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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Neidhardt von Gneisenau

ward, das heißt unter Zerstreuungen. Es ist so undeutsch, mit so vielen Aus¬
lassungen und Wiederholungen und so vielen Sinnentstellungen abgefaßt, daß
ich es vernichtet habe, damit man, wenn ich bei meiner Unternehmung zugrunde
gehen sollte und man es nach meinem Tode fände, nicht daraus auf Deine
Bildung schließe. Ich habe es nicht ohne Lachen gelesen." Noch schärfer als
dieser formelle klingt oft der sachliche Tadel, zumal der Vermögensverwaltung
in seiner Abwesenheit. "Du verlangst einen Rat von mir in betreff Deiner
Mittel-Kauffungen ^-Anordnungen. Aber wenn ich ihn auch geben könnte, so
würde ich ihn doch nicht gerne geben, da ich immer fürchten müßte. Du würdest
gerade deswegen, weil er von mir kommt, folchen nicht befolgen.--Wenn
die allerbestimmtesten und als unabweislich angekündigten Befehle nicht befolgt
werden, wie würde dies ein Ratschlag?"

Solche kleine Sorgen beschäftigten den Vielbeschäftigten in den großen
Tagen des Krieges, aber auch schon früher in jenen Jahren, welche als die der
inneren Wiederaufrichtung Preußens nicht minder wichtig sind. An diesem
Werke der Regenerierung hat ja Gneisenau neben Scharnhorst, Boyen, Clause-
witz, Grolmann, vor allem aber neben dem unvergleichlichen und einzigen
Freiherrn vom Stein sein reichlich Teil. Mit seinen Gedanken vom "Volk in
Waffen" zeigt gerade er eine wahrhaft moderne Auffassung. "Welche unendliche
Kräfte," schreibt er, in diesem Punkte noch klarer blickend als selbst ein Napoleon,
"schlafen im Schoße einer Nation unentwickelt und ungenutzt. In der Brust
von tausend und tausend Menschen wohnt ein großer Genius, dessen auf¬
strebende Flügel seine tiefen Verhältnisse lähmen. . . . Während ein Reich in
seiner Schwäche und Schmach vergeht, folgt vielleicht in einem elendsten Dorfe
ein Cäsar dem Pfluge, und ein Epaminondas nährt sich karg von den: Ertrag
der Arbeit seiner Hände." Die großen Lehren der Revolution, die schmerzliche
Schule, durch die Bonaparte seine Zeit geführt, waren an Gneisenau nicht ver¬
loren. Voll ehrlicher Bewunderung für den ebenso ehrlich gehaßten Meister in
Krieg und Frieden wünscht er für diesen Bonaparte einen Gegenbonaparte,
aus dem Volke herausgewachsen, ebenso fähig, die Kräfte einer ganzen Nation
zusammenzufassen, und ebenso skrupellos wie jener. Mit seinen Mitteln, mit
brutaler Gewalt und teuflischer Schlauheit müsse man den Zwingherrn Europas
bekämpfen.

Im Jahre 1809 war Gneisenau bekanntlich eines der Häupter der Kriegs¬
partei, die offenen Anschluß an Österreich, das ja auch für Deutschlands Freiheit
und Ehre kämpfe, verlangte. Eine Verbindung mit Napoleon schien ihn: ehrlos
und gefährlich. "Einmal in der Höhle des Zyklopen, können wir nur auf den
Vorzug rechnen, zuletzt verspeist zu werden." Neben der Koalition mit Österreich
plante der kühnste aller preußischen Patrioten eine gewaltige Erhebung ganz
Norddeutschlands. Alle bürgerlichen Verhältnisse sollten davon durchdrungen.



") Gneisenaus Besitzung in Schlesien.
Neidhardt von Gneisenau

ward, das heißt unter Zerstreuungen. Es ist so undeutsch, mit so vielen Aus¬
lassungen und Wiederholungen und so vielen Sinnentstellungen abgefaßt, daß
ich es vernichtet habe, damit man, wenn ich bei meiner Unternehmung zugrunde
gehen sollte und man es nach meinem Tode fände, nicht daraus auf Deine
Bildung schließe. Ich habe es nicht ohne Lachen gelesen." Noch schärfer als
dieser formelle klingt oft der sachliche Tadel, zumal der Vermögensverwaltung
in seiner Abwesenheit. „Du verlangst einen Rat von mir in betreff Deiner
Mittel-Kauffungen ^-Anordnungen. Aber wenn ich ihn auch geben könnte, so
würde ich ihn doch nicht gerne geben, da ich immer fürchten müßte. Du würdest
gerade deswegen, weil er von mir kommt, folchen nicht befolgen.--Wenn
die allerbestimmtesten und als unabweislich angekündigten Befehle nicht befolgt
werden, wie würde dies ein Ratschlag?"

