, um jeden
Preis und mit Aufgebot jedweder Propaganda. Schließlich auch an der ewigen
Disharmonie (vgl. die "Krampftheorie" von Ludwig), die diesen Mann rastlos
von einem Menschen zum anderen getrieben hat, von einem Extrem ins andere.
An der Disharmonie, hinter der doch am Ende nichts anderes gestanden hat
als der nämliche, allzuoft enttäuschte Wille, seine Mitwelt zur Anerkennung zu
zwingen.

Die Tatsache, daß dieses Leben so war, wird nach dem, was wir heute
wissen, niemand leugnen. Niemand wird bestreiten, daß Wagner jeden, der
je in den Bannkreis seiner Persönlichkeit getreten ist, für sein Leben und sein
Werk ausgenutzt hat. Rücksichts-- und hemmungslos oft. Die Phrase von
Wagner dem Gütigen ist dahin, für Wissende nicht erst seit zwei Jahren.
Was tuts?

Wagner hat Neues und zum Teil unumstritten Schönes gefördert. Um
die Meistersinger machen die Wagnergegner von heute durchweg einen weiten
Bogen; und ein so entschiedener wie Ludwig findet für Tristan nur Worte
der Liebe. Hat aber der, der solche Werke in die Trübheit einer Zeit warf,
die wir heute mit Fug und Recht eine Kulturbaisse nennen, hat der, der mit
einem Werke wie den Tristan unstreitig seiner Zeit vorauseilte, eigentlich ein
Recht auf eine Wirkung bei Lebzeiten? Oder ist es ein für allemal des
deutschen Künstlers Pflicht und Schuldigkeit, mit Bitternis ins frühe Grab zu
fahren (wie sieben Jahre nach Wagners Tode Anselm Feuerbach) und erst in
Jahrhundertfeiern verspätete Anerkennung zu finden?

Was steckt heute zum Teil hinter der sittlichen Entrüstung über Wagners
Willen zur Wirkung? Daß dieser Wille Erfolg gehabt hat. Wäre er damals
gescheitert, käme erst heute die Tristanpartitur ans Tageslicht, man feierte, die
um Emil Ludwig an der Spitze, die Selbstbiographie mit allen ihren Emana¬
tionen des Egoismus und des Ringens um Anerkennung als eine Tragödie
des mit überstarken Willen an der Unzulänglichkeit der Zeit gescheiterten
Künstlers.

Aber so? Der Mann hatte ja Erfolg, wußte seine Zeitgenossen ins Joch
zu zwingen! Und das scheint eine Sünde wider das kritische Selbstgefühl der
Menge zu sein. Die jeweiligen Zeitgenossen erkennen freiwillig eben nur da
an, wo der Künstler ihnen scheinbar oder in der Tat entgegenkommt. Mozart
konnte sie mit seiner Musik, von der seine graziöse Zeit nur die scheinbare
Heiterkeit hörte, orpheisch leiten. Goethes erster ganz großer Erfolg ist keins


<Linn Ludwig contra Richard Magnor

Was aber hat diese Entzauberung mit dem Wert eines Werkes zu tun,
wie er sich dem enthüllt, dem Hysterie nicht den Blick trübt? Aber ich will
einstweilen nicht von dem Werk sprechen, ich verweile zunächst bei diesem nun
so vielfach geschmähten Leben.

Woran haftet bei der Mehrzahl der Wagnergegner der maßlose Vorwurf?

Neben der Verärgerung durch die vielen unsympathischen Episoden vor
allem an dem Willen Wagners, sich und sein Werk durchzusetzen, um jeden
Preis und mit Aufgebot jedweder Propaganda. Schließlich auch an der ewigen
Disharmonie (vgl. die „Krampftheorie" von Ludwig), die diesen Mann rastlos
von einem Menschen zum anderen getrieben hat, von einem Extrem ins andere.
An der Disharmonie, hinter der doch am Ende nichts anderes gestanden hat
als der nämliche, allzuoft enttäuschte Wille, seine Mitwelt zur Anerkennung zu
zwingen.

Die Tatsache, daß dieses Leben so war, wird nach dem, was wir heute
wissen, niemand leugnen. Niemand wird bestreiten, daß Wagner jeden, der
je in den Bannkreis seiner Persönlichkeit getreten ist, für sein Leben und sein
Werk ausgenutzt hat. Rücksichts-- und hemmungslos oft. Die Phrase von
Wagner dem Gütigen ist dahin, für Wissende nicht erst seit zwei Jahren.
Was tuts?

