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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Linn Ludwig eontss Richard Magncr

Wort jede einzelne von Wagners zur Anklage gestellten Äußerungen und
Handlungen.

Einfach weil ich weiß, daß das Werk den Mann verteidigt.

Als ich das Ludwigsche Buch las, plante ich es erst anders. Und vor
mir liegt jetzt eine kleine Sammlung von schriftlichen und wohlverbürgter
mündlichen Äußerungen großer Geister über ebenso große oder größere Zeit¬
genossen. Äußerungen und Episoden, die wir heute, wo den Kritiker und
den Kritisierten nicht mehr der Kampf der Zeit umtobt, schlechtweg als un¬
sympathisch und anmaßend bezeichnen müssen.

Ich habe es schließlich doch gelassen, das alles hier im einzelnen anzu¬
führen. Nicht nur, weil ich sonst den dieser Affäre gebührenden Raum
überschreite: am Ende verblaßte zartbesaiteten Seelen auch Hugo Wolfs
Lebenswerk, wenn ihnen im einzelnen seine mündlichen und schriftlichen
Kritiken, nein, Schmähungen! Brahmsscher Musik reproduziert würden. Oder
die bunte Farbenpalette Liliencrons, weil sich die vollsaftige Natur des Pogg-
fredmannes durchaus nicht in die Lebensform wohlgesitteter Bürgerlichkeit
fügte! Wer sich entrüsten will, suche nur. Er findet in Hans von Bülows
Leben, in Anselm Feuerbachs Briefen genug der scheinbaren Überhebung, der
Maßlosigkeit im Urteil, die sich für Sehende immer aus dem Widerspruch
gegen andersschaffende Zeitgenossen, aus der persönlichen Gereiztheit des Moments
erklären. Mehr noch: auch von dem, der nach allgemeinem Urteil ein Beispiel voll¬
kommenster Lebensharmonie gegeben hat, auch von dem Durchstöbern des
Goethescher Lebens wird frommer Eifer nicht ergebnislos zurückkehren und wird
selbst vor dem ewigklaren, spiegelreinen von Mozart nicht Halt machen können.

Zugegeben: der Fall Wagner liegt ungünstiger, als etwa der Fall Wolf-
Brahms. In diesem Leben hier häufen sich jene Episoden der Selbstsucht
und der Anmaßung. Häufen sich so, wie sie sich vielleicht in keinem anderen
Künstlerleben häufen. Und dann hat hier -- ich habe es schon flüchtig
angedeutet -- die maßlose Verzückung, der hysterische Kult, der vielfach mit
dem Mann und mit dem Werk getrieben worden ist, ebenfalls reichlich das
seine dazu beigetragen, bei leidlich Feinfühligen Widerspruch zu erwecken.
Oder ist es etwas anders als hysterischer Kult, wie sich Glasenap in seiner
Biographie gebärdet? Wenn er etwa von der gewiß ganz ungewöhnlich starken
Persönlichkeit Kosimas nie anders als von der "hohen Frau" spricht? Wenn
die ganze Schar der "Bezauberten" Wagner unpersönlich wie den einen Gott
immer nur "den Meister" nennt, als sei er der einzige gewesen, der droben
im Licht gewandelt ist?

Begreift man es, wenn man an diese tausend Torheiten denkt, daß alle,
die sich einmal in den Traum von dem makellosen Ideal- und Universalmeister
wiegen ließen, mit einem Katzenjammer ohne gleichen erwachen mußten, als
sie die rauhe Wirklichkeit eines erbittert durchkämpften, mit einem fanatischen
Willen zur Wirkung durchfochtenen Lebens sahen?


Grenzboten II 1913 26
Linn Ludwig eontss Richard Magncr

Wort jede einzelne von Wagners zur Anklage gestellten Äußerungen und
Handlungen.

Einfach weil ich weiß, daß das Werk den Mann verteidigt.

Als ich das Ludwigsche Buch las, plante ich es erst anders. Und vor
mir liegt jetzt eine kleine Sammlung von schriftlichen und wohlverbürgter
mündlichen Äußerungen großer Geister über ebenso große oder größere Zeit¬
genossen. Äußerungen und Episoden, die wir heute, wo den Kritiker und
den Kritisierten nicht mehr der Kampf der Zeit umtobt, schlechtweg als un¬
sympathisch und anmaßend bezeichnen müssen.

Ich habe es schließlich doch gelassen, das alles hier im einzelnen anzu¬
führen. Nicht nur, weil ich sonst den dieser Affäre gebührenden Raum
überschreite: am Ende verblaßte zartbesaiteten Seelen auch Hugo Wolfs
Lebenswerk, wenn ihnen im einzelnen seine mündlichen und schriftlichen
Kritiken, nein, Schmähungen! Brahmsscher Musik reproduziert würden. Oder
die bunte Farbenpalette Liliencrons, weil sich die vollsaftige Natur des Pogg-
fredmannes durchaus nicht in die Lebensform wohlgesitteter Bürgerlichkeit
fügte! Wer sich entrüsten will, suche nur. Er findet in Hans von Bülows
Leben, in Anselm Feuerbachs Briefen genug der scheinbaren Überhebung, der
Maßlosigkeit im Urteil, die sich für Sehende immer aus dem Widerspruch
gegen andersschaffende Zeitgenossen, aus der persönlichen Gereiztheit des Moments
erklären. Mehr noch: auch von dem, der nach allgemeinem Urteil ein Beispiel voll¬
kommenster Lebensharmonie gegeben hat, auch von dem Durchstöbern des
Goethescher Lebens wird frommer Eifer nicht ergebnislos zurückkehren und wird
selbst vor dem ewigklaren, spiegelreinen von Mozart nicht Halt machen können.

Zugegeben: der Fall Wagner liegt ungünstiger, als etwa der Fall Wolf-
Brahms. In diesem Leben hier häufen sich jene Episoden der Selbstsucht
und der Anmaßung. Häufen sich so, wie sie sich vielleicht in keinem anderen
Künstlerleben häufen. Und dann hat hier — ich habe es schon flüchtig
angedeutet — die maßlose Verzückung, der hysterische Kult, der vielfach mit
dem Mann und mit dem Werk getrieben worden ist, ebenfalls reichlich das
seine dazu beigetragen, bei leidlich Feinfühligen Widerspruch zu erwecken.
Oder ist es etwas anders als hysterischer Kult, wie sich Glasenap in seiner
Biographie gebärdet? Wenn er etwa von der gewiß ganz ungewöhnlich starken
Persönlichkeit Kosimas nie anders als von der „hohen Frau" spricht? Wenn
die ganze Schar der „Bezauberten" Wagner unpersönlich wie den einen Gott
immer nur „den Meister" nennt, als sei er der einzige gewesen, der droben
im Licht gewandelt ist?

Begreift man es, wenn man an diese tausend Torheiten denkt, daß alle,
die sich einmal in den Traum von dem makellosen Ideal- und Universalmeister
wiegen ließen, mit einem Katzenjammer ohne gleichen erwachen mußten, als
sie die rauhe Wirklichkeit eines erbittert durchkämpften, mit einem fanatischen
Willen zur Wirkung durchfochtenen Lebens sahen?


Grenzboten II 1913 26
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/389>, abgerufen am 28.07.2024.