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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Gärung in Belgien

In welchem Geiste diese letzten die Erziehung besorgen, kann man aus der
Übersicht über ihre Lehrkräfte erkennen. Es waren:

1900 1909
von den Lehrern "Laien": 2028 2488
"Religiöse": 4186 6065

Es handelt sich in der Tat um kirchliche und Kongregationsschulen, die
von den Gemeinden "adoptiert" und unterstützt werden, nachdem sie die eigent¬
lichen Gemeindeschulen verdrängt haben. Auch die Privatschulen sind meist
ausgesprochen katholische Anstalten.

Die Zahl der Schüler und Schülerinnen betrug in den Volksschulen der
wallonischen Provinzen:

Lüttich und Hennegau
an kommunalen adoptierten Privaten an kommunalen adoptierten Privaten Schulen
187866 343 68 t -- 98 749 7233 --
190078 260 3707 14 969 9S 703 8836 26 611
190979 760 3699 20 319 98 420 9117 36 063

Es zeigt sich eine starke Zunahme der (natürlich klerikalen) Privatschulen,
aber doch auch ein tapferes Standhalten der Gemeinden und eine geringere
Ausbreitung der adoptierten Schulen.

Wie ganz anders sieht die Entwicklung in den flämischen Provinzen ans!
Es seien hier nur die entsprechenden Ziffern aus den Provinzen wiedergegeben

Westflandern und Limburg
an kommunalen adoptierten privaten an kommunalen adoptierten privaten Schulen
1878: 43 436 22 676 -- 23 608 1 137 --
1900: 27 028 40 499 22 514 11078 17 216 3197
1909: 29 601 62 622 28 076 12143 21 634 6390

Die Gemeinden haben sich hier den Klerikalen untergeordnet und so viele
von den geistlichen Schulen adoptiert, daß die Schülerzahl an den adoptierten
Schulen gegen 1878 jetzt in Westflandern das doppelte, inLimburg das zwanzigfache
erreicht hat; auch die übrigen privat gebliebenen Kongregationsschulen haben
ungeheuer zugenommen, während die Gemeindeschulen sich ungefähr auf der
halben Stärke von 1878 halten.

Ein noch stärkeres Anschwellen klerikaler Macht zeigen die "adoptierten
Schulen für Erwachsene"; ihre Besuchsziffer beträgt in Flandern das zehnfache
gegenüber den eigentlichen Gemeindeanstalten gleicher Bestimmung; in ganz
Belgien hat sie sich gegen 1878 verzwanzigfacht.

Wer die Zustände in solchen Ländern kennt, die von überwiegend ger¬
manischer Nasse bevölkert und von Klerikalen beherrscht sind, wird sich nach
Kenntnis dieser Zahlen das übrige hinzudenken können: den Zwang, der von
der Kanzel und vom Beichtstuhl aus, ja, durch Vorenthaltung der Sakramente*),



*) Was alles für Mißbräuche der seelsorgerischen Gewalt vorgekommen sind, hat die
Parlamentarische Kommission in der "LnquLtv scolaire" (Brüssel, Hayez) veröffentlicht-
Die Gärung in Belgien

In welchem Geiste diese letzten die Erziehung besorgen, kann man aus der
Übersicht über ihre Lehrkräfte erkennen. Es waren:

1900 1909
von den Lehrern „Laien": 2028 2488
„Religiöse": 4186 6065

Es handelt sich in der Tat um kirchliche und Kongregationsschulen, die
von den Gemeinden „adoptiert" und unterstützt werden, nachdem sie die eigent¬
lichen Gemeindeschulen verdrängt haben. Auch die Privatschulen sind meist
ausgesprochen katholische Anstalten.

Die Zahl der Schüler und Schülerinnen betrug in den Volksschulen der
wallonischen Provinzen:

Lüttich und Hennegau
an kommunalen adoptierten Privaten an kommunalen adoptierten Privaten Schulen
187866 343 68 t — 98 749 7233 —
190078 260 3707 14 969 9S 703 8836 26 611
190979 760 3699 20 319 98 420 9117 36 063

Es zeigt sich eine starke Zunahme der (natürlich klerikalen) Privatschulen,
aber doch auch ein tapferes Standhalten der Gemeinden und eine geringere
Ausbreitung der adoptierten Schulen.