Wagner hat Neues und zum Teil unumstritten Schönes gefördert. Um
die Meistersinger machen die Wagnergegner von heute durchweg einen weiten
Bogen; und ein so entschiedener wie Ludwig findet für Tristan nur Worte
der Liebe. Hat aber der, der solche Werke in die Trübheit einer Zeit warf,
die wir heute mit Fug und Recht eine Kulturbaisse nennen, hat der, der mit
einem Werke wie den Tristan unstreitig seiner Zeit vorauseilte, eigentlich ein
Recht auf eine Wirkung bei Lebzeiten? Oder ist es ein für allemal des
deutschen Künstlers Pflicht und Schuldigkeit, mit Bitternis ins frühe Grab zu
fahren (wie sieben Jahre nach Wagners Tode Anselm Feuerbach) und erst in
Jahrhundertfeiern verspätete Anerkennung zu finden?

Was steckt heute zum Teil hinter der sittlichen Entrüstung über Wagners
Willen zur Wirkung? Daß dieser Wille Erfolg gehabt hat. Wäre er damals
gescheitert, käme erst heute die Tristanpartitur ans Tageslicht, man feierte, die
um Emil Ludwig an der Spitze, die Selbstbiographie mit allen ihren Emana¬
tionen des Egoismus und des Ringens um Anerkennung als eine Tragödie
des mit überstarken Willen an der Unzulänglichkeit der Zeit gescheiterten
Künstlers.

Aber so? Der Mann hatte ja Erfolg, wußte seine Zeitgenossen ins Joch
zu zwingen! Und das scheint eine Sünde wider das kritische Selbstgefühl der
Menge zu sein. Die jeweiligen Zeitgenossen erkennen freiwillig eben nur da
an, wo der Künstler ihnen scheinbar oder in der Tat entgegenkommt. Mozart
konnte sie mit seiner Musik, von der seine graziöse Zeit nur die scheinbare
Heiterkeit hörte, orpheisch leiten. Goethes erster ganz großer Erfolg ist keins


