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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Anselm Feuerbach und seine Zeit

welchen Opfern! Er war kein Liebling der Grazien, aber er warb um sie so
lange, bis sie ihn dulden mußten.

Er sagt in den Anmerkungen zum Vermächtnis: "Der landesübliche Ver¬
gleich der Historienmalerei mit der dramatischen Dichtung, das Genre mit der
Lyrik, ist ganz unbrauchbar, weil in der Dichtkunst Dinge erlaubt sind, die die
Grenzen der Malerei überschreiten und umgekehrt." Dennoch ^hat er diese
Grenzen oft überschritten. Ein Funke des Wagnerschen Gedankens von der
Vereinigung aller Künste im Gesamtkunstwerk nutz geheim in ihm geleuchtet
haben. Er malte nie ein Bild ohne die Sehnsucht nach jener innerlichsten
Wirkung, wie sie dem Dichter gelingt. Er beneidet den Musiker um die tiefere
Macht des Ergreifens: "Selig ist Mendelssohn zu preisen," schreibt er, "dessen
ganze Seele wogt die Welt hinauf und hernieder, all sein Sehnen ... all
sein Dichten liegt klar in der lieblichsten Form da . . . selig all die großen
Geister, deren Innerstes mit Riesengewalt und Zauberkraft aufs Papier ge¬
bracht ist, aber so ein Maler! . . . Wenn der Musiker komponiert, denkt er in
Tönen und die Töne sind die Noten, also so gedacht, so gemacht, der Dichter
denkt in Worten, also schreibt er die gedachten hin und da ist seine ganze
Seele, der Maler denkt, und wenn er ans Machen geht, so kommen diese
hundert Schwierigkeiten, da muß Kontur sein, da Farbe und Zeit ... so
malt er und malt in sich hinein, wird immer kühler und kühler und zuletzt
kann er sich nicht mehr denken, wie er anfangs gedacht und macht sich weis
am Ende, er hätte so gedacht, wie fein Gemälde dasteht."

"Ich wollte," ruft er aus, "es käme ein Engel vom Himmel, der malte
mit Götterhand so wie man denkt!" -- Das ist wohl mehr, als die meta¬
physische Unzulänglichkeit des Künstlers, und wenn Feuerbach in einer freieren
Stunde sagen konnte, um ein guter Maler zu sein, bedürfe es vier Dinge:
ein weiches Herz, ein feines Auge, eine leichte Hand und immer frisch ge¬
waschene Pinsel, so vergaß er des Dämons, der ihn am bittersten leiden
gemacht, allein ihm auch die Pforte der Unsterblichkeit eröffnet hat: seiner
menschlichen Seele.

Seine Iphigenien zeigen am besten, wie er war, in dieser Figur von
äußerster Erhabenheit und Reinheit ist die Idee seiner selbst immanent. "Deine
Iphigenie ist identisch mit Dir geworden," schreibt ihm die Mutter, "es kann
keinem anderen Maler mehr einfallen, diesen Gegenstand zu wählen". Man
gedenke der tief in sich ruhenden, weißgewandeten hohen Gestalt, an die
Böschung gelehnt, einen Ölzweig in der Hand, am Rande des Meeres, und
jener zweiten mit dem Perlenband im Haar, lauschend auf den Laut der Flut,
deren Ferne die Heimat birgt. Und man wird der ewigen Gestalt begegnen,
die seit Goethe in uns lebt.

Aller dieser Schöpfungen gedenke man wieder, jener Poesie in der Karls¬
ruher Galerie, an der Raffael gebildet zu haben scheint, des Dante zwischen
den Frauen, der Madonna, die Musik von Engeln umklingt, der Frauen, die


Anselm Feuerbach und seine Zeit

welchen Opfern! Er war kein Liebling der Grazien, aber er warb um sie so
lange, bis sie ihn dulden mußten.

Er sagt in den Anmerkungen zum Vermächtnis: „Der landesübliche Ver¬
gleich der Historienmalerei mit der dramatischen Dichtung, das Genre mit der
Lyrik, ist ganz unbrauchbar, weil in der Dichtkunst Dinge erlaubt sind, die die
Grenzen der Malerei überschreiten und umgekehrt." Dennoch ^hat er diese
Grenzen oft überschritten. Ein Funke des Wagnerschen Gedankens von der
Vereinigung aller Künste im Gesamtkunstwerk nutz geheim in ihm geleuchtet
haben. Er malte nie ein Bild ohne die Sehnsucht nach jener innerlichsten
Wirkung, wie sie dem Dichter gelingt. Er beneidet den Musiker um die tiefere
Macht des Ergreifens: „Selig ist Mendelssohn zu preisen," schreibt er, „dessen
ganze Seele wogt die Welt hinauf und hernieder, all sein Sehnen ... all
sein Dichten liegt klar in der lieblichsten Form da . . . selig all die großen
Geister, deren Innerstes mit Riesengewalt und Zauberkraft aufs Papier ge¬
bracht ist, aber so ein Maler! . . . Wenn der Musiker komponiert, denkt er in
Tönen und die Töne sind die Noten, also so gedacht, so gemacht, der Dichter
denkt in Worten, also schreibt er die gedachten hin und da ist seine ganze
Seele, der Maler denkt, und wenn er ans Machen geht, so kommen diese
hundert Schwierigkeiten, da muß Kontur sein, da Farbe und Zeit ... so
malt er und malt in sich hinein, wird immer kühler und kühler und zuletzt
kann er sich nicht mehr denken, wie er anfangs gedacht und macht sich weis
am Ende, er hätte so gedacht, wie fein Gemälde dasteht."

