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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der Kampf gegen das Vxium in China

angeschlossen hatte und inzwischen eine Flotille von Kanonenbooten am 26. Mai
nach Tientsin gelangt war, kamen die angebahnten Verhandlungen zum Abschluß,
worauf Tientsin zum Freihafen erklärt wurde. Als jedoch die chinesische Regierung
die Ausführung der Verträge in die Länge zu ziehen suchte und sich sogar zu
einem neuen Kriege vorbereitete, beschlossen England und Frankreich, den Krieg
bis zur völligen Demütigung Chinas fortzusetzen. Nach mehreren Siegen stand
das Heer am 9. Oktober 1860 vor Peking selbst, worauf seitens der Verbündeten
die Friedensbedingungen gestellt wurden, nämlich: die Erledigung der Verträge
von Tientsin bis zum 23. Oktober, Zahlung von je 16 Millionen Dollar Kriegs¬
entschädigung an die englische und französische Regierung; vor allem aber war
die Grundlage des Vertrages die Freiheit des Opiumexports aus Indien nach
China! Die Ratifikation der Verträge von Tientsin fand am 24. und
26. Oktober 1860 statt.

Nun macht China bereits seit dem Frieden von Tientsin gewaltige An¬
strengungen, um sich von dem aufgezwungenen Laster des Opiumrausches zu
befreien. Im Jahre 1869 versuchte es das indische Opium durch die Kon¬
kurrenz aus dem Lande zu treiben, indem es die Verbote, Mohn anzupflanzen,
die bis dahin bestanden hatten, aufhob; aber diese Maßnahmen hatten nur den
Erfolg, daß die Gewohnheit des Opiumrauchens in erschreckender Weise zunahmI
Auch im englischen Volke begannen sich die Stimmen zu mehren, die gegen die
unrühmliche Rolle ihrer Regierung protestierten. Offen nannte man die Opium-
kriege eine Schande für den englischen Namen und es bildeten sich in England
mehrere große Antiopiumvereine.

Nach dem Kriege mit Japan war die Opiumfrage eine der wichtigsten
Angelegenheiten, mit denen sich die chinesischen Reformer eingehend beschäftigten,
und man unternahm alles, um das Opiumbedürfnis im Innern des Reiches zu
unterdrücken. So wurde im Jahre 1906 das sogenannte Opiumedikt erlassen,
welches den Anbau von Mohn in der Weise abschaffen wollte, daß in jedem
Jahre ein Zehntel der Anbaufläche der Mohnkultur entzogen wurde. Ferner
wurde bestimmt, daß alle Fabriken und Verkaufsstellen in sechs Monaten
geschlossen werden sollten; alle Opiumverbraucher sowie der von ihnen konsumierte
Betrag, die Opiumläden und deren Umsatz sollten registriert werden. Beamte,
Lehrer und Soldaten erhielten den Befehl, den Genuß des Opiums innerhalb
dreier Monate einzustellen, während alle übrigen Chinesen unter sechzig Jahren
ihren Verbrauch um 20 Prozent einschränken sollten. Jedem Chinesen, der nach
einem Zeitraum von zehn Jahren noch dem Opiumgenuß stöhnen würde, sollte
der Aufenthalt im Lande verboten werden. Diese Maßregeln wurden mit aller
Strenge durchgeführt und zwar wurden kaiserliche Kommissare in die entferntesten
Gegenden des Reichs geschickt, um die Befolgung des Edikts zu überwachen.

In China wußte man wohl, daß auch die strengsten und rücksichtslos an¬
gewandten Gesetze keinen Erfolg haben konnten, so lange das Ausland un¬
gehindert Opium einführen durfte. Ein Wandel konnte erst eintreten, als die


Der Kampf gegen das Vxium in China

angeschlossen hatte und inzwischen eine Flotille von Kanonenbooten am 26. Mai
nach Tientsin gelangt war, kamen die angebahnten Verhandlungen zum Abschluß,
worauf Tientsin zum Freihafen erklärt wurde. Als jedoch die chinesische Regierung
die Ausführung der Verträge in die Länge zu ziehen suchte und sich sogar zu
einem neuen Kriege vorbereitete, beschlossen England und Frankreich, den Krieg
bis zur völligen Demütigung Chinas fortzusetzen. Nach mehreren Siegen stand
das Heer am 9. Oktober 1860 vor Peking selbst, worauf seitens der Verbündeten
die Friedensbedingungen gestellt wurden, nämlich: die Erledigung der Verträge
von Tientsin bis zum 23. Oktober, Zahlung von je 16 Millionen Dollar Kriegs¬
entschädigung an die englische und französische Regierung; vor allem aber war
die Grundlage des Vertrages die Freiheit des Opiumexports aus Indien nach
China! Die Ratifikation der Verträge von Tientsin fand am 24. und
26. Oktober 1860 statt.

Nun macht China bereits seit dem Frieden von Tientsin gewaltige An¬
strengungen, um sich von dem aufgezwungenen Laster des Opiumrausches zu
befreien. Im Jahre 1869 versuchte es das indische Opium durch die Kon¬
kurrenz aus dem Lande zu treiben, indem es die Verbote, Mohn anzupflanzen,
die bis dahin bestanden hatten, aufhob; aber diese Maßnahmen hatten nur den
Erfolg, daß die Gewohnheit des Opiumrauchens in erschreckender Weise zunahmI
Auch im englischen Volke begannen sich die Stimmen zu mehren, die gegen die
unrühmliche Rolle ihrer Regierung protestierten. Offen nannte man die Opium-
kriege eine Schande für den englischen Namen und es bildeten sich in England
mehrere große Antiopiumvereine.

Nach dem Kriege mit Japan war die Opiumfrage eine der wichtigsten
Angelegenheiten, mit denen sich die chinesischen Reformer eingehend beschäftigten,
und man unternahm alles, um das Opiumbedürfnis im Innern des Reiches zu
unterdrücken. So wurde im Jahre 1906 das sogenannte Opiumedikt erlassen,
welches den Anbau von Mohn in der Weise abschaffen wollte, daß in jedem
Jahre ein Zehntel der Anbaufläche der Mohnkultur entzogen wurde. Ferner
wurde bestimmt, daß alle Fabriken und Verkaufsstellen in sechs Monaten
geschlossen werden sollten; alle Opiumverbraucher sowie der von ihnen konsumierte
Betrag, die Opiumläden und deren Umsatz sollten registriert werden. Beamte,
Lehrer und Soldaten erhielten den Befehl, den Genuß des Opiums innerhalb
dreier Monate einzustellen, während alle übrigen Chinesen unter sechzig Jahren
ihren Verbrauch um 20 Prozent einschränken sollten. Jedem Chinesen, der nach
einem Zeitraum von zehn Jahren noch dem Opiumgenuß stöhnen würde, sollte
der Aufenthalt im Lande verboten werden. Diese Maßregeln wurden mit aller
Strenge durchgeführt und zwar wurden kaiserliche Kommissare in die entferntesten
Gegenden des Reichs geschickt, um die Befolgung des Edikts zu überwachen.

In China wußte man wohl, daß auch die strengsten und rücksichtslos an¬
gewandten Gesetze keinen Erfolg haben konnten, so lange das Ausland un¬
gehindert Opium einführen durfte. Ein Wandel konnte erst eintreten, als die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/301>, abgerufen am 27.07.2024.