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0390" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325910"/>
          <fw type="header" place="top"> &lt;Linn Ludwig contra Richard Magnor</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1586"> Was aber hat diese Entzauberung mit dem Wert eines Werkes zu tun,<lb/>
wie er sich dem enthüllt, dem Hysterie nicht den Blick trübt? Aber ich will<lb/>
einstweilen nicht von dem Werk sprechen, ich verweile zunächst bei diesem nun<lb/>
so vielfach geschmähten Leben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1587"> Woran haftet bei der Mehrzahl der Wagnergegner der maßlose Vorwurf?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1588"> Neben der Verärgerung durch die vielen unsympathischen Episoden vor<lb/>
allem an dem Willen Wagners, sich und sein Werk durchzusetzen, um jeden<lb/>
Preis und mit Aufgebot jedweder Propaganda. Schließlich auch an der ewigen<lb/>
Disharmonie (vgl. die &#x201E;Krampftheorie" von Ludwig), die diesen Mann rastlos<lb/>
von einem Menschen zum anderen getrieben hat, von einem Extrem ins andere.<lb/>
An der Disharmonie, hinter der doch am Ende nichts anderes gestanden hat<lb/>
als der nämliche, allzuoft enttäuschte Wille, seine Mitwelt zur Anerkennung zu<lb/>
zwingen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1589"> Die Tatsache, daß dieses Leben so war, wird nach dem, was wir heute<lb/>
wissen, niemand leugnen. Niemand wird bestreiten, daß Wagner jeden, der<lb/>
je in den Bannkreis seiner Persönlichkeit getreten ist, für sein Leben und sein<lb/>
Werk ausgenutzt hat. Rücksichts-- und hemmungslos oft. Die Phrase von<lb/>
Wagner dem Gütigen ist dahin, für Wissende nicht erst seit zwei Jahren.<lb/>
Was tuts?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1590"> Wagner hat Neues und zum Teil unumstritten Schönes gefördert. Um<lb/>
die Meistersinger machen die Wagnergegner von heute durchweg einen weiten<lb/>
Bogen; und ein so entschiedener wie Ludwig findet für Tristan nur Worte<lb/>
der Liebe. Hat aber der, der solche Werke in die Trübheit einer Zeit warf,<lb/>
die wir heute mit Fug und Recht eine Kulturbaisse nennen, hat der, der mit<lb/>
einem Werke wie den Tristan unstreitig seiner Zeit vorauseilte, eigentlich ein<lb/>
Recht auf eine Wirkung bei Lebzeiten? Oder ist es ein für allemal des<lb/>
deutschen Künstlers Pflicht und Schuldigkeit, mit Bitternis ins frühe Grab zu<lb/>
fahren (wie sieben Jahre nach Wagners Tode Anselm Feuerbach) und erst in<lb/>
Jahrhundertfeiern verspätete Anerkennung zu finden?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1591"> Was steckt heute zum Teil hinter der sittlichen Entrüstung über Wagners<lb/>
Willen zur Wirkung? Daß dieser Wille Erfolg gehabt hat. Wäre er damals<lb/>
gescheitert, käme erst heute die Tristanpartitur ans Tageslicht, man feierte, die<lb/>
um Emil Ludwig an der Spitze, die Selbstbiographie mit allen ihren Emana¬<lb/>
tionen des Egoismus und des Ringens um Anerkennung als eine Tragödie<lb/>
des mit überstarken Willen an der Unzulänglichkeit der Zeit gescheiterten<lb/>
Künstlers.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1592" next="#ID_1593"> Aber so? Der Mann hatte ja Erfolg, wußte seine Zeitgenossen ins Joch<lb/>
zu zwingen! Und das scheint eine Sünde wider das kritische Selbstgefühl der<lb/>
Menge zu sein. Die jeweiligen Zeitgenossen erkennen freiwillig eben nur da<lb/>
an, wo der Künstler ihnen scheinbar oder in der Tat entgegenkommt. Mozart<lb/>
konnte sie mit seiner Musik, von der seine graziöse Zeit nur die scheinbare<lb/>
Heiterkeit hörte, orpheisch leiten.  Goethes erster ganz großer Erfolg ist keins</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0390] <Linn Ludwig contra Richard Magnor Was aber hat diese Entzauberung mit dem Wert eines Werkes zu tun, wie er sich dem enthüllt, dem Hysterie nicht den Blick trübt? Aber ich will einstweilen nicht von dem Werk sprechen, ich verweile zunächst bei diesem nun so vielfach geschmähten Leben. Woran haftet bei der Mehrzahl der Wagnergegner der maßlose Vorwurf? Neben der Verärgerung durch die vielen unsympathischen Episoden vor allem an dem Willen Wagners, sich und sein Werk durchzusetzen, um jeden Preis und mit Aufgebot jedweder Propaganda. Schließlich auch an der ewigen Disharmonie (vgl. die „Krampftheorie" von Ludwig), die diesen Mann rastlos von einem Menschen zum anderen getrieben hat, von einem Extrem ins andere. An der Disharmonie, hinter der doch am Ende nichts anderes gestanden hat als der nämliche, allzuoft enttäuschte Wille, seine Mitwelt zur Anerkennung zu zwingen. Die Tatsache, daß dieses Leben so war, wird nach dem, was wir heute wissen, niemand leugnen. Niemand wird bestreiten, daß Wagner jeden, der je in den Bannkreis seiner Persönlichkeit getreten ist, für sein Leben und sein Werk ausgenutzt hat. Rücksichts-- und hemmungslos oft. Die Phrase von Wagner dem Gütigen ist dahin, für Wissende nicht erst seit zwei Jahren. Was tuts? Wagner hat Neues und zum Teil unumstritten Schönes gefördert. Um die Meistersinger machen die Wagnergegner von heute durchweg einen weiten Bogen; und ein so entschiedener wie Ludwig findet für Tristan nur Worte der Liebe. Hat aber der, der solche Werke in die Trübheit einer Zeit warf, die wir heute mit Fug und Recht eine Kulturbaisse nennen, hat der, der mit einem Werke wie den Tristan unstreitig seiner Zeit vorauseilte, eigentlich ein Recht auf eine Wirkung bei Lebzeiten? Oder ist es ein für allemal des deutschen Künstlers Pflicht und Schuldigkeit, mit Bitternis ins frühe Grab zu fahren (wie sieben Jahre nach Wagners Tode Anselm Feuerbach) und erst in Jahrhundertfeiern verspätete Anerkennung zu finden? Was steckt heute zum Teil hinter der sittlichen Entrüstung über Wagners Willen zur Wirkung? Daß dieser Wille Erfolg gehabt hat. Wäre er damals gescheitert, käme erst heute die Tristanpartitur ans Tageslicht, man feierte, die um Emil Ludwig an der Spitze, die Selbstbiographie mit allen ihren Emana¬ tionen des Egoismus und des Ringens um Anerkennung als eine Tragödie des mit überstarken Willen an der Unzulänglichkeit der Zeit gescheiterten Künstlers. Aber so? Der Mann hatte ja Erfolg, wußte seine Zeitgenossen ins Joch zu zwingen! Und das scheint eine Sünde wider das kritische Selbstgefühl der Menge zu sein. Die jeweiligen Zeitgenossen erkennen freiwillig eben nur da an, wo der Künstler ihnen scheinbar oder in der Tat entgegenkommt. Mozart konnte sie mit seiner Musik, von der seine graziöse Zeit nur die scheinbare Heiterkeit hörte, orpheisch leiten. Goethes erster ganz großer Erfolg ist keins

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/390
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/390>, abgerufen am 22.12.2024.