„Ich wollte," ruft er aus, „es käme ein Engel vom Himmel, der malte
mit Götterhand so wie man denkt!" — Das ist wohl mehr, als die meta¬
physische Unzulänglichkeit des Künstlers, und wenn Feuerbach in einer freieren
Stunde sagen konnte, um ein guter Maler zu sein, bedürfe es vier Dinge:
ein weiches Herz, ein feines Auge, eine leichte Hand und immer frisch ge¬
waschene Pinsel, so vergaß er des Dämons, der ihn am bittersten leiden
gemacht, allein ihm auch die Pforte der Unsterblichkeit eröffnet hat: seiner
menschlichen Seele.

Seine Iphigenien zeigen am besten, wie er war, in dieser Figur von
äußerster Erhabenheit und Reinheit ist die Idee seiner selbst immanent. „Deine
Iphigenie ist identisch mit Dir geworden," schreibt ihm die Mutter, „es kann
keinem anderen Maler mehr einfallen, diesen Gegenstand zu wählen". Man
gedenke der tief in sich ruhenden, weißgewandeten hohen Gestalt, an die
Böschung gelehnt, einen Ölzweig in der Hand, am Rande des Meeres, und
jener zweiten mit dem Perlenband im Haar, lauschend auf den Laut der Flut,
deren Ferne die Heimat birgt. Und man wird der ewigen Gestalt begegnen,
die seit Goethe in uns lebt.

Aller dieser Schöpfungen gedenke man wieder, jener Poesie in der Karls¬
ruher Galerie, an der Raffael gebildet zu haben scheint, des Dante zwischen
den Frauen, der Madonna, die Musik von Engeln umklingt, der Frauen, die


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[0331] Anselm Feuerbach und seine Zeit welchen Opfern! Er war kein Liebling der Grazien, aber er warb um sie so lange, bis sie ihn dulden mußten. Er sagt in den Anmerkungen zum Vermächtnis: „Der landesübliche Ver¬ gleich der Historienmalerei mit der dramatischen Dichtung, das Genre mit der Lyrik, ist ganz unbrauchbar, weil in der Dichtkunst Dinge erlaubt sind, die die Grenzen der Malerei überschreiten und umgekehrt." Dennoch ^hat er diese Grenzen oft überschritten. Ein Funke des Wagnerschen Gedankens von der Vereinigung aller Künste im Gesamtkunstwerk nutz geheim in ihm geleuchtet haben. Er malte nie ein Bild ohne die Sehnsucht nach jener innerlichsten Wirkung, wie sie dem Dichter gelingt. Er beneidet den Musiker um die tiefere Macht des Ergreifens: „Selig ist Mendelssohn zu preisen," schreibt er, „dessen ganze Seele wogt die Welt hinauf und hernieder, all sein Sehnen ... all sein Dichten liegt klar in der lieblichsten Form da . . . selig all die großen Geister, deren Innerstes mit Riesengewalt und Zauberkraft aufs Papier ge¬ bracht ist, aber so ein Maler! . . . Wenn der Musiker komponiert, denkt er in Tönen und die Töne sind die Noten, also so gedacht, so gemacht, der Dichter denkt in Worten, also schreibt er die gedachten hin und da ist seine ganze Seele, der Maler denkt, und wenn er ans Machen geht, so kommen diese hundert Schwierigkeiten, da muß Kontur sein, da Farbe und Zeit ... so malt er und malt in sich hinein, wird immer kühler und kühler und zuletzt kann er sich nicht mehr denken, wie er anfangs gedacht und macht sich weis am Ende, er hätte so gedacht, wie fein Gemälde dasteht." „Ich wollte," ruft er aus, „es käme ein Engel vom Himmel, der malte mit Götterhand so wie man denkt!" — Das ist wohl mehr, als die meta¬ physische Unzulänglichkeit des Künstlers, und wenn Feuerbach in einer freieren Stunde sagen konnte, um ein guter Maler zu sein, bedürfe es vier Dinge: ein weiches Herz, ein feines Auge, eine leichte Hand und immer frisch ge¬ waschene Pinsel, so vergaß er des Dämons, der ihn am bittersten leiden gemacht, allein ihm auch die Pforte der Unsterblichkeit eröffnet hat: seiner menschlichen Seele. Seine Iphigenien zeigen am besten, wie er war, in dieser Figur von äußerster Erhabenheit und Reinheit ist die Idee seiner selbst immanent. „Deine Iphigenie ist identisch mit Dir geworden," schreibt ihm die Mutter, „es kann keinem anderen Maler mehr einfallen, diesen Gegenstand zu wählen". Man gedenke der tief in sich ruhenden, weißgewandeten hohen Gestalt, an die Böschung gelehnt, einen Ölzweig in der Hand, am Rande des Meeres, und jener zweiten mit dem Perlenband im Haar, lauschend auf den Laut der Flut, deren Ferne die Heimat birgt. Und man wird der ewigen Gestalt begegnen, die seit Goethe in uns lebt. Aller dieser Schöpfungen gedenke man wieder, jener Poesie in der Karls¬ ruher Galerie, an der Raffael gebildet zu haben scheint, des Dante zwischen den Frauen, der Madonna, die Musik von Engeln umklingt, der Frauen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/331>, abgerufen am 22.12.2024.