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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der vorsichtige Freier

gedenke. Er erwiderte sogleich: "er danke Ihrer königlichen Hoheit für die
große Ehre, die sie ihm erweise; er wisse von einer Verlobung nichts; er habe
dem Vater versprochen, das verlassene Kind in Sicherheit zu bringen; das habe
er auch getan, ohne bei ihrer großen Jugend bisher an mehr zu denken; aber
er stünde zu der Frau Herzogin Befehl, wenn alles übrige in solchem Falle
Nötige und Übliche erwogen sei..."

Die Dame nickte; auf einen Wink der Herzogin hielt sie ihn zurück.
Wieder mußte er lange stehen und warten, bis alle anderen gegangen waren.
Der große Saal war leer bis auf die Schweizer, die mit ihren Hellebarden
an den Türen standen, und er wurde in ein Kabinett am Ende der Galerie
gerufen. Die Herzogin saß an einem Tischchen und stützte das Kinn, halb
hinhörend, auf die Hand, während die Dame ihr die Worte, die Avinelli
vorher gesprochen, wiederholte.

Die Herzogin machte nur eine leise Bewegung und wendete den Kopf noch
etwas mehr zur Seite, so daß er den Ausdruck ihrer kiudhaften und doch so
überlegenen Züge sehen konnte. Um ihren Mund spielte etwas, das nicht
einmal ein Lächeln war. Da die Ehrendame ihn dazu aufforderte, äußerte
er noch mehrere Bedenken und Besorgnisse, sprach von großen Verlusten und
den Nöten der Kriegszeit.

Die Herzogin schwieg noch immer und er wurde sehr verlegen. Endlich
sagte sie mit einem Ton, der ihn bedrückte: "Jrrende Ritter pflegen sonst
nicht so vorsichtig zu sein."

Er wußte nichts zu erwidern; er bedachte nur, wie sehr er sich in die
Nesseln setzen würde, nachdem er seiner Frau, wenn Florence das würde, selbst
einen unerbittlichen Gläubiger geschaffen. Die Herzogin wurde plötzlich sehr
rot, es kam wie eine Welle über ihr Gesicht, und sie stand auf. "Gott behüte,"
sagte sie, "daß wir Frauen uns einem Manne aufdrängen sollten. Wir werden
sehen, wie es sonst mit der Ritterlichkeit in Münster steht. Übrigens mit leeren
Händen kommt die kleine Florence nicht!"

Er war entlassen, und er begriff nicht, weshalb er so mißmutig durch die
Straßen ging, da er doch der Gefahr, die er in diesen Tagen am meisten
gefürchtet hatte, entgangen war.

Als er des Abends mit seinen Gesellen saß, sagten sie ihm, und sie sahen
ihn dabei an, daß zwei junge Edelleute bei der Herzogin um die Hand des
"Findelkindes" -- so nannten sie Florence -- geworben hätten; und zwar sei
der eine, den sie wohl nehmen werde, ein prachtvoller Junge, dazu vom besten
Blute, aber arm wie eine Kirchenmaus.

"Die Narren I" sagte Pericliti, während er sein Lorgnon senkte und die
Karten auf den Tisch legte.

Avinelli nickte und nahm die Karten auf, die er durch seine Hand gleiten
ließ, als sähe er irgend Merkwürdigkeiten an ihren Figuren; aber in seinem
Herzen brannten Eifersucht und Scham.


Grenzboten II 1913 Is
Der vorsichtige Freier

gedenke. Er erwiderte sogleich: „er danke Ihrer königlichen Hoheit für die
große Ehre, die sie ihm erweise; er wisse von einer Verlobung nichts; er habe
dem Vater versprochen, das verlassene Kind in Sicherheit zu bringen; das habe
er auch getan, ohne bei ihrer großen Jugend bisher an mehr zu denken; aber
er stünde zu der Frau Herzogin Befehl, wenn alles übrige in solchem Falle
Nötige und Übliche erwogen sei..."

Die Dame nickte; auf einen Wink der Herzogin hielt sie ihn zurück.
Wieder mußte er lange stehen und warten, bis alle anderen gegangen waren.
Der große Saal war leer bis auf die Schweizer, die mit ihren Hellebarden
an den Türen standen, und er wurde in ein Kabinett am Ende der Galerie
gerufen. Die Herzogin saß an einem Tischchen und stützte das Kinn, halb
hinhörend, auf die Hand, während die Dame ihr die Worte, die Avinelli
vorher gesprochen, wiederholte.

Die Herzogin machte nur eine leise Bewegung und wendete den Kopf noch
etwas mehr zur Seite, so daß er den Ausdruck ihrer kiudhaften und doch so
überlegenen Züge sehen konnte. Um ihren Mund spielte etwas, das nicht
einmal ein Lächeln war. Da die Ehrendame ihn dazu aufforderte, äußerte
er noch mehrere Bedenken und Besorgnisse, sprach von großen Verlusten und
den Nöten der Kriegszeit.

