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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Beziehungen des Heimatschutzes

daß heute unser Volksvermögen auf 400 Milliarden Mark geschätzt wird. Mit
dem wachsenden Reichtums sind über Nacht neue Generationen ans Licht
gekommen, die durch Arbeit und Beruf aus dem Schatten ihrer Existenz
emporgestiegen, sich die äußerlichen Lebensformen der gefestigten Kulturträger
aneigneten, ohne indes zu einer verinnerlichten Lebensanschauung vordringen
zu können.

So hat diese Hebung des allgemeinen Wohlstandes, die vornehmlich dem
Unternehmungsgeiste des deutschen Kaufmannes und der Energie technischer
Intelligenz zu danken ist, zweifellos zu einer höchst einseitigen Überschätzung
und Bevorzugung der rein materiellen Werte geführt, die dem Ausgange des
neunzehnten Jahrhunderts den Stempel aufgedrückt hat.

In diese Zeit fällt die Entstehung des Heimatschutzgedankens als Reaktion
gegen die rücksichtslose Auswirkung der materiellen Interessen in allen Fragen
des öffentlichen Lebens. Auf diesem Nährboden mußte die Heimatschutzbewegung
groß werden, die in der Erfassung ästhetischer, sozialpolitischer und ethischer
Probleme als Inkarnation jener Kultur des Gemüts aufzufassen ist, die, wie
wir sahen, als ein neuer Faktor in der staatsbürgerlichen Erziehung des Volkes
nicht nur innerhalb der Grenzen unseres deutschen Vaterlandes gewertet zu
werden beginnt.

Um zu zeigen, wieviel Positives in diesen Gedanken und Anschauungen
liegt, mit denen der Heimatschutz für seine Ideen wirkt, sind mit gutem Grunde
zuerst diese Zusammenhänge der Heimatschutzbewegung mit den großen
ethischen Fragen der Zeit gestreift worden. Vor allem aber sollen durch den
Hinweis auf die von der staatsbürgerlichen Erziehung zur Heimatschutzbewegung
hinüberleitenden Gedanken alle diejenigen dem Kerne dieser Ideen nahegebracht
werden, die rein äußerlich in dieser Kulturbewegung nichts weiter sehen als
die romantische Modeschwärmerei von Schöngeistern, deren Neigung zu anti¬
quarischer Konservierung überlebter Formen nur der vorwärts drängenden
Entwicklung alles Lebens hinderlich sein will.

Vielleicht ist die öffentliche Meinung in solchen verkehrten Anschauungen
bestärkt worden durch die Art, wie von manchen übereifriger Verfechtern der
Heimatschutzsache das ästhetische Moment zu äußerlich in den Vordergrund des
Kampfes für die Erhaltung der kulturellen Güter unseres Volkes gestellt worden
ist. Anderseits barg auch die Verbreitung des Heimatschutzgedankens in weite
Schichten des Volkes die Gefahr in sich, auf die Grundzüge dieser Kultur-
bewegung verflachend einzuwirken und ihre wahren Ziele zu verwischen. Denn
es geschieht häufig, daß an sich vorzügliche Ideen von einzelnen mit einer
solchen Leidenschaft aufgegriffen werden, daß sie durch eine einseitige, die
aktuellsten Fragen des öffentlichen Lebens übergehende Propagierung bald
Widerstand finden und in ihrer Stoßkraft gehemmt werden. Deshalb muß
auch immer wieder auf die Grundgedanken hingewiesen werden, die der Berliner
Musikprofessor Or. Ernst Rudorff im Jahre 1880 aussprach, als er in einem


Die Beziehungen des Heimatschutzes

daß heute unser Volksvermögen auf 400 Milliarden Mark geschätzt wird. Mit
dem wachsenden Reichtums sind über Nacht neue Generationen ans Licht
gekommen, die durch Arbeit und Beruf aus dem Schatten ihrer Existenz
emporgestiegen, sich die äußerlichen Lebensformen der gefestigten Kulturträger
aneigneten, ohne indes zu einer verinnerlichten Lebensanschauung vordringen
zu können.

So hat diese Hebung des allgemeinen Wohlstandes, die vornehmlich dem
Unternehmungsgeiste des deutschen Kaufmannes und der Energie technischer
Intelligenz zu danken ist, zweifellos zu einer höchst einseitigen Überschätzung
und Bevorzugung der rein materiellen Werte geführt, die dem Ausgange des
neunzehnten Jahrhunderts den Stempel aufgedrückt hat.

In diese Zeit fällt die Entstehung des Heimatschutzgedankens als Reaktion
gegen die rücksichtslose Auswirkung der materiellen Interessen in allen Fragen
des öffentlichen Lebens. Auf diesem Nährboden mußte die Heimatschutzbewegung
groß werden, die in der Erfassung ästhetischer, sozialpolitischer und ethischer
Probleme als Inkarnation jener Kultur des Gemüts aufzufassen ist, die, wie
wir sahen, als ein neuer Faktor in der staatsbürgerlichen Erziehung des Volkes
nicht nur innerhalb der Grenzen unseres deutschen Vaterlandes gewertet zu
werden beginnt.

