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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der vorsichtige Freier

Da es ihm indessen an Geld zu fehlen begann und er bereits Schulden
hatte auflaufen lassen, suchte er einen Notarius und Sachwalter auf, einen
kleinen alten Mann mit sehr großen Ohren, der in einer warmen Jacke mit
Pelzkappe und Brille am Fenster saß, und dem er den Schuldschein zeigte.
Der Notarius zuckte die Achseln. Er sagte, was schon der Abbate bemerkt
hatte: "praeäia ruZtieana nunc parvi pretii 8unt," denn sie sprachen
lateinisch. Für dies Geld, das sein verstorbener Vater geliehen, sagte Avinelli,
habe der Oberst Murlacher dem Franzosenkönig ein Regiment zugeführt, das im
Mantuanischen Krieg aufgerieben worden sei. "Dann möge er doch die
Knochen des Regiments pfänden," erwiderte der Notar. "Das Anwesen des
Herrn Jacob Murlacher kenne er ganz genau: im Schlosse hätte er besonders
für seine Tochter viel köstliche Dinge und sicherlich auch Münze und bares Geld
gehabt, das die Schweden nun davongetragen. Zweitausend Reichstaler würde
er ihm in Erwartung besserer Zeiten für den Schuldschein geben, wenn er ihn
zedieren wolle; und morgen schon vielleicht auch das nicht mehr." Seine
ungeheueren Ohren bewegten sich beim Sprechen, was Avinelli unheimlich war.
Soviel zu opfern entschloß er sich nicht und ging aus der verstaubten alten Stube.

Am selben Abend jedoch gewannen ihm der Abbate und ein französischer
Herr hundertundfunfzig Taler im Spiel ab, denn davon konnte er sich, wenn
er als Kavalier gelten wollte, nicht ausschließen; und nun blieb ihm keine
Wahl: der alte Halsabschneider erhielt den Schein und Avinelli das Geld, das
aus einem sehr geheimen und sicheren Versteck geholt wurde.

Tags darauf wurde er zur Herzogin befohlen; diesmal kam er bereits
sicheren Schrittes;, dennoch errötete er ein wenig, als er unter den wartenden
Damen Frau von Cresnel sah, die ihm gelassen zunickte, als sähe sie ihn eben
zum zweiten Male, und sich sogleich wieder dem reichgekleideten Herrn zu¬
wendete, mit dem sie angelegentlich sprach.

Jetzt trat die Herzogin selbst ein und machte all seine Sicherheit zunichte;
sie war zu schön und ihr Rang und ihr Auftreten zu groß. Sie sah ihn auch
gar nicht, und er mußte fast eine Stunde warten, blaß und rot, weil er sich
selbst in Gedanken so verwöhnt hatte und auch seine heimliche Freundin die
ganze Zeit nicht nach ihm sah. Leute kamen und gingen und das Gedränge
ward immer größer. Endlich hielt er es nicht mehr aus, trat auf Frau
von Cresnel zu, die noch immer Mit dem blonden Herrn sprach, der das
himmelblaue Ordensband trug, und redete sie an. Mit größtem Erstaunen trat
der Kavalier zurück und maß ihn von oben bis unten mit den Blicken. Die
Dame lächelte und sagte etwas auf französisch zu dem Ordengeschmückten,
worauf dieser gleichfalls lächelte, während Avinelli, der das Wort Nachsicht
verstanden hatte, noch mehr aus der Fassung kam. In diesem Augenblick
ward er gerufen; eine der Ehrendamen der Herzogin nahm ihn beiseite und
fragte ihn in ihrem Auftrage, ob er seine Verlobung mit dem "Fräulein
von Murlach" noch geheim zu halten und wann und wie er Hochzeit zu machen


Der vorsichtige Freier

Da es ihm indessen an Geld zu fehlen begann und er bereits Schulden
hatte auflaufen lassen, suchte er einen Notarius und Sachwalter auf, einen
kleinen alten Mann mit sehr großen Ohren, der in einer warmen Jacke mit
Pelzkappe und Brille am Fenster saß, und dem er den Schuldschein zeigte.
Der Notarius zuckte die Achseln. Er sagte, was schon der Abbate bemerkt
hatte: „praeäia ruZtieana nunc parvi pretii 8unt," denn sie sprachen
lateinisch. Für dies Geld, das sein verstorbener Vater geliehen, sagte Avinelli,
habe der Oberst Murlacher dem Franzosenkönig ein Regiment zugeführt, das im
Mantuanischen Krieg aufgerieben worden sei. „Dann möge er doch die
Knochen des Regiments pfänden," erwiderte der Notar. „Das Anwesen des
Herrn Jacob Murlacher kenne er ganz genau: im Schlosse hätte er besonders
für seine Tochter viel köstliche Dinge und sicherlich auch Münze und bares Geld
gehabt, das die Schweden nun davongetragen. Zweitausend Reichstaler würde
er ihm in Erwartung besserer Zeiten für den Schuldschein geben, wenn er ihn
zedieren wolle; und morgen schon vielleicht auch das nicht mehr." Seine
ungeheueren Ohren bewegten sich beim Sprechen, was Avinelli unheimlich war.
Soviel zu opfern entschloß er sich nicht und ging aus der verstaubten alten Stube.

Am selben Abend jedoch gewannen ihm der Abbate und ein französischer
Herr hundertundfunfzig Taler im Spiel ab, denn davon konnte er sich, wenn
er als Kavalier gelten wollte, nicht ausschließen; und nun blieb ihm keine
Wahl: der alte Halsabschneider erhielt den Schein und Avinelli das Geld, das
aus einem sehr geheimen und sicheren Versteck geholt wurde.

Tags darauf wurde er zur Herzogin befohlen; diesmal kam er bereits
sicheren Schrittes;, dennoch errötete er ein wenig, als er unter den wartenden
Damen Frau von Cresnel sah, die ihm gelassen zunickte, als sähe sie ihn eben
zum zweiten Male, und sich sogleich wieder dem reichgekleideten Herrn zu¬
wendete, mit dem sie angelegentlich sprach.

Jetzt trat die Herzogin selbst ein und machte all seine Sicherheit zunichte;
sie war zu schön und ihr Rang und ihr Auftreten zu groß. Sie sah ihn auch
gar nicht, und er mußte fast eine Stunde warten, blaß und rot, weil er sich
selbst in Gedanken so verwöhnt hatte und auch seine heimliche Freundin die
ganze Zeit nicht nach ihm sah. Leute kamen und gingen und das Gedränge
ward immer größer. Endlich hielt er es nicht mehr aus, trat auf Frau
von Cresnel zu, die noch immer Mit dem blonden Herrn sprach, der das
himmelblaue Ordensband trug, und redete sie an. Mit größtem Erstaunen trat
der Kavalier zurück und maß ihn von oben bis unten mit den Blicken. Die
Dame lächelte und sagte etwas auf französisch zu dem Ordengeschmückten,
worauf dieser gleichfalls lächelte, während Avinelli, der das Wort Nachsicht
verstanden hatte, noch mehr aus der Fassung kam. In diesem Augenblick
ward er gerufen; eine der Ehrendamen der Herzogin nahm ihn beiseite und
fragte ihn in ihrem Auftrage, ob er seine Verlobung mit dem „Fräulein
von Murlach" noch geheim zu halten und wann und wie er Hochzeit zu machen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/292>, abgerufen am 28.07.2024.