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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Engländer in Indien

Rache nehmen; ehe sie darauf verzichteten, würden sie selbst vor einem Angriff
auf die Truppen nicht zurückschrecken. Schließlich zwang man die Leute sich
zu zerstreuen, indem man ihnen das Wasser abschnitt. In Peschawer ereigneten
sich im folgenden Jahre ähnliche Unruhen, deren Einzelheiten ich nicht kenne.
Doch gab es damals zahlreiche Tote und Verwundete.

Was sich so heute in einem engbegrenzten Rahmen abspielt, ist ein ge¬
treues Abbild dessen, was sich nach Abzug der Engländer im großen in Indien
ereignen würde. Man wirft den Engländern so häufig vor, daß sie den Zwist
der Religionen nach dem Prinzip: ciiviäe et impsra im geheimen schürten.
Wahr ist daran nur. daß die Engländer an den in der Minderheit befindlichen
Mohammedanern natürliche Verbündete gegen die Hindumajorität finden (50 Mill.
: 250 Mill.). Aber das Schüren des Religionshasses ist bei der zwischen den
Anhängern der verschiedenen Religionen herrschenden Erbitterung wahrhaftig
nicht mehr nötig. Den Engländern wäre es viel lieber, wenn die Feindschaft
weniger groß wäre. Denn auch das Amt des Friedensengels kann auf die
Dauer recht lästig und kostspielig werden. Im Bestreben unparteiisch zu sein,
kann man sich leicht die Sympathien beider Teile verscherzen, wenn z. B. jede
Partei glaubt, sie habe den Unparteiischen gar nicht nötig und würde ohne
dessen Eingreifen allein Herr der Situation sein.

In den Anfängen der Eroberung Indiens, als dort noch große selbständige
Staaten neben dem englischen Kolonialreich bestanden, hatten die Eingeborenen
Gelegenheit, Vergleiche zu ziehen und lernten die Vorzüge des englischen Re¬
gierungssystems schätzen. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts,
als der kluge Lord Bentink seine großzügigen und humanen Reformen durch¬
führte, baten die Einwohner Sindh (an der Mündung des Indus) und die
mohammedanischen Untertanen der Sikhs die Engländer geradezu, ihr Land zu
annektieren, um so der Segnungen des britischen Regierungssystems teilhaftig
zu werden. Die nun schon mehr als fünfzig Jahre währende pax britannica
hat die Erinnerung an die Schrecken der früheren Zustände verwischt, so daß
man den ersehnten Befreier von damals heute mehr und mehr als lästigen
Fremdling empfindet. Andere Ursachen tragen dazu bei, die Lage noch mehr
zu verschärfen.

Alle vorenglischen Eroberer Indiens hatten nur dadurch ihre Herrschaft
fest begründen können, daß sie sich dauernd im Lande ansiedelten und sich, so
gut sie konnten, in nationale Herrscher verwandelten. Die Familie der Baders
galt trotz ihrer mongolischen Abstammung schon in der dritten Generation ganz
als einheimische Dynastie und genoß daher trotz der jämmerlichen Schwäche
ihrer späteren Repräsentanten noch bis zu ihrer Absetzung im Jahre 1857 ein
weitreichendes Ansehen. Die herrschende Klasse verleugnete also ihre Natio¬
nalität und stieg zu den unterworfenen Völkern herab. Damit legte sie zwar
den Keim zu ihrem späteren Verfall, half sich aber über die Schwierigkeiten
der Gegenwart hinweg. Die Engländer sind dagegen dem Lande, in dem sie


Die Engländer in Indien

Rache nehmen; ehe sie darauf verzichteten, würden sie selbst vor einem Angriff
auf die Truppen nicht zurückschrecken. Schließlich zwang man die Leute sich
zu zerstreuen, indem man ihnen das Wasser abschnitt. In Peschawer ereigneten
sich im folgenden Jahre ähnliche Unruhen, deren Einzelheiten ich nicht kenne.
Doch gab es damals zahlreiche Tote und Verwundete.

Was sich so heute in einem engbegrenzten Rahmen abspielt, ist ein ge¬
treues Abbild dessen, was sich nach Abzug der Engländer im großen in Indien
ereignen würde. Man wirft den Engländern so häufig vor, daß sie den Zwist
der Religionen nach dem Prinzip: ciiviäe et impsra im geheimen schürten.
Wahr ist daran nur. daß die Engländer an den in der Minderheit befindlichen
Mohammedanern natürliche Verbündete gegen die Hindumajorität finden (50 Mill.
: 250 Mill.). Aber das Schüren des Religionshasses ist bei der zwischen den
Anhängern der verschiedenen Religionen herrschenden Erbitterung wahrhaftig
nicht mehr nötig. Den Engländern wäre es viel lieber, wenn die Feindschaft
weniger groß wäre. Denn auch das Amt des Friedensengels kann auf die
Dauer recht lästig und kostspielig werden. Im Bestreben unparteiisch zu sein,
kann man sich leicht die Sympathien beider Teile verscherzen, wenn z. B. jede
Partei glaubt, sie habe den Unparteiischen gar nicht nötig und würde ohne
dessen Eingreifen allein Herr der Situation sein.