Um zu zeigen, wieviel Positives in diesen Gedanken und Anschauungen
liegt, mit denen der Heimatschutz für seine Ideen wirkt, sind mit gutem Grunde
zuerst diese Zusammenhänge der Heimatschutzbewegung mit den großen
ethischen Fragen der Zeit gestreift worden. Vor allem aber sollen durch den
Hinweis auf die von der staatsbürgerlichen Erziehung zur Heimatschutzbewegung
hinüberleitenden Gedanken alle diejenigen dem Kerne dieser Ideen nahegebracht
werden, die rein äußerlich in dieser Kulturbewegung nichts weiter sehen als
die romantische Modeschwärmerei von Schöngeistern, deren Neigung zu anti¬
quarischer Konservierung überlebter Formen nur der vorwärts drängenden
Entwicklung alles Lebens hinderlich sein will.

Vielleicht ist die öffentliche Meinung in solchen verkehrten Anschauungen
bestärkt worden durch die Art, wie von manchen übereifriger Verfechtern der
Heimatschutzsache das ästhetische Moment zu äußerlich in den Vordergrund des
Kampfes für die Erhaltung der kulturellen Güter unseres Volkes gestellt worden
ist. Anderseits barg auch die Verbreitung des Heimatschutzgedankens in weite
Schichten des Volkes die Gefahr in sich, auf die Grundzüge dieser Kultur-
bewegung verflachend einzuwirken und ihre wahren Ziele zu verwischen. Denn
es geschieht häufig, daß an sich vorzügliche Ideen von einzelnen mit einer
solchen Leidenschaft aufgegriffen werden, daß sie durch eine einseitige, die
aktuellsten Fragen des öffentlichen Lebens übergehende Propagierung bald
Widerstand finden und in ihrer Stoßkraft gehemmt werden. Deshalb muß
auch immer wieder auf die Grundgedanken hingewiesen werden, die der Berliner
Musikprofessor Or. Ernst Rudorff im Jahre 1880 aussprach, als er in einem


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[0347] Die Beziehungen des Heimatschutzes daß heute unser Volksvermögen auf 400 Milliarden Mark geschätzt wird. Mit dem wachsenden Reichtums sind über Nacht neue Generationen ans Licht gekommen, die durch Arbeit und Beruf aus dem Schatten ihrer Existenz emporgestiegen, sich die äußerlichen Lebensformen der gefestigten Kulturträger aneigneten, ohne indes zu einer verinnerlichten Lebensanschauung vordringen zu können. So hat diese Hebung des allgemeinen Wohlstandes, die vornehmlich dem Unternehmungsgeiste des deutschen Kaufmannes und der Energie technischer Intelligenz zu danken ist, zweifellos zu einer höchst einseitigen Überschätzung und Bevorzugung der rein materiellen Werte geführt, die dem Ausgange des neunzehnten Jahrhunderts den Stempel aufgedrückt hat. In diese Zeit fällt die Entstehung des Heimatschutzgedankens als Reaktion gegen die rücksichtslose Auswirkung der materiellen Interessen in allen Fragen des öffentlichen Lebens. Auf diesem Nährboden mußte die Heimatschutzbewegung groß werden, die in der Erfassung ästhetischer, sozialpolitischer und ethischer Probleme als Inkarnation jener Kultur des Gemüts aufzufassen ist, die, wie wir sahen, als ein neuer Faktor in der staatsbürgerlichen Erziehung des Volkes nicht nur innerhalb der Grenzen unseres deutschen Vaterlandes gewertet zu werden beginnt. Um zu zeigen, wieviel Positives in diesen Gedanken und Anschauungen liegt, mit denen der Heimatschutz für seine Ideen wirkt, sind mit gutem Grunde zuerst diese Zusammenhänge der Heimatschutzbewegung mit den großen ethischen Fragen der Zeit gestreift worden. Vor allem aber sollen durch den Hinweis auf die von der staatsbürgerlichen Erziehung zur Heimatschutzbewegung hinüberleitenden Gedanken alle diejenigen dem Kerne dieser Ideen nahegebracht werden, die rein äußerlich in dieser Kulturbewegung nichts weiter sehen als die romantische Modeschwärmerei von Schöngeistern, deren Neigung zu anti¬ quarischer Konservierung überlebter Formen nur der vorwärts drängenden Entwicklung alles Lebens hinderlich sein will. Vielleicht ist die öffentliche Meinung in solchen verkehrten Anschauungen bestärkt worden durch die Art, wie von manchen übereifriger Verfechtern der Heimatschutzsache das ästhetische Moment zu äußerlich in den Vordergrund des Kampfes für die Erhaltung der kulturellen Güter unseres Volkes gestellt worden ist. Anderseits barg auch die Verbreitung des Heimatschutzgedankens in weite Schichten des Volkes die Gefahr in sich, auf die Grundzüge dieser Kultur- bewegung verflachend einzuwirken und ihre wahren Ziele zu verwischen. Denn es geschieht häufig, daß an sich vorzügliche Ideen von einzelnen mit einer solchen Leidenschaft aufgegriffen werden, daß sie durch eine einseitige, die aktuellsten Fragen des öffentlichen Lebens übergehende Propagierung bald Widerstand finden und in ihrer Stoßkraft gehemmt werden. Deshalb muß auch immer wieder auf die Grundgedanken hingewiesen werden, die der Berliner Musikprofessor Or. Ernst Rudorff im Jahre 1880 aussprach, als er in einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/347>, abgerufen am 27.07.2024.