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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Zlnsclm Feuerbach und seine Zelt

Geschichte sind in den Gehirnen und Herzen mit gleichen Kräften wirkend, die
Berufung zur Kunst war nie verlockender, nie gefährlicher als jetzt, denn ihre
Quellen entspringen der Vergangenheit. Der ungeheure Irrtum des Jahr¬
hunderts war, die Kunst ausschließlich im Historischen zu sehen, was nicht nur
im Stofflichen, auch für die Formgebung galt. Die philosophische Unterscheidung
zwischen Romantik und Klassik wird tatsächlich: die Geister strömen hierhin und
und dorthin ab. Die eigene Zeit wird blind durchgelebt. Der künstlerische
Rausch verliert sich in Epigonentum und daran ist die Erinnerung noch lebendig,
wie sich die ausgehende Epoche in den achtziger Jahren zur naturalistischen
Empörung zusammenrafft und mit den leichtesten Mitteln eine Scheinkunst stürzt,
welche aus den größten Kräften der Welt, doch ohne eigene schöpferische Macht
gebildet war.

Es ist hier von einer Literatur gesprochen, die ihre Zeit beherrscht hat
und heute ohne Leben ist. Immerhin darf nicht vergessen werden, daß die
großen Gestalten abseits stehen. Dem neunzehnten Jahrhundert gehören
Gottfried Keller, Theodor Storm, Wilhelm Raabe, Theodor Fontane, vor allem
Friedrich Hebbel und Richard Wagner an. Sie sind wohl von all diesen
Quellen genährt worden, allein sie waren eigen, sie besaßen schöpferische Kraft:
also Stil. Stil aber war es, was die Zeit suchte und in sich nicht fand, am
wenigsten dort, wo er sichtbar zu sein pflegt: in den bildenden Künsten.

Ein kurzer Überblick über die Plastik des neunzehnten Jahrhunderts besagt
alles: man vermeinte, die Antike nachzuahmen und besaß kaum die Kunst der
Zopfzeit. Die deutsche Malerei stand im Banne der romantischen Ideen: die
Nazarener kehrten auch in der Formgebung, auch im Kolorit zur Vergangenheit
zurück und sahen das florentinische Quattrocento für die letzte Vollkommenheit
der Malerei an. Ein Genie wie das des Cornelius mußte an diesen zeitlichen
Vorurteilen scheitern. Einige Dezennien später und wir sehen die deutsche Kunst
tief im Historismus befangen: man war von den Florentinern des fünfzehnten
zu den Venezianern des sechzehnten Jahrhunderts vorgeschritten. Man malte
Geschichte, Sage, Dichtung; das Leben nur dort, wo es sich lyrisch anließ: im
Genre. Man blieb bei der großen und der gewinnenden Geste, beim Theater,
man wirkte durch aller Art äußerliche Mittel. Es ist das Zeitalter der Deko¬
ration, das hier anhob und sich mit großeni Aufwand vollendete. In einer
Erscheinung wie Makart gewann diese Renaissanceromantik ihren höchsten Gipfel.
Das Publikum widerstand nicht, es begeisterte sich am Schaugepränge, wie es
sich an der Lieblichkeit der Genrebilder entzückte. In einer Zeit, in der alles
Kostüm war, mußte Menzels "Eisenwalzwerk" mit einer erschreckenden Fremd¬
heit, einer drohenden Richterlichkeit wirken.

Als Anselm Feuerbach in die Kunst eintrat, war er ein Knabe von fünfzehn
Jahren. Er entstammte einem Hause, in dem das deutsche Bürgertum zu seiner
reinsten Blüte gelangt war. Wir kennen diese Welt von den Romanen Gustav
Freytags her, der ihr dichterischer Repräsentant gewesen ist, diese Sphäre ernster


Zlnsclm Feuerbach und seine Zelt

Geschichte sind in den Gehirnen und Herzen mit gleichen Kräften wirkend, die
Berufung zur Kunst war nie verlockender, nie gefährlicher als jetzt, denn ihre
Quellen entspringen der Vergangenheit. Der ungeheure Irrtum des Jahr¬
hunderts war, die Kunst ausschließlich im Historischen zu sehen, was nicht nur
im Stofflichen, auch für die Formgebung galt. Die philosophische Unterscheidung
zwischen Romantik und Klassik wird tatsächlich: die Geister strömen hierhin und
und dorthin ab. Die eigene Zeit wird blind durchgelebt. Der künstlerische
Rausch verliert sich in Epigonentum und daran ist die Erinnerung noch lebendig,
wie sich die ausgehende Epoche in den achtziger Jahren zur naturalistischen
Empörung zusammenrafft und mit den leichtesten Mitteln eine Scheinkunst stürzt,
welche aus den größten Kräften der Welt, doch ohne eigene schöpferische Macht
gebildet war.

Es ist hier von einer Literatur gesprochen, die ihre Zeit beherrscht hat
und heute ohne Leben ist. Immerhin darf nicht vergessen werden, daß die
großen Gestalten abseits stehen. Dem neunzehnten Jahrhundert gehören
Gottfried Keller, Theodor Storm, Wilhelm Raabe, Theodor Fontane, vor allem
Friedrich Hebbel und Richard Wagner an. Sie sind wohl von all diesen
Quellen genährt worden, allein sie waren eigen, sie besaßen schöpferische Kraft:
also Stil. Stil aber war es, was die Zeit suchte und in sich nicht fand, am
wenigsten dort, wo er sichtbar zu sein pflegt: in den bildenden Künsten.

