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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Anselm Feuerbach und seine Zeit

erschienen sind. Aus ihnen gewinnt man das Bild einer außerordentlich edlen
harmonischen, reichgebildeten Natur, deren tiefste Wurzeln in Kunst und Wissenschaft
ruhen. Die Geschichte deutschen Frauentums besitzt keine Gestalt, die neben
Henriette Feuerbach an reiner Geistigkeit und dabei doch tiefster Gefühlskraft
und still waltender Fraulichkeit bestünde. Sie liebte vor allem die Musik, ihr
Bruder Christian komponierte mit bedeutender Begabung, sie spielte auf dem
Klavier mit einer Vorzüglichkeit, die ihr die Anerkennung Clara Schumanns
eintrug. In das Gelehrtenhaus verpflanzte sie lebendige Kunst. In dieser
Welt wuchs der junge Anselm auf und wenn sich seine Begabung als bildende
auf der Seite der väterlichen Tätigkeit zeigte, so mag das Musikalische in der
Natur der Mutter die Entfaltung dieses Talents, seine Bestimmung zur lauteren
und rhythmischen Wirkung wohl auch beeinflußt haben.

Den Knaben schon muß es in manchen Stunden mystisch durchfunkelt
haben, vom Stamme der großen alten Maler zu sein. In diesem Sinne war
er ganz ein Sohn des neunzehnten Jahrhunderts, daß er mit den Blicken der
Sehnsucht auf die große Zeit der Kunst Italiens gerichtet war. "Natur und
die Alten ist die Losung", schreibt er als Schüler und dieser Losung ist er
treu geblieben. Sein Talent zeigte sich früh und mit solcher Bestimmtheit,
solcher Forderung nach dem Lebensberuf, daß man -- trotz der schmalen
Mittel -- beschloß, es heranbilden zu lassen. Man sandte den Knaben an
die erste deutsche Akademie, die von Düsseldorf, der damals Wilhelm Schadow,
der Sohn des großen preußischen Plastikers, vorstand. Der einstige Nazarener
war zur Antike umgesattelt und führte hier ein rationalistisches und konservatives
Regiment, das einem freieren Geiste wie dem Feuerbachs bald unerträglich
werden mußte. Der alte Kampf zwischen der Akademie und dem Genie wird
durch ein neues Beispiel bewiesen. Immerhin darf nicht vergessen werden, daß
mancher wertvolle Einfluß hier auf den jungen Künstler ausgeübt wurde und
namentlich soll nicht unterschätzt werden, daß Carl Friedrich Lessing und Carl
Sohn seine Lehrer waren. Insbesondere der letztere mit seinen Gemälden ver¬
herrlichter Frauen muß auf den empfänglichen Geist Anselm Feuerbachs gewirkt
haben; ein Blick auf Sohns: "Donna Diana" im Städtischen Museum zu
Leipzig zeigt, wo die ersten Anregungen zur Feuerbachschen Kunst zu suchen
sind. Sowohl die Gestalten und Typen der Frauen als die Landschaft tragen
einen Charakter, den man direkt als Feuerbachisch bezeichnen könnte.

Mit der weiterschreitenden Kraft und Zeit mußte das klassizistisch erstarrte
Düsseldorf dem jungen Maler endlich unerträglich werden. Seine Sehnsucht,
zu schaffen, ward zur Leidenschaft. "Ich bin manchmal ganz erfüllt von so
erhabenen und wohltuender Gefühlen," schreibt er an die Eltern, "daß, sollte
ich sie mitteilen, ich ganz in Verwirrung käme; es ist mir oft so wohl und so
wehe in dieser Welt, ich fühle eine solche innere Kraft und Entzücken, daß ich
auf einem feurigen Drachen oder sonst einem fabelhaften Geschöpfe in der
ganzen Welt herumsausen möchte. Ich trage immer innerlich ein Etwas herum.


Anselm Feuerbach und seine Zeit

erschienen sind. Aus ihnen gewinnt man das Bild einer außerordentlich edlen
harmonischen, reichgebildeten Natur, deren tiefste Wurzeln in Kunst und Wissenschaft
ruhen. Die Geschichte deutschen Frauentums besitzt keine Gestalt, die neben
Henriette Feuerbach an reiner Geistigkeit und dabei doch tiefster Gefühlskraft
und still waltender Fraulichkeit bestünde. Sie liebte vor allem die Musik, ihr
Bruder Christian komponierte mit bedeutender Begabung, sie spielte auf dem
Klavier mit einer Vorzüglichkeit, die ihr die Anerkennung Clara Schumanns
eintrug. In das Gelehrtenhaus verpflanzte sie lebendige Kunst. In dieser
Welt wuchs der junge Anselm auf und wenn sich seine Begabung als bildende
auf der Seite der väterlichen Tätigkeit zeigte, so mag das Musikalische in der
Natur der Mutter die Entfaltung dieses Talents, seine Bestimmung zur lauteren
und rhythmischen Wirkung wohl auch beeinflußt haben.

