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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Anselm Feuerbach und seine Zeit

die Züge der schönen Römerin Nanna tragen, der Knienden vor der Leiche des
Herrn, der nater äolorosa, deren Rücken und Gewandung so von Schmerz
zeugen, daß man nicht die Verborgenheit des Antlitzes bemerkt. Der Kinder
gedenke man, mit den Mandolinen, im Wald und am Meere und der Nymphe
mit bekränzten Haar, die sie heimlich belauscht, vor allem aber jenes wunder¬
vollen Bildes in Berlin, das er Ricordo ti Tivoli genannt hat und darin das
Schweigen seliger Natur tiefer dargetan ist als in den Allegorien von Böcklin.
Groß erstehe die Medea mit den beiden Kindern und das Schiff, das die
Ruderknechte ins Meer hinabdrängen, und es sprenge der Reiter auf dem
schwarzen Pferd von der Amazonenschlacht wieder einher. Die edle Erscheinung
der Selbstbildnisse von München und Wien veranschauliche mehr als hier mit
Worten gesagt werden kann, und mehr als alles liebevolle und bewundernde
Gedenken wird das Bild bewegen, das er von der Mutter gemalt hat. Das
letzte Gemälde, das Konzert, gemahnt wieder an die raffaelische Weise der
Poesie, das letzte Bekenntnis zu der großen Zeit, der nicht angehört zu haben
Anselm Feuerbachs tiefste Tragik ausmacht.

Sein Kampf ist vorüber, sein Ziel für alle Zeiten erreicht. Seine Passion
ergreift uns, fein Sieg aber erhebt uns auch über sie. Aufs neue lernen wir
erkennen, welche Opfer an zeitlichem Glück der Genius erheischt. Umso ver-
ehrenswerter wird uns das Bild des Abgeschiedenen, um so entrückter in eine
Sphäre, in der er wohl schon bei Lebzeiten geatmet hat. Und man begreift,
daß sich der Ringende schmerzvoll auf jenen Ausspruch des Vasari berufen
konnte, daß Glück und Kunst in steter Feindschaft miteinander leben, denn wenn
sie sich in einem Menschen vereinigen wollten, so wäre das etwas so Vollendetes,
daß es alle anderen vor Neid nimmer aushalten könnten. "Das Leben war
ihm gut genug für seine Kunst," schreibt die Mutter in einem ihrer erschütternden
Dankbriefe auf Kondolenzen. "Er ist ein Opfer des Unverstandes, der schlechten
Zeit, des Neides und schließlich seiner eigenen, feinen, reizbaren Natur geworden,
die kampfesmüde war und die Waffen niederlegte. Er starb nicht an einer
Krankheit, es ist ihm einfach das Herz gebrochen," klagt sie zu Konrad Fiedler.
Aber zu Allgeyer schon findet sie das Wort, das wie als ein Motto hoch steht
über seinem Leben. "Es hat nie einen Menschen gegeben, der so rein er
selbst war als Anselm."

Johannes Brahms war es, der dem Toten die höchste Ehre verlieh.- er
weihte ihm seine "Rauie". Und die Worte, die Henriette Feuerbach nach dem
Tode Urseins über sie an Brahms schrieb, es war eine abendliche Winter¬
stunde, scheint in ihnen nicht die lebendige Seele des gefeierten Geistes selber
Hinzuschweben? Ist es nicht Anselm Feuerbachs Kunst, die gleich dem Liede
"über den Abgründen des irdischen Lebens in Verklärung" steht, "nicht so hoch,
daß der Schmerzenshauch es nicht erreichen kann und nicht so tief, daß es
von ihm getrübt wird?" Auch sie "nimmt alles auf und löst es zu ewigem
Genügen". _


Anselm Feuerbach und seine Zeit

die Züge der schönen Römerin Nanna tragen, der Knienden vor der Leiche des
Herrn, der nater äolorosa, deren Rücken und Gewandung so von Schmerz
zeugen, daß man nicht die Verborgenheit des Antlitzes bemerkt. Der Kinder
gedenke man, mit den Mandolinen, im Wald und am Meere und der Nymphe
mit bekränzten Haar, die sie heimlich belauscht, vor allem aber jenes wunder¬
vollen Bildes in Berlin, das er Ricordo ti Tivoli genannt hat und darin das
Schweigen seliger Natur tiefer dargetan ist als in den Allegorien von Böcklin.
Groß erstehe die Medea mit den beiden Kindern und das Schiff, das die
Ruderknechte ins Meer hinabdrängen, und es sprenge der Reiter auf dem
schwarzen Pferd von der Amazonenschlacht wieder einher. Die edle Erscheinung
der Selbstbildnisse von München und Wien veranschauliche mehr als hier mit
Worten gesagt werden kann, und mehr als alles liebevolle und bewundernde
Gedenken wird das Bild bewegen, das er von der Mutter gemalt hat. Das
letzte Gemälde, das Konzert, gemahnt wieder an die raffaelische Weise der
Poesie, das letzte Bekenntnis zu der großen Zeit, der nicht angehört zu haben
Anselm Feuerbachs tiefste Tragik ausmacht.

