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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Briefe aus der Frühromantik

Weibespsyche herauf, denn sie liebte den femininen Mann nicht und mußte den
Irrtum dieser Ehe recht eindringlich fühlen, als Schelling in ihren Gesichtskreis
trat. An diesem "Granit" ging die lose gefügte Schriftstellerehe, die Karoline
zu mancher, übrigens nicht durchgängig lobenswerten, literarischen Fronarbeit
im Sinne ihres Gatten nötigte, entzwei. Karoline widmete ihr Herz dem zwölf
Jahre jüngeren Philosophen. Schlegel verließ Jena bald und fand in Berlin
einen neuen Wirkungskreis und anscheinend auch neue Liebe, doch erst 1803
wurde durch Goethes Vermittlung von Karl August die Scheidung ausgesprochen.
In der Ehe mit Schelling, dem sich die Individualistin, die alle Not des Blutes
empfunden hatte, voll Anbetung, Achtung und Freundschaft beugte, gipfelte
dieser Liebesweg, den wir in den Briefen miterleben, recht nach den Worten
Karolines, die es begreiflich fand, "wie man die Dokumente eigener verworrener
Begebenheiten seinen Kindern und auch der nach uns lebenden Welt als eine
die Menschheit überhaupt interessierende Erfahrung hinterlassen kann." Die
moderne Frauenbewegung hat sich diese Erfahrung zunutze gemacht, und, wie
es durch Ricarda Huch in ihrem Buche "Die Blütezeit der Romantik" und
Helene Stöcker geschehen ist, diese Individualistin und Mannesgefährtin in die
Reihe ihrer Vorbilder hineingestellt, obgleich ihr Bild nicht frei von Flecken ist.
Sie ist kein Idol, und es ist durchaus gerechtfertigt, daß Erich Schmidt in
keiner Weise versucht hat, für sie unvorteilhafte Stellen zu unterdrücken, daß er
keine Advokatur für und wider ausübt, weil, wie er sagen darf, diese einzige
Frau stark genug ist, sich selbst zu behaupten. Es kann nicht ausbleiben, daß bei
der Lektüre so durchaus persönlicher Schriftstücke Neigung und Ablehnung aufs
neue miteinander streiten: Karoline weckt keine unbedingte Begeisterung, dennoch
wird man nicht anstehen, Schellings Wort zu billigen, der bei ihrem Tode
schrieb, hier sei nicht die Rede von einem bloß persönlichen Verlust, die Welt
werde ärmer durch solchen Tod.




Briefe aus der Frühromantik

Weibespsyche herauf, denn sie liebte den femininen Mann nicht und mußte den
Irrtum dieser Ehe recht eindringlich fühlen, als Schelling in ihren Gesichtskreis
trat. An diesem „Granit" ging die lose gefügte Schriftstellerehe, die Karoline
zu mancher, übrigens nicht durchgängig lobenswerten, literarischen Fronarbeit
im Sinne ihres Gatten nötigte, entzwei. Karoline widmete ihr Herz dem zwölf
Jahre jüngeren Philosophen. Schlegel verließ Jena bald und fand in Berlin
einen neuen Wirkungskreis und anscheinend auch neue Liebe, doch erst 1803
wurde durch Goethes Vermittlung von Karl August die Scheidung ausgesprochen.
In der Ehe mit Schelling, dem sich die Individualistin, die alle Not des Blutes
empfunden hatte, voll Anbetung, Achtung und Freundschaft beugte, gipfelte
dieser Liebesweg, den wir in den Briefen miterleben, recht nach den Worten
Karolines, die es begreiflich fand, „wie man die Dokumente eigener verworrener
Begebenheiten seinen Kindern und auch der nach uns lebenden Welt als eine
die Menschheit überhaupt interessierende Erfahrung hinterlassen kann." Die
moderne Frauenbewegung hat sich diese Erfahrung zunutze gemacht, und, wie
es durch Ricarda Huch in ihrem Buche „Die Blütezeit der Romantik" und
Helene Stöcker geschehen ist, diese Individualistin und Mannesgefährtin in die
Reihe ihrer Vorbilder hineingestellt, obgleich ihr Bild nicht frei von Flecken ist.
Sie ist kein Idol, und es ist durchaus gerechtfertigt, daß Erich Schmidt in
keiner Weise versucht hat, für sie unvorteilhafte Stellen zu unterdrücken, daß er
keine Advokatur für und wider ausübt, weil, wie er sagen darf, diese einzige
Frau stark genug ist, sich selbst zu behaupten. Es kann nicht ausbleiben, daß bei
der Lektüre so durchaus persönlicher Schriftstücke Neigung und Ablehnung aufs
neue miteinander streiten: Karoline weckt keine unbedingte Begeisterung, dennoch
wird man nicht anstehen, Schellings Wort zu billigen, der bei ihrem Tode
schrieb, hier sei nicht die Rede von einem bloß persönlichen Verlust, die Welt
werde ärmer durch solchen Tod.




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[0299] Briefe aus der Frühromantik Weibespsyche herauf, denn sie liebte den femininen Mann nicht und mußte den Irrtum dieser Ehe recht eindringlich fühlen, als Schelling in ihren Gesichtskreis trat. An diesem „Granit" ging die lose gefügte Schriftstellerehe, die Karoline zu mancher, übrigens nicht durchgängig lobenswerten, literarischen Fronarbeit im Sinne ihres Gatten nötigte, entzwei. Karoline widmete ihr Herz dem zwölf Jahre jüngeren Philosophen. Schlegel verließ Jena bald und fand in Berlin einen neuen Wirkungskreis und anscheinend auch neue Liebe, doch erst 1803 wurde durch Goethes Vermittlung von Karl August die Scheidung ausgesprochen. In der Ehe mit Schelling, dem sich die Individualistin, die alle Not des Blutes empfunden hatte, voll Anbetung, Achtung und Freundschaft beugte, gipfelte dieser Liebesweg, den wir in den Briefen miterleben, recht nach den Worten Karolines, die es begreiflich fand, „wie man die Dokumente eigener verworrener Begebenheiten seinen Kindern und auch der nach uns lebenden Welt als eine die Menschheit überhaupt interessierende Erfahrung hinterlassen kann." Die moderne Frauenbewegung hat sich diese Erfahrung zunutze gemacht, und, wie es durch Ricarda Huch in ihrem Buche „Die Blütezeit der Romantik" und Helene Stöcker geschehen ist, diese Individualistin und Mannesgefährtin in die Reihe ihrer Vorbilder hineingestellt, obgleich ihr Bild nicht frei von Flecken ist. Sie ist kein Idol, und es ist durchaus gerechtfertigt, daß Erich Schmidt in keiner Weise versucht hat, für sie unvorteilhafte Stellen zu unterdrücken, daß er keine Advokatur für und wider ausübt, weil, wie er sagen darf, diese einzige Frau stark genug ist, sich selbst zu behaupten. Es kann nicht ausbleiben, daß bei der Lektüre so durchaus persönlicher Schriftstücke Neigung und Ablehnung aufs neue miteinander streiten: Karoline weckt keine unbedingte Begeisterung, dennoch wird man nicht anstehen, Schellings Wort zu billigen, der bei ihrem Tode schrieb, hier sei nicht die Rede von einem bloß persönlichen Verlust, die Welt werde ärmer durch solchen Tod.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/299>, abgerufen am 27.07.2024.