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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Neidhardt von Gncisoncm

Wieder fordert er strenge Friedensbedingungen und eine ausgiebige Kriegs¬
kontribution, die dem französischen Volke die Kriegslust etwas verleiden solle.

Mit Grimm empfand er, daß nach Bezwingung Frankreichs nicht einmal
Elsaß und Straßburg wieder deutsch wurden. Auch sonst mißfiel ihm die
Entwicklung nach dem Frieden. Er hatte sich schon 1814 offen für eine Ver¬
fassung, als den schuldigen Lohn, der dem Volke für seine unermeßlichen Opfer
gebühre, ausgesprochen. Dadurch solle, namentlich in den neu gewonnenen
rheinischen Landesteilen die öffentliche Meinung gewonnen, für Preußen ein
"Primat der Geister" geschaffen werden. Als Kommandant eben dieser Rhein¬
lande sprach er sich mit größtem Freimut für politischen Fortschritt aus und
wurde oben ebenso mißliebig, wie andere ähnlich denkende Patrioten, wie ein
Görres, ein Arndt, ein Jahr, ja selbst ein Stein. Offiziöse Federn durften
von "Wallensteins Lager in Koblenz" sprechen. Gneisenau zog sich endlich --
zum Grafen war er nach dem ersten Pariser Frieden erhoben worden, zum
Feldmarschall wurde er 1825 befördert -- auf sein Gut Erdmannsdorf im
Riesengebirge zurück. Dort genoß er vornehme Muße, ohne das temperament¬
volle Interesse an den Fragen der großen Politik zu verlieren. Für den Mann,
der auch vor starken und bedenklichen Mitteln nicht erschrak, ist ein Zug be¬
zeichnend, den Wertheimer in seiner vorzüglichen Reichstadtbiographie urkundlich
feststellt. Nach der Vertreibung der Bourbons 1830 riet nämlich Gneisenau
der österreichischen Regierung, dem Sohne Napoleons auf den französischen
Thron zu verhelfen, im nördlichen Teile Frankreichs die dort in der Majorität
befindlichen Bonapartisten, zugleich aber in den südlichen und westlichen Provinzen
die Royalisten zu unterstützen, und auf diese Art Frankreich zu verwirren, innerlich
zu schwächen und ungefährlich zu machen. Der hochbetagte General kam in
seinen Gesprächen mit dem österreichischen Gesandten in Berlin immer wieder
auf diesen "Giftplan" zurück, der freilich Metternichs Billigung nicht fand.

Der Feldmarschall, der nach Ausbruch der großen polnischen Erhebung 1831
zum Kommandanten der an der russischen Grenze aufgestellten preußischen
Beobachtungstruppen ernannt worden, erlag in der Nacht vom 23. auf den
24. August zu Posen der astatischen Cholera, die damals ihren ersten grausigen
Siegeszug durch Mitteleuropa antrat. Er starb, nach einem Bismarckschen
Worte, wie ein gytes Pferd in den Sielen. Besser hat kaum irgend jemand
die Bedeutung Gneisenaus für die preußische Heeresgeschichte, und was unendlich
darüber hinausreicht, für die Geschicke Deutschlands in den Jahren 1813, 1814
und 1815 gezeichnet, als es Moltke tat, da man ihn einmal mit Blüchers
Generalstabschef verglich. "Zwischen uns ist ein Unterschied" sagte er. "Wir
haben nur Siege zu verzeichnen gehabt. Er hat die Armee nach einer Nieder¬
lage zum Siege geführt. Diese höchste Probe haben wir noch zu bestehen."




Neidhardt von Gncisoncm

Wieder fordert er strenge Friedensbedingungen und eine ausgiebige Kriegs¬
kontribution, die dem französischen Volke die Kriegslust etwas verleiden solle.

Mit Grimm empfand er, daß nach Bezwingung Frankreichs nicht einmal
Elsaß und Straßburg wieder deutsch wurden. Auch sonst mißfiel ihm die
Entwicklung nach dem Frieden. Er hatte sich schon 1814 offen für eine Ver¬
fassung, als den schuldigen Lohn, der dem Volke für seine unermeßlichen Opfer
gebühre, ausgesprochen. Dadurch solle, namentlich in den neu gewonnenen
rheinischen Landesteilen die öffentliche Meinung gewonnen, für Preußen ein
„Primat der Geister" geschaffen werden. Als Kommandant eben dieser Rhein¬
lande sprach er sich mit größtem Freimut für politischen Fortschritt aus und
wurde oben ebenso mißliebig, wie andere ähnlich denkende Patrioten, wie ein
Görres, ein Arndt, ein Jahr, ja selbst ein Stein. Offiziöse Federn durften
von „Wallensteins Lager in Koblenz" sprechen. Gneisenau zog sich endlich —
zum Grafen war er nach dem ersten Pariser Frieden erhoben worden, zum
Feldmarschall wurde er 1825 befördert — auf sein Gut Erdmannsdorf im
Riesengebirge zurück. Dort genoß er vornehme Muße, ohne das temperament¬
volle Interesse an den Fragen der großen Politik zu verlieren. Für den Mann,
der auch vor starken und bedenklichen Mitteln nicht erschrak, ist ein Zug be¬
zeichnend, den Wertheimer in seiner vorzüglichen Reichstadtbiographie urkundlich
feststellt. Nach der Vertreibung der Bourbons 1830 riet nämlich Gneisenau
der österreichischen Regierung, dem Sohne Napoleons auf den französischen
Thron zu verhelfen, im nördlichen Teile Frankreichs die dort in der Majorität
befindlichen Bonapartisten, zugleich aber in den südlichen und westlichen Provinzen
die Royalisten zu unterstützen, und auf diese Art Frankreich zu verwirren, innerlich
zu schwächen und ungefährlich zu machen. Der hochbetagte General kam in
seinen Gesprächen mit dem österreichischen Gesandten in Berlin immer wieder
auf diesen „Giftplan" zurück, der freilich Metternichs Billigung nicht fand.