Ein kurzer Überblick über die Plastik des neunzehnten Jahrhunderts besagt
alles: man vermeinte, die Antike nachzuahmen und besaß kaum die Kunst der
Zopfzeit. Die deutsche Malerei stand im Banne der romantischen Ideen: die
Nazarener kehrten auch in der Formgebung, auch im Kolorit zur Vergangenheit
zurück und sahen das florentinische Quattrocento für die letzte Vollkommenheit
der Malerei an. Ein Genie wie das des Cornelius mußte an diesen zeitlichen
Vorurteilen scheitern. Einige Dezennien später und wir sehen die deutsche Kunst
tief im Historismus befangen: man war von den Florentinern des fünfzehnten
zu den Venezianern des sechzehnten Jahrhunderts vorgeschritten. Man malte
Geschichte, Sage, Dichtung; das Leben nur dort, wo es sich lyrisch anließ: im
Genre. Man blieb bei der großen und der gewinnenden Geste, beim Theater,
man wirkte durch aller Art äußerliche Mittel. Es ist das Zeitalter der Deko¬
ration, das hier anhob und sich mit großeni Aufwand vollendete. In einer
Erscheinung wie Makart gewann diese Renaissanceromantik ihren höchsten Gipfel.
Das Publikum widerstand nicht, es begeisterte sich am Schaugepränge, wie es
sich an der Lieblichkeit der Genrebilder entzückte. In einer Zeit, in der alles
Kostüm war, mußte Menzels „Eisenwalzwerk" mit einer erschreckenden Fremd¬
heit, einer drohenden Richterlichkeit wirken.

Als Anselm Feuerbach in die Kunst eintrat, war er ein Knabe von fünfzehn
Jahren. Er entstammte einem Hause, in dem das deutsche Bürgertum zu seiner
reinsten Blüte gelangt war. Wir kennen diese Welt von den Romanen Gustav
Freytags her, der ihr dichterischer Repräsentant gewesen ist, diese Sphäre ernster


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[0320] Zlnsclm Feuerbach und seine Zelt Geschichte sind in den Gehirnen und Herzen mit gleichen Kräften wirkend, die Berufung zur Kunst war nie verlockender, nie gefährlicher als jetzt, denn ihre Quellen entspringen der Vergangenheit. Der ungeheure Irrtum des Jahr¬ hunderts war, die Kunst ausschließlich im Historischen zu sehen, was nicht nur im Stofflichen, auch für die Formgebung galt. Die philosophische Unterscheidung zwischen Romantik und Klassik wird tatsächlich: die Geister strömen hierhin und und dorthin ab. Die eigene Zeit wird blind durchgelebt. Der künstlerische Rausch verliert sich in Epigonentum und daran ist die Erinnerung noch lebendig, wie sich die ausgehende Epoche in den achtziger Jahren zur naturalistischen Empörung zusammenrafft und mit den leichtesten Mitteln eine Scheinkunst stürzt, welche aus den größten Kräften der Welt, doch ohne eigene schöpferische Macht gebildet war. Es ist hier von einer Literatur gesprochen, die ihre Zeit beherrscht hat und heute ohne Leben ist. Immerhin darf nicht vergessen werden, daß die großen Gestalten abseits stehen. Dem neunzehnten Jahrhundert gehören Gottfried Keller, Theodor Storm, Wilhelm Raabe, Theodor Fontane, vor allem Friedrich Hebbel und Richard Wagner an. Sie sind wohl von all diesen Quellen genährt worden, allein sie waren eigen, sie besaßen schöpferische Kraft: also Stil. Stil aber war es, was die Zeit suchte und in sich nicht fand, am wenigsten dort, wo er sichtbar zu sein pflegt: in den bildenden Künsten. Ein kurzer Überblick über die Plastik des neunzehnten Jahrhunderts besagt alles: man vermeinte, die Antike nachzuahmen und besaß kaum die Kunst der Zopfzeit. Die deutsche Malerei stand im Banne der romantischen Ideen: die Nazarener kehrten auch in der Formgebung, auch im Kolorit zur Vergangenheit zurück und sahen das florentinische Quattrocento für die letzte Vollkommenheit der Malerei an. Ein Genie wie das des Cornelius mußte an diesen zeitlichen Vorurteilen scheitern. Einige Dezennien später und wir sehen die deutsche Kunst tief im Historismus befangen: man war von den Florentinern des fünfzehnten zu den Venezianern des sechzehnten Jahrhunderts vorgeschritten. Man malte Geschichte, Sage, Dichtung; das Leben nur dort, wo es sich lyrisch anließ: im Genre. Man blieb bei der großen und der gewinnenden Geste, beim Theater, man wirkte durch aller Art äußerliche Mittel. Es ist das Zeitalter der Deko¬ ration, das hier anhob und sich mit großeni Aufwand vollendete. In einer Erscheinung wie Makart gewann diese Renaissanceromantik ihren höchsten Gipfel. Das Publikum widerstand nicht, es begeisterte sich am Schaugepränge, wie es sich an der Lieblichkeit der Genrebilder entzückte. In einer Zeit, in der alles Kostüm war, mußte Menzels „Eisenwalzwerk" mit einer erschreckenden Fremd¬ heit, einer drohenden Richterlichkeit wirken. Als Anselm Feuerbach in die Kunst eintrat, war er ein Knabe von fünfzehn Jahren. Er entstammte einem Hause, in dem das deutsche Bürgertum zu seiner reinsten Blüte gelangt war. Wir kennen diese Welt von den Romanen Gustav Freytags her, der ihr dichterischer Repräsentant gewesen ist, diese Sphäre ernster

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/320>, abgerufen am 27.07.2024.