Sein Kampf ist vorüber, sein Ziel für alle Zeiten erreicht. Seine Passion
ergreift uns, fein Sieg aber erhebt uns auch über sie. Aufs neue lernen wir
erkennen, welche Opfer an zeitlichem Glück der Genius erheischt. Umso ver-
ehrenswerter wird uns das Bild des Abgeschiedenen, um so entrückter in eine
Sphäre, in der er wohl schon bei Lebzeiten geatmet hat. Und man begreift,
daß sich der Ringende schmerzvoll auf jenen Ausspruch des Vasari berufen
konnte, daß Glück und Kunst in steter Feindschaft miteinander leben, denn wenn
sie sich in einem Menschen vereinigen wollten, so wäre das etwas so Vollendetes,
daß es alle anderen vor Neid nimmer aushalten könnten. „Das Leben war
ihm gut genug für seine Kunst," schreibt die Mutter in einem ihrer erschütternden
Dankbriefe auf Kondolenzen. „Er ist ein Opfer des Unverstandes, der schlechten
Zeit, des Neides und schließlich seiner eigenen, feinen, reizbaren Natur geworden,
die kampfesmüde war und die Waffen niederlegte. Er starb nicht an einer
Krankheit, es ist ihm einfach das Herz gebrochen," klagt sie zu Konrad Fiedler.
Aber zu Allgeyer schon findet sie das Wort, das wie als ein Motto hoch steht
über seinem Leben. „Es hat nie einen Menschen gegeben, der so rein er
selbst war als Anselm."

Johannes Brahms war es, der dem Toten die höchste Ehre verlieh.- er
weihte ihm seine „Rauie". Und die Worte, die Henriette Feuerbach nach dem
Tode Urseins über sie an Brahms schrieb, es war eine abendliche Winter¬
stunde, scheint in ihnen nicht die lebendige Seele des gefeierten Geistes selber
Hinzuschweben? Ist es nicht Anselm Feuerbachs Kunst, die gleich dem Liede
„über den Abgründen des irdischen Lebens in Verklärung" steht, „nicht so hoch,
daß der Schmerzenshauch es nicht erreichen kann und nicht so tief, daß es
von ihm getrübt wird?" Auch sie „nimmt alles auf und löst es zu ewigem
Genügen". _


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[0332] Anselm Feuerbach und seine Zeit die Züge der schönen Römerin Nanna tragen, der Knienden vor der Leiche des Herrn, der nater äolorosa, deren Rücken und Gewandung so von Schmerz zeugen, daß man nicht die Verborgenheit des Antlitzes bemerkt. Der Kinder gedenke man, mit den Mandolinen, im Wald und am Meere und der Nymphe mit bekränzten Haar, die sie heimlich belauscht, vor allem aber jenes wunder¬ vollen Bildes in Berlin, das er Ricordo ti Tivoli genannt hat und darin das Schweigen seliger Natur tiefer dargetan ist als in den Allegorien von Böcklin. Groß erstehe die Medea mit den beiden Kindern und das Schiff, das die Ruderknechte ins Meer hinabdrängen, und es sprenge der Reiter auf dem schwarzen Pferd von der Amazonenschlacht wieder einher. Die edle Erscheinung der Selbstbildnisse von München und Wien veranschauliche mehr als hier mit Worten gesagt werden kann, und mehr als alles liebevolle und bewundernde Gedenken wird das Bild bewegen, das er von der Mutter gemalt hat. Das letzte Gemälde, das Konzert, gemahnt wieder an die raffaelische Weise der Poesie, das letzte Bekenntnis zu der großen Zeit, der nicht angehört zu haben Anselm Feuerbachs tiefste Tragik ausmacht. Sein Kampf ist vorüber, sein Ziel für alle Zeiten erreicht. Seine Passion ergreift uns, fein Sieg aber erhebt uns auch über sie. Aufs neue lernen wir erkennen, welche Opfer an zeitlichem Glück der Genius erheischt. Umso ver- ehrenswerter wird uns das Bild des Abgeschiedenen, um so entrückter in eine Sphäre, in der er wohl schon bei Lebzeiten geatmet hat. Und man begreift, daß sich der Ringende schmerzvoll auf jenen Ausspruch des Vasari berufen konnte, daß Glück und Kunst in steter Feindschaft miteinander leben, denn wenn sie sich in einem Menschen vereinigen wollten, so wäre das etwas so Vollendetes, daß es alle anderen vor Neid nimmer aushalten könnten. „Das Leben war ihm gut genug für seine Kunst," schreibt die Mutter in einem ihrer erschütternden Dankbriefe auf Kondolenzen. „Er ist ein Opfer des Unverstandes, der schlechten Zeit, des Neides und schließlich seiner eigenen, feinen, reizbaren Natur geworden, die kampfesmüde war und die Waffen niederlegte. Er starb nicht an einer Krankheit, es ist ihm einfach das Herz gebrochen," klagt sie zu Konrad Fiedler. Aber zu Allgeyer schon findet sie das Wort, das wie als ein Motto hoch steht über seinem Leben. „Es hat nie einen Menschen gegeben, der so rein er selbst war als Anselm." Johannes Brahms war es, der dem Toten die höchste Ehre verlieh.- er weihte ihm seine „Rauie". Und die Worte, die Henriette Feuerbach nach dem Tode Urseins über sie an Brahms schrieb, es war eine abendliche Winter¬ stunde, scheint in ihnen nicht die lebendige Seele des gefeierten Geistes selber Hinzuschweben? Ist es nicht Anselm Feuerbachs Kunst, die gleich dem Liede „über den Abgründen des irdischen Lebens in Verklärung" steht, „nicht so hoch, daß der Schmerzenshauch es nicht erreichen kann und nicht so tief, daß es von ihm getrübt wird?" Auch sie „nimmt alles auf und löst es zu ewigem Genügen". _

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/332>, abgerufen am 27.07.2024.