In den Anfängen der Eroberung Indiens, als dort noch große selbständige
Staaten neben dem englischen Kolonialreich bestanden, hatten die Eingeborenen
Gelegenheit, Vergleiche zu ziehen und lernten die Vorzüge des englischen Re¬
gierungssystems schätzen. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts,
als der kluge Lord Bentink seine großzügigen und humanen Reformen durch¬
führte, baten die Einwohner Sindh (an der Mündung des Indus) und die
mohammedanischen Untertanen der Sikhs die Engländer geradezu, ihr Land zu
annektieren, um so der Segnungen des britischen Regierungssystems teilhaftig
zu werden. Die nun schon mehr als fünfzig Jahre währende pax britannica
hat die Erinnerung an die Schrecken der früheren Zustände verwischt, so daß
man den ersehnten Befreier von damals heute mehr und mehr als lästigen
Fremdling empfindet. Andere Ursachen tragen dazu bei, die Lage noch mehr
zu verschärfen.

Alle vorenglischen Eroberer Indiens hatten nur dadurch ihre Herrschaft
fest begründen können, daß sie sich dauernd im Lande ansiedelten und sich, so
gut sie konnten, in nationale Herrscher verwandelten. Die Familie der Baders
galt trotz ihrer mongolischen Abstammung schon in der dritten Generation ganz
als einheimische Dynastie und genoß daher trotz der jämmerlichen Schwäche
ihrer späteren Repräsentanten noch bis zu ihrer Absetzung im Jahre 1857 ein
weitreichendes Ansehen. Die herrschende Klasse verleugnete also ihre Natio¬
nalität und stieg zu den unterworfenen Völkern herab. Damit legte sie zwar
den Keim zu ihrem späteren Verfall, half sich aber über die Schwierigkeiten
der Gegenwart hinweg. Die Engländer sind dagegen dem Lande, in dem sie


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[0334] Die Engländer in Indien Rache nehmen; ehe sie darauf verzichteten, würden sie selbst vor einem Angriff auf die Truppen nicht zurückschrecken. Schließlich zwang man die Leute sich zu zerstreuen, indem man ihnen das Wasser abschnitt. In Peschawer ereigneten sich im folgenden Jahre ähnliche Unruhen, deren Einzelheiten ich nicht kenne. Doch gab es damals zahlreiche Tote und Verwundete. Was sich so heute in einem engbegrenzten Rahmen abspielt, ist ein ge¬ treues Abbild dessen, was sich nach Abzug der Engländer im großen in Indien ereignen würde. Man wirft den Engländern so häufig vor, daß sie den Zwist der Religionen nach dem Prinzip: ciiviäe et impsra im geheimen schürten. Wahr ist daran nur. daß die Engländer an den in der Minderheit befindlichen Mohammedanern natürliche Verbündete gegen die Hindumajorität finden (50 Mill. : 250 Mill.). Aber das Schüren des Religionshasses ist bei der zwischen den Anhängern der verschiedenen Religionen herrschenden Erbitterung wahrhaftig nicht mehr nötig. Den Engländern wäre es viel lieber, wenn die Feindschaft weniger groß wäre. Denn auch das Amt des Friedensengels kann auf die Dauer recht lästig und kostspielig werden. Im Bestreben unparteiisch zu sein, kann man sich leicht die Sympathien beider Teile verscherzen, wenn z. B. jede Partei glaubt, sie habe den Unparteiischen gar nicht nötig und würde ohne dessen Eingreifen allein Herr der Situation sein. In den Anfängen der Eroberung Indiens, als dort noch große selbständige Staaten neben dem englischen Kolonialreich bestanden, hatten die Eingeborenen Gelegenheit, Vergleiche zu ziehen und lernten die Vorzüge des englischen Re¬ gierungssystems schätzen. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als der kluge Lord Bentink seine großzügigen und humanen Reformen durch¬ führte, baten die Einwohner Sindh (an der Mündung des Indus) und die mohammedanischen Untertanen der Sikhs die Engländer geradezu, ihr Land zu annektieren, um so der Segnungen des britischen Regierungssystems teilhaftig zu werden. Die nun schon mehr als fünfzig Jahre währende pax britannica hat die Erinnerung an die Schrecken der früheren Zustände verwischt, so daß man den ersehnten Befreier von damals heute mehr und mehr als lästigen Fremdling empfindet. Andere Ursachen tragen dazu bei, die Lage noch mehr zu verschärfen. Alle vorenglischen Eroberer Indiens hatten nur dadurch ihre Herrschaft fest begründen können, daß sie sich dauernd im Lande ansiedelten und sich, so gut sie konnten, in nationale Herrscher verwandelten. Die Familie der Baders galt trotz ihrer mongolischen Abstammung schon in der dritten Generation ganz als einheimische Dynastie und genoß daher trotz der jämmerlichen Schwäche ihrer späteren Repräsentanten noch bis zu ihrer Absetzung im Jahre 1857 ein weitreichendes Ansehen. Die herrschende Klasse verleugnete also ihre Natio¬ nalität und stieg zu den unterworfenen Völkern herab. Damit legte sie zwar den Keim zu ihrem späteren Verfall, half sich aber über die Schwierigkeiten der Gegenwart hinweg. Die Engländer sind dagegen dem Lande, in dem sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/334>, abgerufen am 27.07.2024.