Solche kleine Sorgen beschäftigten den Vielbeschäftigten in den großen
Tagen des Krieges, aber auch schon früher in jenen Jahren, welche als die der
inneren Wiederaufrichtung Preußens nicht minder wichtig sind. An diesem
Werke der Regenerierung hat ja Gneisenau neben Scharnhorst, Boyen, Clause-
witz, Grolmann, vor allem aber neben dem unvergleichlichen und einzigen
Freiherrn vom Stein sein reichlich Teil. Mit seinen Gedanken vom „Volk in
Waffen" zeigt gerade er eine wahrhaft moderne Auffassung. „Welche unendliche
Kräfte," schreibt er, in diesem Punkte noch klarer blickend als selbst ein Napoleon,
„schlafen im Schoße einer Nation unentwickelt und ungenutzt. In der Brust
von tausend und tausend Menschen wohnt ein großer Genius, dessen auf¬
strebende Flügel seine tiefen Verhältnisse lähmen. . . . Während ein Reich in
seiner Schwäche und Schmach vergeht, folgt vielleicht in einem elendsten Dorfe
ein Cäsar dem Pfluge, und ein Epaminondas nährt sich karg von den: Ertrag
der Arbeit seiner Hände." Die großen Lehren der Revolution, die schmerzliche
Schule, durch die Bonaparte seine Zeit geführt, waren an Gneisenau nicht ver¬
loren. Voll ehrlicher Bewunderung für den ebenso ehrlich gehaßten Meister in
Krieg und Frieden wünscht er für diesen Bonaparte einen Gegenbonaparte,
aus dem Volke herausgewachsen, ebenso fähig, die Kräfte einer ganzen Nation
zusammenzufassen, und ebenso skrupellos wie jener. Mit seinen Mitteln, mit
brutaler Gewalt und teuflischer Schlauheit müsse man den Zwingherrn Europas
bekämpfen.

Im Jahre 1809 war Gneisenau bekanntlich eines der Häupter der Kriegs¬
partei, die offenen Anschluß an Österreich, das ja auch für Deutschlands Freiheit
und Ehre kämpfe, verlangte. Eine Verbindung mit Napoleon schien ihn: ehrlos
und gefährlich. „Einmal in der Höhle des Zyklopen, können wir nur auf den
Vorzug rechnen, zuletzt verspeist zu werden." Neben der Koalition mit Österreich
plante der kühnste aller preußischen Patrioten eine gewaltige Erhebung ganz
Norddeutschlands. Alle bürgerlichen Verhältnisse sollten davon durchdrungen.



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[0365] Neidhardt von Gneisenau ward, das heißt unter Zerstreuungen. Es ist so undeutsch, mit so vielen Aus¬ lassungen und Wiederholungen und so vielen Sinnentstellungen abgefaßt, daß ich es vernichtet habe, damit man, wenn ich bei meiner Unternehmung zugrunde gehen sollte und man es nach meinem Tode fände, nicht daraus auf Deine Bildung schließe. Ich habe es nicht ohne Lachen gelesen." Noch schärfer als dieser formelle klingt oft der sachliche Tadel, zumal der Vermögensverwaltung in seiner Abwesenheit. „Du verlangst einen Rat von mir in betreff Deiner Mittel-Kauffungen ^-Anordnungen. Aber wenn ich ihn auch geben könnte, so würde ich ihn doch nicht gerne geben, da ich immer fürchten müßte. Du würdest gerade deswegen, weil er von mir kommt, folchen nicht befolgen.--Wenn die allerbestimmtesten und als unabweislich angekündigten Befehle nicht befolgt werden, wie würde dies ein Ratschlag?" Solche kleine Sorgen beschäftigten den Vielbeschäftigten in den großen Tagen des Krieges, aber auch schon früher in jenen Jahren, welche als die der inneren Wiederaufrichtung Preußens nicht minder wichtig sind. An diesem Werke der Regenerierung hat ja Gneisenau neben Scharnhorst, Boyen, Clause- witz, Grolmann, vor allem aber neben dem unvergleichlichen und einzigen Freiherrn vom Stein sein reichlich Teil. Mit seinen Gedanken vom „Volk in Waffen" zeigt gerade er eine wahrhaft moderne Auffassung. „Welche unendliche Kräfte," schreibt er, in diesem Punkte noch klarer blickend als selbst ein Napoleon, „schlafen im Schoße einer Nation unentwickelt und ungenutzt. In der Brust von tausend und tausend Menschen wohnt ein großer Genius, dessen auf¬ strebende Flügel seine tiefen Verhältnisse lähmen. . . . Während ein Reich in seiner Schwäche und Schmach vergeht, folgt vielleicht in einem elendsten Dorfe ein Cäsar dem Pfluge, und ein Epaminondas nährt sich karg von den: Ertrag der Arbeit seiner Hände." Die großen Lehren der Revolution, die schmerzliche Schule, durch die Bonaparte seine Zeit geführt, waren an Gneisenau nicht ver¬ loren. Voll ehrlicher Bewunderung für den ebenso ehrlich gehaßten Meister in Krieg und Frieden wünscht er für diesen Bonaparte einen Gegenbonaparte, aus dem Volke herausgewachsen, ebenso fähig, die Kräfte einer ganzen Nation zusammenzufassen, und ebenso skrupellos wie jener. Mit seinen Mitteln, mit brutaler Gewalt und teuflischer Schlauheit müsse man den Zwingherrn Europas bekämpfen. Im Jahre 1809 war Gneisenau bekanntlich eines der Häupter der Kriegs¬ partei, die offenen Anschluß an Österreich, das ja auch für Deutschlands Freiheit und Ehre kämpfe, verlangte. Eine Verbindung mit Napoleon schien ihn: ehrlos und gefährlich. „Einmal in der Höhle des Zyklopen, können wir nur auf den Vorzug rechnen, zuletzt verspeist zu werden." Neben der Koalition mit Österreich plante der kühnste aller preußischen Patrioten eine gewaltige Erhebung ganz Norddeutschlands. Alle bürgerlichen Verhältnisse sollten davon durchdrungen. ") Gneisenaus Besitzung in Schlesien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/365>, abgerufen am 28.07.2024.