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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der vorsichtige Freier

Juwelen blitzend, am Arm des Venetianers kommen und Platz nehmen, während
ihr steifer geschminkter Gemahl, dessen kreischende Stimme er in der plötzlichen
Stille hören konnte, die Gräfin von Nassau, die Frau des kaiserlichen Ge¬
sandten, führte, und zwischen beiden Paaren der Nuntius in seiner langen roten
Robe, die in dem nächtlichen Licht zu glühen schien, Platz nahm. An allen
Fenstern des Rathauses wie der anderen Gebäude erschienen Männer- und
Frauengesichter, die einen im Schatten, andere hell beleuchtet: heitere Zurufe
erschollen. In der Mitte des langen Marktes aber blitzten Raketen in die Luft,
die in farbigem Feuerregen niederprasselten; Götter und Nymphen mit bunten
Gewändern und Straußfedern stiegen in den Nachthimmel empor und sanken
als Asche herab, und zuletzt ein Ritter, der einen flammenspeienden Lindwurm
niederstieß, während über dem Rathaus Funkenketten die Worte "?axl ?ax!
?ax!" bildeten. Alles Volk, Fremde und Bürger, brach in Freudenschreie der
unendlichen Sehnsucht aus, der der Friedensvermittler in Flammenschrift dort
oben Ausdruck gab.

Avinelli jubelte nicht mit. Während er ohne Freude hinaufsah, fühlte er
seine Hand ergriffen und von weichen Fingern innig gepreßt: ein Parfüm, das
er kannte, wehte an ihm vorüber; aber als er sich umsah, waren der Duft
und die Frau im Gewühl verschwunden. Da begriff er, daß sie ihn nur aus
Vorsicht vor den anderen verleugnet hatte, er aber nun nicht mehr wagen
durfte, zu ihr hinaufzukommen.

Verzweifelt irrte er vom Platz abseits durch die dunkeln Straßen. Am
andern Tag ließ er sich beim Nuntius die versprochene Empfehlung nach Köln
geben, die er sogleich erhielt. Noch am selben Abend ritt er, den kaiserlichen
Kourieren folgend, die eben abgingen, aus den Toren der Stadt Münster, die
er verwünschte. Wieder ritt er durch die einsamen westfälischen Straßen, während
zerflatternde Bilder der drei schönen Frauen, deren Gunst und Anblick er ver¬
loren hatte, in der Abendluft an ihm vorübergaukelten und er nicht wußte, ob
er ein klugerer oder dünnerer Mann geworden war.




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Der vorsichtige Freier

Juwelen blitzend, am Arm des Venetianers kommen und Platz nehmen, während
ihr steifer geschminkter Gemahl, dessen kreischende Stimme er in der plötzlichen
Stille hören konnte, die Gräfin von Nassau, die Frau des kaiserlichen Ge¬
sandten, führte, und zwischen beiden Paaren der Nuntius in seiner langen roten
Robe, die in dem nächtlichen Licht zu glühen schien, Platz nahm. An allen
Fenstern des Rathauses wie der anderen Gebäude erschienen Männer- und
Frauengesichter, die einen im Schatten, andere hell beleuchtet: heitere Zurufe
erschollen. In der Mitte des langen Marktes aber blitzten Raketen in die Luft,
die in farbigem Feuerregen niederprasselten; Götter und Nymphen mit bunten
Gewändern und Straußfedern stiegen in den Nachthimmel empor und sanken
als Asche herab, und zuletzt ein Ritter, der einen flammenspeienden Lindwurm
niederstieß, während über dem Rathaus Funkenketten die Worte „?axl ?ax!
?ax!" bildeten. Alles Volk, Fremde und Bürger, brach in Freudenschreie der
unendlichen Sehnsucht aus, der der Friedensvermittler in Flammenschrift dort
oben Ausdruck gab.

Avinelli jubelte nicht mit. Während er ohne Freude hinaufsah, fühlte er
seine Hand ergriffen und von weichen Fingern innig gepreßt: ein Parfüm, das
er kannte, wehte an ihm vorüber; aber als er sich umsah, waren der Duft
und die Frau im Gewühl verschwunden. Da begriff er, daß sie ihn nur aus
Vorsicht vor den anderen verleugnet hatte, er aber nun nicht mehr wagen
durfte, zu ihr hinaufzukommen.

Verzweifelt irrte er vom Platz abseits durch die dunkeln Straßen. Am
andern Tag ließ er sich beim Nuntius die versprochene Empfehlung nach Köln
geben, die er sogleich erhielt. Noch am selben Abend ritt er, den kaiserlichen
Kourieren folgend, die eben abgingen, aus den Toren der Stadt Münster, die
er verwünschte. Wieder ritt er durch die einsamen westfälischen Straßen, während
zerflatternde Bilder der drei schönen Frauen, deren Gunst und Anblick er ver¬
loren hatte, in der Abendluft an ihm vorübergaukelten und er nicht wußte, ob
er ein klugerer oder dünnerer Mann geworden war.




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[0295] Der vorsichtige Freier Juwelen blitzend, am Arm des Venetianers kommen und Platz nehmen, während ihr steifer geschminkter Gemahl, dessen kreischende Stimme er in der plötzlichen Stille hören konnte, die Gräfin von Nassau, die Frau des kaiserlichen Ge¬ sandten, führte, und zwischen beiden Paaren der Nuntius in seiner langen roten Robe, die in dem nächtlichen Licht zu glühen schien, Platz nahm. An allen Fenstern des Rathauses wie der anderen Gebäude erschienen Männer- und Frauengesichter, die einen im Schatten, andere hell beleuchtet: heitere Zurufe erschollen. In der Mitte des langen Marktes aber blitzten Raketen in die Luft, die in farbigem Feuerregen niederprasselten; Götter und Nymphen mit bunten Gewändern und Straußfedern stiegen in den Nachthimmel empor und sanken als Asche herab, und zuletzt ein Ritter, der einen flammenspeienden Lindwurm niederstieß, während über dem Rathaus Funkenketten die Worte „?axl ?ax! ?ax!" bildeten. Alles Volk, Fremde und Bürger, brach in Freudenschreie der unendlichen Sehnsucht aus, der der Friedensvermittler in Flammenschrift dort oben Ausdruck gab. Avinelli jubelte nicht mit. Während er ohne Freude hinaufsah, fühlte er seine Hand ergriffen und von weichen Fingern innig gepreßt: ein Parfüm, das er kannte, wehte an ihm vorüber; aber als er sich umsah, waren der Duft und die Frau im Gewühl verschwunden. Da begriff er, daß sie ihn nur aus Vorsicht vor den anderen verleugnet hatte, er aber nun nicht mehr wagen durfte, zu ihr hinaufzukommen. Verzweifelt irrte er vom Platz abseits durch die dunkeln Straßen. Am andern Tag ließ er sich beim Nuntius die versprochene Empfehlung nach Köln geben, die er sogleich erhielt. Noch am selben Abend ritt er, den kaiserlichen Kourieren folgend, die eben abgingen, aus den Toren der Stadt Münster, die er verwünschte. Wieder ritt er durch die einsamen westfälischen Straßen, während zerflatternde Bilder der drei schönen Frauen, deren Gunst und Anblick er ver¬ loren hatte, in der Abendluft an ihm vorübergaukelten und er nicht wußte, ob er ein klugerer oder dünnerer Mann geworden war. 19*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/295>, abgerufen am 27.07.2024.