Den Knaben schon muß es in manchen Stunden mystisch durchfunkelt
haben, vom Stamme der großen alten Maler zu sein. In diesem Sinne war
er ganz ein Sohn des neunzehnten Jahrhunderts, daß er mit den Blicken der
Sehnsucht auf die große Zeit der Kunst Italiens gerichtet war. „Natur und
die Alten ist die Losung", schreibt er als Schüler und dieser Losung ist er
treu geblieben. Sein Talent zeigte sich früh und mit solcher Bestimmtheit,
solcher Forderung nach dem Lebensberuf, daß man — trotz der schmalen
Mittel — beschloß, es heranbilden zu lassen. Man sandte den Knaben an
die erste deutsche Akademie, die von Düsseldorf, der damals Wilhelm Schadow,
der Sohn des großen preußischen Plastikers, vorstand. Der einstige Nazarener
war zur Antike umgesattelt und führte hier ein rationalistisches und konservatives
Regiment, das einem freieren Geiste wie dem Feuerbachs bald unerträglich
werden mußte. Der alte Kampf zwischen der Akademie und dem Genie wird
durch ein neues Beispiel bewiesen. Immerhin darf nicht vergessen werden, daß
mancher wertvolle Einfluß hier auf den jungen Künstler ausgeübt wurde und
namentlich soll nicht unterschätzt werden, daß Carl Friedrich Lessing und Carl
Sohn seine Lehrer waren. Insbesondere der letztere mit seinen Gemälden ver¬
herrlichter Frauen muß auf den empfänglichen Geist Anselm Feuerbachs gewirkt
haben; ein Blick auf Sohns: „Donna Diana" im Städtischen Museum zu
Leipzig zeigt, wo die ersten Anregungen zur Feuerbachschen Kunst zu suchen
sind. Sowohl die Gestalten und Typen der Frauen als die Landschaft tragen
einen Charakter, den man direkt als Feuerbachisch bezeichnen könnte.

Mit der weiterschreitenden Kraft und Zeit mußte das klassizistisch erstarrte
Düsseldorf dem jungen Maler endlich unerträglich werden. Seine Sehnsucht,
zu schaffen, ward zur Leidenschaft. „Ich bin manchmal ganz erfüllt von so
erhabenen und wohltuender Gefühlen," schreibt er an die Eltern, „daß, sollte
ich sie mitteilen, ich ganz in Verwirrung käme; es ist mir oft so wohl und so
wehe in dieser Welt, ich fühle eine solche innere Kraft und Entzücken, daß ich
auf einem feurigen Drachen oder sonst einem fabelhaften Geschöpfe in der
ganzen Welt herumsausen möchte. Ich trage immer innerlich ein Etwas herum.


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[0322] Anselm Feuerbach und seine Zeit erschienen sind. Aus ihnen gewinnt man das Bild einer außerordentlich edlen harmonischen, reichgebildeten Natur, deren tiefste Wurzeln in Kunst und Wissenschaft ruhen. Die Geschichte deutschen Frauentums besitzt keine Gestalt, die neben Henriette Feuerbach an reiner Geistigkeit und dabei doch tiefster Gefühlskraft und still waltender Fraulichkeit bestünde. Sie liebte vor allem die Musik, ihr Bruder Christian komponierte mit bedeutender Begabung, sie spielte auf dem Klavier mit einer Vorzüglichkeit, die ihr die Anerkennung Clara Schumanns eintrug. In das Gelehrtenhaus verpflanzte sie lebendige Kunst. In dieser Welt wuchs der junge Anselm auf und wenn sich seine Begabung als bildende auf der Seite der väterlichen Tätigkeit zeigte, so mag das Musikalische in der Natur der Mutter die Entfaltung dieses Talents, seine Bestimmung zur lauteren und rhythmischen Wirkung wohl auch beeinflußt haben. Den Knaben schon muß es in manchen Stunden mystisch durchfunkelt haben, vom Stamme der großen alten Maler zu sein. In diesem Sinne war er ganz ein Sohn des neunzehnten Jahrhunderts, daß er mit den Blicken der Sehnsucht auf die große Zeit der Kunst Italiens gerichtet war. „Natur und die Alten ist die Losung", schreibt er als Schüler und dieser Losung ist er treu geblieben. Sein Talent zeigte sich früh und mit solcher Bestimmtheit, solcher Forderung nach dem Lebensberuf, daß man — trotz der schmalen Mittel — beschloß, es heranbilden zu lassen. Man sandte den Knaben an die erste deutsche Akademie, die von Düsseldorf, der damals Wilhelm Schadow, der Sohn des großen preußischen Plastikers, vorstand. Der einstige Nazarener war zur Antike umgesattelt und führte hier ein rationalistisches und konservatives Regiment, das einem freieren Geiste wie dem Feuerbachs bald unerträglich werden mußte. Der alte Kampf zwischen der Akademie und dem Genie wird durch ein neues Beispiel bewiesen. Immerhin darf nicht vergessen werden, daß mancher wertvolle Einfluß hier auf den jungen Künstler ausgeübt wurde und namentlich soll nicht unterschätzt werden, daß Carl Friedrich Lessing und Carl Sohn seine Lehrer waren. Insbesondere der letztere mit seinen Gemälden ver¬ herrlichter Frauen muß auf den empfänglichen Geist Anselm Feuerbachs gewirkt haben; ein Blick auf Sohns: „Donna Diana" im Städtischen Museum zu Leipzig zeigt, wo die ersten Anregungen zur Feuerbachschen Kunst zu suchen sind. Sowohl die Gestalten und Typen der Frauen als die Landschaft tragen einen Charakter, den man direkt als Feuerbachisch bezeichnen könnte. Mit der weiterschreitenden Kraft und Zeit mußte das klassizistisch erstarrte Düsseldorf dem jungen Maler endlich unerträglich werden. Seine Sehnsucht, zu schaffen, ward zur Leidenschaft. „Ich bin manchmal ganz erfüllt von so erhabenen und wohltuender Gefühlen," schreibt er an die Eltern, „daß, sollte ich sie mitteilen, ich ganz in Verwirrung käme; es ist mir oft so wohl und so wehe in dieser Welt, ich fühle eine solche innere Kraft und Entzücken, daß ich auf einem feurigen Drachen oder sonst einem fabelhaften Geschöpfe in der ganzen Welt herumsausen möchte. Ich trage immer innerlich ein Etwas herum.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/322>, abgerufen am 28.07.2024.