Die Herzogin schwieg noch immer und er wurde sehr verlegen. Endlich
sagte sie mit einem Ton, der ihn bedrückte: „Jrrende Ritter pflegen sonst
nicht so vorsichtig zu sein."

Er wußte nichts zu erwidern; er bedachte nur, wie sehr er sich in die
Nesseln setzen würde, nachdem er seiner Frau, wenn Florence das würde, selbst
einen unerbittlichen Gläubiger geschaffen. Die Herzogin wurde plötzlich sehr
rot, es kam wie eine Welle über ihr Gesicht, und sie stand auf. „Gott behüte,"
sagte sie, „daß wir Frauen uns einem Manne aufdrängen sollten. Wir werden
sehen, wie es sonst mit der Ritterlichkeit in Münster steht. Übrigens mit leeren
Händen kommt die kleine Florence nicht!"

Er war entlassen, und er begriff nicht, weshalb er so mißmutig durch die
Straßen ging, da er doch der Gefahr, die er in diesen Tagen am meisten
gefürchtet hatte, entgangen war.

Als er des Abends mit seinen Gesellen saß, sagten sie ihm, und sie sahen
ihn dabei an, daß zwei junge Edelleute bei der Herzogin um die Hand des
„Findelkindes" — so nannten sie Florence — geworben hätten; und zwar sei
der eine, den sie wohl nehmen werde, ein prachtvoller Junge, dazu vom besten
Blute, aber arm wie eine Kirchenmaus.

„Die Narren I" sagte Pericliti, während er sein Lorgnon senkte und die
Karten auf den Tisch legte.

Avinelli nickte und nahm die Karten auf, die er durch seine Hand gleiten
ließ, als sähe er irgend Merkwürdigkeiten an ihren Figuren; aber in seinem
Herzen brannten Eifersucht und Scham.


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[0293] Der vorsichtige Freier gedenke. Er erwiderte sogleich: „er danke Ihrer königlichen Hoheit für die große Ehre, die sie ihm erweise; er wisse von einer Verlobung nichts; er habe dem Vater versprochen, das verlassene Kind in Sicherheit zu bringen; das habe er auch getan, ohne bei ihrer großen Jugend bisher an mehr zu denken; aber er stünde zu der Frau Herzogin Befehl, wenn alles übrige in solchem Falle Nötige und Übliche erwogen sei..." Die Dame nickte; auf einen Wink der Herzogin hielt sie ihn zurück. Wieder mußte er lange stehen und warten, bis alle anderen gegangen waren. Der große Saal war leer bis auf die Schweizer, die mit ihren Hellebarden an den Türen standen, und er wurde in ein Kabinett am Ende der Galerie gerufen. Die Herzogin saß an einem Tischchen und stützte das Kinn, halb hinhörend, auf die Hand, während die Dame ihr die Worte, die Avinelli vorher gesprochen, wiederholte. Die Herzogin machte nur eine leise Bewegung und wendete den Kopf noch etwas mehr zur Seite, so daß er den Ausdruck ihrer kiudhaften und doch so überlegenen Züge sehen konnte. Um ihren Mund spielte etwas, das nicht einmal ein Lächeln war. Da die Ehrendame ihn dazu aufforderte, äußerte er noch mehrere Bedenken und Besorgnisse, sprach von großen Verlusten und den Nöten der Kriegszeit. Die Herzogin schwieg noch immer und er wurde sehr verlegen. Endlich sagte sie mit einem Ton, der ihn bedrückte: „Jrrende Ritter pflegen sonst nicht so vorsichtig zu sein." Er wußte nichts zu erwidern; er bedachte nur, wie sehr er sich in die Nesseln setzen würde, nachdem er seiner Frau, wenn Florence das würde, selbst einen unerbittlichen Gläubiger geschaffen. Die Herzogin wurde plötzlich sehr rot, es kam wie eine Welle über ihr Gesicht, und sie stand auf. „Gott behüte," sagte sie, „daß wir Frauen uns einem Manne aufdrängen sollten. Wir werden sehen, wie es sonst mit der Ritterlichkeit in Münster steht. Übrigens mit leeren Händen kommt die kleine Florence nicht!" Er war entlassen, und er begriff nicht, weshalb er so mißmutig durch die Straßen ging, da er doch der Gefahr, die er in diesen Tagen am meisten gefürchtet hatte, entgangen war. Als er des Abends mit seinen Gesellen saß, sagten sie ihm, und sie sahen ihn dabei an, daß zwei junge Edelleute bei der Herzogin um die Hand des „Findelkindes" — so nannten sie Florence — geworben hätten; und zwar sei der eine, den sie wohl nehmen werde, ein prachtvoller Junge, dazu vom besten Blute, aber arm wie eine Kirchenmaus. „Die Narren I" sagte Pericliti, während er sein Lorgnon senkte und die Karten auf den Tisch legte. Avinelli nickte und nahm die Karten auf, die er durch seine Hand gleiten ließ, als sähe er irgend Merkwürdigkeiten an ihren Figuren; aber in seinem Herzen brannten Eifersucht und Scham. Grenzboten II 1913 Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/293>, abgerufen am 28.07.2024.