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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Anselm Feuerbach und seine Zeit

an Gestalt und Ausdruck mehr als die historische Erscheinung oder die theatralische
Figur; ihm gelang das Ewige des menschlichen Gefühls aus ihnen zu heben,
Sehnsucht, Traum und Schmerz in der Verklärung der Vergangenheit rein dar¬
zustellen; so wuchs er über die Zeit hinaus und steht in der Sphäre der alten
Meister Italiens.

Umgeben von diesen Bildern, erfüllt von hohen Träumen und Ideen
hätte er in Rom eines glücklicheren Lebens kaum teilhaftig werden können.
Seine stolze Natur fand Genuß an sich selbst und er empfand es tief, daß ihr
schaffende Gewalt und Macht über Schönheit gegeben war. Aber es war ihm
nicht bestimmt, zu ruhen und sich zu entfalten. Die Sorge um das Leben,
die gemeine Not des Brotes ward sein Dämon, der ihn nie verließ. Kaum
einer seiner Briefe an die Mutter ist aus freier Seele gekommen. Geld,
immer wieder Geld müssen sie fordern. Seine Bilder werden nicht verkauft,
auf jedes neue setzt er seine ganze Hoffnung, in der Welt draußen enttäuscht
es ihn. Bielersee Tage des Elends und der Demütigung macht er durch. Die
Mutter, die sich selbst nur kümmerlich mit Klavierstunden und literarischen
Arbeiten fortbringt, muß ihn unterstützen; sie führt für den in geschäftlichen
Dingen gänzlich Unbewanderten die Korrespondenz mit den Galerien, Ämtern,
Ausstellungen, sie richtet ihn mit gütigem Wort, mit Trost und Glauben
immer wieder auf. Er ist leicht verletzlich und mißtrauisch, er leidet mehr,
als ihm zu leiden auferlegt ist, sie erfüllt an ihm in der edelsten, schönsten
Weise das Amt fraulichen Beistandes. An geistiger Höhe ihm jedenfalls über¬
legen, menschlich reicher und reifer, dient sie ihm mit rührender Treue. Ihrer
festen und ruhigen Natur wird das sanguinische, nervöse, ungerechte Temperament
des Sohnes nicht stets sympathisch gewesen sein, aber das Edle im Kern beider
Menschen war gleicher Art. "Ich glaube wirklich," schreibt er, "daß ein solches
Verhältnis zwischen Mutter und Sohn, ein solches inneres Verständnis ein
Stück Glückseligkeit auf Erden ist." Sie wieder schreibt an ihren Freund
Michael Bernays über den Sohn: "Wir stehen gut und schön zusammen. Was
ich weiß und habe, kann ich ihm gegenüber wenig brauchen, aber was ich
geworden bin, dient zum Aufnehmen und Verständnis ganz neuer wunderbarer
Lebensseiten. Ich komme mir dabei selbst sehr unbedeutend und doch sehr
glücklich und reich vor . . . Ich bin gar zu glücklich, meinen Sohn ganz auf
eigenem Grund und Boden begrüßen zu können."

Der Haß gegen Deutschland, der in ihm allgemach aufkam und immer
tiefer ging, erklärt sich daraus, daß man ihn überall, nicht nur in seiner engeren
Heimat Baden, geradezu übersah oder fallen ließ. In den Ausstellungen
wurden seinen Bildern stets die ungünstigsten Stellen angewiesen, die Kritik fiel ihn
an, die Bilder wanderten von Stadt zu Stadt, nirgends fanden sich Käufer.
Aufträge, um die er sich bewarb, erhielt er nicht. Er war gezwungen, Portraits
und kitschige Köpfe um des nackten Lebens willen zu malen und er wäre buch¬
stäblich verhungert, hätte sich ihm nicht in letzter Stunde in der Gestalt des


Grenzboten II 1913 21
Anselm Feuerbach und seine Zeit

an Gestalt und Ausdruck mehr als die historische Erscheinung oder die theatralische
Figur; ihm gelang das Ewige des menschlichen Gefühls aus ihnen zu heben,
Sehnsucht, Traum und Schmerz in der Verklärung der Vergangenheit rein dar¬
zustellen; so wuchs er über die Zeit hinaus und steht in der Sphäre der alten
Meister Italiens.

Umgeben von diesen Bildern, erfüllt von hohen Träumen und Ideen
hätte er in Rom eines glücklicheren Lebens kaum teilhaftig werden können.
Seine stolze Natur fand Genuß an sich selbst und er empfand es tief, daß ihr
schaffende Gewalt und Macht über Schönheit gegeben war. Aber es war ihm
nicht bestimmt, zu ruhen und sich zu entfalten. Die Sorge um das Leben,
die gemeine Not des Brotes ward sein Dämon, der ihn nie verließ. Kaum
einer seiner Briefe an die Mutter ist aus freier Seele gekommen. Geld,
immer wieder Geld müssen sie fordern. Seine Bilder werden nicht verkauft,
auf jedes neue setzt er seine ganze Hoffnung, in der Welt draußen enttäuscht
es ihn. Bielersee Tage des Elends und der Demütigung macht er durch. Die
Mutter, die sich selbst nur kümmerlich mit Klavierstunden und literarischen
Arbeiten fortbringt, muß ihn unterstützen; sie führt für den in geschäftlichen
Dingen gänzlich Unbewanderten die Korrespondenz mit den Galerien, Ämtern,
Ausstellungen, sie richtet ihn mit gütigem Wort, mit Trost und Glauben
immer wieder auf. Er ist leicht verletzlich und mißtrauisch, er leidet mehr,
als ihm zu leiden auferlegt ist, sie erfüllt an ihm in der edelsten, schönsten
Weise das Amt fraulichen Beistandes. An geistiger Höhe ihm jedenfalls über¬
legen, menschlich reicher und reifer, dient sie ihm mit rührender Treue. Ihrer
festen und ruhigen Natur wird das sanguinische, nervöse, ungerechte Temperament
des Sohnes nicht stets sympathisch gewesen sein, aber das Edle im Kern beider
Menschen war gleicher Art. „Ich glaube wirklich," schreibt er, „daß ein solches
Verhältnis zwischen Mutter und Sohn, ein solches inneres Verständnis ein
Stück Glückseligkeit auf Erden ist." Sie wieder schreibt an ihren Freund
Michael Bernays über den Sohn: „Wir stehen gut und schön zusammen. Was
ich weiß und habe, kann ich ihm gegenüber wenig brauchen, aber was ich
geworden bin, dient zum Aufnehmen und Verständnis ganz neuer wunderbarer
Lebensseiten. Ich komme mir dabei selbst sehr unbedeutend und doch sehr
glücklich und reich vor . . . Ich bin gar zu glücklich, meinen Sohn ganz auf
eigenem Grund und Boden begrüßen zu können."