Der Feldmarschall, der nach Ausbruch der großen polnischen Erhebung 1831
zum Kommandanten der an der russischen Grenze aufgestellten preußischen
Beobachtungstruppen ernannt worden, erlag in der Nacht vom 23. auf den
24. August zu Posen der astatischen Cholera, die damals ihren ersten grausigen
Siegeszug durch Mitteleuropa antrat. Er starb, nach einem Bismarckschen
Worte, wie ein gytes Pferd in den Sielen. Besser hat kaum irgend jemand
die Bedeutung Gneisenaus für die preußische Heeresgeschichte, und was unendlich
darüber hinausreicht, für die Geschicke Deutschlands in den Jahren 1813, 1814
und 1815 gezeichnet, als es Moltke tat, da man ihn einmal mit Blüchers
Generalstabschef verglich. „Zwischen uns ist ein Unterschied" sagte er. „Wir
haben nur Siege zu verzeichnen gehabt. Er hat die Armee nach einer Nieder¬
lage zum Siege geführt. Diese höchste Probe haben wir noch zu bestehen."




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[0369] Neidhardt von Gncisoncm Wieder fordert er strenge Friedensbedingungen und eine ausgiebige Kriegs¬ kontribution, die dem französischen Volke die Kriegslust etwas verleiden solle. Mit Grimm empfand er, daß nach Bezwingung Frankreichs nicht einmal Elsaß und Straßburg wieder deutsch wurden. Auch sonst mißfiel ihm die Entwicklung nach dem Frieden. Er hatte sich schon 1814 offen für eine Ver¬ fassung, als den schuldigen Lohn, der dem Volke für seine unermeßlichen Opfer gebühre, ausgesprochen. Dadurch solle, namentlich in den neu gewonnenen rheinischen Landesteilen die öffentliche Meinung gewonnen, für Preußen ein „Primat der Geister" geschaffen werden. Als Kommandant eben dieser Rhein¬ lande sprach er sich mit größtem Freimut für politischen Fortschritt aus und wurde oben ebenso mißliebig, wie andere ähnlich denkende Patrioten, wie ein Görres, ein Arndt, ein Jahr, ja selbst ein Stein. Offiziöse Federn durften von „Wallensteins Lager in Koblenz" sprechen. Gneisenau zog sich endlich — zum Grafen war er nach dem ersten Pariser Frieden erhoben worden, zum Feldmarschall wurde er 1825 befördert — auf sein Gut Erdmannsdorf im Riesengebirge zurück. Dort genoß er vornehme Muße, ohne das temperament¬ volle Interesse an den Fragen der großen Politik zu verlieren. Für den Mann, der auch vor starken und bedenklichen Mitteln nicht erschrak, ist ein Zug be¬ zeichnend, den Wertheimer in seiner vorzüglichen Reichstadtbiographie urkundlich feststellt. Nach der Vertreibung der Bourbons 1830 riet nämlich Gneisenau der österreichischen Regierung, dem Sohne Napoleons auf den französischen Thron zu verhelfen, im nördlichen Teile Frankreichs die dort in der Majorität befindlichen Bonapartisten, zugleich aber in den südlichen und westlichen Provinzen die Royalisten zu unterstützen, und auf diese Art Frankreich zu verwirren, innerlich zu schwächen und ungefährlich zu machen. Der hochbetagte General kam in seinen Gesprächen mit dem österreichischen Gesandten in Berlin immer wieder auf diesen „Giftplan" zurück, der freilich Metternichs Billigung nicht fand. Der Feldmarschall, der nach Ausbruch der großen polnischen Erhebung 1831 zum Kommandanten der an der russischen Grenze aufgestellten preußischen Beobachtungstruppen ernannt worden, erlag in der Nacht vom 23. auf den 24. August zu Posen der astatischen Cholera, die damals ihren ersten grausigen Siegeszug durch Mitteleuropa antrat. Er starb, nach einem Bismarckschen Worte, wie ein gytes Pferd in den Sielen. Besser hat kaum irgend jemand die Bedeutung Gneisenaus für die preußische Heeresgeschichte, und was unendlich darüber hinausreicht, für die Geschicke Deutschlands in den Jahren 1813, 1814 und 1815 gezeichnet, als es Moltke tat, da man ihn einmal mit Blüchers Generalstabschef verglich. „Zwischen uns ist ein Unterschied" sagte er. „Wir haben nur Siege zu verzeichnen gehabt. Er hat die Armee nach einer Nieder¬ lage zum Siege geführt. Diese höchste Probe haben wir noch zu bestehen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/369>, abgerufen am 27.07.2024.