Wie ganz anders sieht die Entwicklung in den flämischen Provinzen ans!
Es seien hier nur die entsprechenden Ziffern aus den Provinzen wiedergegeben

Westflandern und Limburg
an kommunalen adoptierten privaten an kommunalen adoptierten privaten Schulen
1878: 43 436 22 676 — 23 608 1 137 —
1900: 27 028 40 499 22 514 11078 17 216 3197
1909: 29 601 62 622 28 076 12143 21 634 6390

Die Gemeinden haben sich hier den Klerikalen untergeordnet und so viele
von den geistlichen Schulen adoptiert, daß die Schülerzahl an den adoptierten
Schulen gegen 1878 jetzt in Westflandern das doppelte, inLimburg das zwanzigfache
erreicht hat; auch die übrigen privat gebliebenen Kongregationsschulen haben
ungeheuer zugenommen, während die Gemeindeschulen sich ungefähr auf der
halben Stärke von 1878 halten.

Ein noch stärkeres Anschwellen klerikaler Macht zeigen die „adoptierten
Schulen für Erwachsene"; ihre Besuchsziffer beträgt in Flandern das zehnfache
gegenüber den eigentlichen Gemeindeanstalten gleicher Bestimmung; in ganz
Belgien hat sie sich gegen 1878 verzwanzigfacht.

Wer die Zustände in solchen Ländern kennt, die von überwiegend ger¬
manischer Nasse bevölkert und von Klerikalen beherrscht sind, wird sich nach
Kenntnis dieser Zahlen das übrige hinzudenken können: den Zwang, der von
der Kanzel und vom Beichtstuhl aus, ja, durch Vorenthaltung der Sakramente*),



*) Was alles für Mißbräuche der seelsorgerischen Gewalt vorgekommen sind, hat die
Parlamentarische Kommission in der „LnquLtv scolaire" (Brüssel, Hayez) veröffentlicht-
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[0315] Die Gärung in Belgien In welchem Geiste diese letzten die Erziehung besorgen, kann man aus der Übersicht über ihre Lehrkräfte erkennen. Es waren: 1900 1909 von den Lehrern „Laien": 2028 2488 „Religiöse": 4186 6065 Es handelt sich in der Tat um kirchliche und Kongregationsschulen, die von den Gemeinden „adoptiert" und unterstützt werden, nachdem sie die eigent¬ lichen Gemeindeschulen verdrängt haben. Auch die Privatschulen sind meist ausgesprochen katholische Anstalten. Die Zahl der Schüler und Schülerinnen betrug in den Volksschulen der wallonischen Provinzen: Lüttich und Hennegau an kommunalen adoptierten Privaten an kommunalen adoptierten Privaten Schulen 187866 343 68 t — 98 749 7233 — 190078 260 3707 14 969 9S 703 8836 26 611 190979 760 3699 20 319 98 420 9117 36 063 Es zeigt sich eine starke Zunahme der (natürlich klerikalen) Privatschulen, aber doch auch ein tapferes Standhalten der Gemeinden und eine geringere Ausbreitung der adoptierten Schulen. Wie ganz anders sieht die Entwicklung in den flämischen Provinzen ans! Es seien hier nur die entsprechenden Ziffern aus den Provinzen wiedergegeben Westflandern und Limburg an kommunalen adoptierten privaten an kommunalen adoptierten privaten Schulen 1878: 43 436 22 676 — 23 608 1 137 — 1900: 27 028 40 499 22 514 11078 17 216 3197 1909: 29 601 62 622 28 076 12143 21 634 6390 Die Gemeinden haben sich hier den Klerikalen untergeordnet und so viele von den geistlichen Schulen adoptiert, daß die Schülerzahl an den adoptierten Schulen gegen 1878 jetzt in Westflandern das doppelte, inLimburg das zwanzigfache erreicht hat; auch die übrigen privat gebliebenen Kongregationsschulen haben ungeheuer zugenommen, während die Gemeindeschulen sich ungefähr auf der halben Stärke von 1878 halten. Ein noch stärkeres Anschwellen klerikaler Macht zeigen die „adoptierten Schulen für Erwachsene"; ihre Besuchsziffer beträgt in Flandern das zehnfache gegenüber den eigentlichen Gemeindeanstalten gleicher Bestimmung; in ganz Belgien hat sie sich gegen 1878 verzwanzigfacht. Wer die Zustände in solchen Ländern kennt, die von überwiegend ger¬ manischer Nasse bevölkert und von Klerikalen beherrscht sind, wird sich nach Kenntnis dieser Zahlen das übrige hinzudenken können: den Zwang, der von der Kanzel und vom Beichtstuhl aus, ja, durch Vorenthaltung der Sakramente*), *) Was alles für Mißbräuche der seelsorgerischen Gewalt vorgekommen sind, hat die Parlamentarische Kommission in der „LnquLtv scolaire" (Brüssel, Hayez) veröffentlicht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/315>, abgerufen am 28.07.2024.