Der Haß gegen Deutschland, der in ihm allgemach aufkam und immer
tiefer ging, erklärt sich daraus, daß man ihn überall, nicht nur in seiner engeren
Heimat Baden, geradezu übersah oder fallen ließ. In den Ausstellungen
wurden seinen Bildern stets die ungünstigsten Stellen angewiesen, die Kritik fiel ihn
an, die Bilder wanderten von Stadt zu Stadt, nirgends fanden sich Käufer.
Aufträge, um die er sich bewarb, erhielt er nicht. Er war gezwungen, Portraits
und kitschige Köpfe um des nackten Lebens willen zu malen und er wäre buch¬
stäblich verhungert, hätte sich ihm nicht in letzter Stunde in der Gestalt des


Grenzboten II 1913 21
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[0325] Anselm Feuerbach und seine Zeit an Gestalt und Ausdruck mehr als die historische Erscheinung oder die theatralische Figur; ihm gelang das Ewige des menschlichen Gefühls aus ihnen zu heben, Sehnsucht, Traum und Schmerz in der Verklärung der Vergangenheit rein dar¬ zustellen; so wuchs er über die Zeit hinaus und steht in der Sphäre der alten Meister Italiens. Umgeben von diesen Bildern, erfüllt von hohen Träumen und Ideen hätte er in Rom eines glücklicheren Lebens kaum teilhaftig werden können. Seine stolze Natur fand Genuß an sich selbst und er empfand es tief, daß ihr schaffende Gewalt und Macht über Schönheit gegeben war. Aber es war ihm nicht bestimmt, zu ruhen und sich zu entfalten. Die Sorge um das Leben, die gemeine Not des Brotes ward sein Dämon, der ihn nie verließ. Kaum einer seiner Briefe an die Mutter ist aus freier Seele gekommen. Geld, immer wieder Geld müssen sie fordern. Seine Bilder werden nicht verkauft, auf jedes neue setzt er seine ganze Hoffnung, in der Welt draußen enttäuscht es ihn. Bielersee Tage des Elends und der Demütigung macht er durch. Die Mutter, die sich selbst nur kümmerlich mit Klavierstunden und literarischen Arbeiten fortbringt, muß ihn unterstützen; sie führt für den in geschäftlichen Dingen gänzlich Unbewanderten die Korrespondenz mit den Galerien, Ämtern, Ausstellungen, sie richtet ihn mit gütigem Wort, mit Trost und Glauben immer wieder auf. Er ist leicht verletzlich und mißtrauisch, er leidet mehr, als ihm zu leiden auferlegt ist, sie erfüllt an ihm in der edelsten, schönsten Weise das Amt fraulichen Beistandes. An geistiger Höhe ihm jedenfalls über¬ legen, menschlich reicher und reifer, dient sie ihm mit rührender Treue. Ihrer festen und ruhigen Natur wird das sanguinische, nervöse, ungerechte Temperament des Sohnes nicht stets sympathisch gewesen sein, aber das Edle im Kern beider Menschen war gleicher Art. „Ich glaube wirklich," schreibt er, „daß ein solches Verhältnis zwischen Mutter und Sohn, ein solches inneres Verständnis ein Stück Glückseligkeit auf Erden ist." Sie wieder schreibt an ihren Freund Michael Bernays über den Sohn: „Wir stehen gut und schön zusammen. Was ich weiß und habe, kann ich ihm gegenüber wenig brauchen, aber was ich geworden bin, dient zum Aufnehmen und Verständnis ganz neuer wunderbarer Lebensseiten. Ich komme mir dabei selbst sehr unbedeutend und doch sehr glücklich und reich vor . . . Ich bin gar zu glücklich, meinen Sohn ganz auf eigenem Grund und Boden begrüßen zu können." Der Haß gegen Deutschland, der in ihm allgemach aufkam und immer tiefer ging, erklärt sich daraus, daß man ihn überall, nicht nur in seiner engeren Heimat Baden, geradezu übersah oder fallen ließ. In den Ausstellungen wurden seinen Bildern stets die ungünstigsten Stellen angewiesen, die Kritik fiel ihn an, die Bilder wanderten von Stadt zu Stadt, nirgends fanden sich Käufer. Aufträge, um die er sich bewarb, erhielt er nicht. Er war gezwungen, Portraits und kitschige Köpfe um des nackten Lebens willen zu malen und er wäre buch¬ stäblich verhungert, hätte sich ihm nicht in letzter Stunde in der Gestalt des Grenzboten II 1913 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/325>, abgerufen am 28.07.2024.