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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der vorsichtige Freier

liegenden Seite des Platzes, fünf oder sechs Stufen von der Straße abwärts in
ein Gewölbe, an dessen schweren Tischen schon einige lärmende Trinker saßen.
Der Abbate ließ sich einen Krug mit Aßmannshäuser bringen und spottete
Giulios als eines säugenden Knäbleins, da dieser in kleinen Schlückchen trank,
um nüchtern zu bleiben. Dann zog er sein Lorgnon hervor und sah sich nicht
ohne Vorsicht um. "Ja," sagte er mit seiner breiten Männerstimme, "Ihr seid
jetzt auf gutem Wege; ich liebe Menschen, die Glück haben. Geht nach Frank¬
reich: das ist das gute Land für uns Italiener" und er nannte ihm die Minister,
die Generale und andere, alles Italiener am französischen Hofe.

"Er habe sich das auch schon vorgenommen," sagte Giulio.

Die Tür ging auf, ein paar Reiter kamen lachend und rufend die Treppe
hinab: sie hatten Frauenzimmer mit, und eine Schar Spielleute folgte ihnen.
Der Lärm und Qualm ward groß.

Der Abbate setzte seine Winke fort und der junge Florentiner lauschte seiner
Weisheit. Um ihn in die höfischen Wege einzuweihen, nannte ihm jener mit
Behagen die Liebhaber und Freundinnen der bekanntesten Leute in der
Stadt. Gespannt wartete Avinelli von der Herzogin und von der Dame von
Cresnel zu hören -- der Fran. die ihm mittags am Tischchen und im Spiegel
so gut gefallen hatte; der Abbate nannte die beiden nicht, und er hütete sich
zu fragen.

"Denn das müßt Ihr wissen, daß, wenn Ihr bei einem Manne etwas
erreichen wollt, Ihr es durch ein Weib machen müßt und umgekehrt! Daß ein
Mann die Weiber nützen muß, nicht sich ihnen hingeben!"

Dabei sah er ihn prüfend an, lobte seine Haartracht und empfahl ihm
andere Manschetten; dann fragte er ihn geradezu, ob er wirklich das magere
kleine Persönchen heiraten wolle, die er ans seinem Gaul mitgebracht hatte?

Avinelli führte das Glas an den Mund und trank langsam, um sich seine
Antwort überlegen zu können.

"Wer sagt denn das?" fragte er.

Am Tisch der Neuangekommenen Gäste wurde eine Gesundheit ausgebracht mit
so ohrenbetäubendem Geschrei, zu dem auch die Musik einfiel, so daß Giulio die Ant¬
wort des anderen zunächst nicht verstehen konnte. "Dann kommen die Kinder," hörte
er ihn endlich sagen, und "ob er den Traktat von den .fünfzehn Freuden der Ehe'
nicht kenne, den der Herr von La Sale verfaßt? Nur eine Freude sei wirklich,
eine reiche Mitgift, und anderes begehre kein Vernünftiger von der Ehe. . . ."

Da war seine Sorge berührt: offen erzählte er, wie es stand.

"Von verwüsteten Boden," sagte der Abbate, "ist der Morgen im Reich jetzt für
ein paar Groschen zu haben; und wenn Ihr meint, daß Ihre Königliche Hoheit
sie ausstatten wird, so irrt Ihr sehr. Alle Weiber, auch vom höchsten Stande,
stiften gern Ehen; und die Frau Herzogin ist ein Wunder an Schönheit und
Geist, aber Geld gibt in dieser Linie keiner her, das liegt ihnen von ihrem
Vater, dem alten Herrn Prinzen, im Blut; sie zahlen selten, sie schenken nie."


Der vorsichtige Freier

liegenden Seite des Platzes, fünf oder sechs Stufen von der Straße abwärts in
ein Gewölbe, an dessen schweren Tischen schon einige lärmende Trinker saßen.
Der Abbate ließ sich einen Krug mit Aßmannshäuser bringen und spottete
Giulios als eines säugenden Knäbleins, da dieser in kleinen Schlückchen trank,
um nüchtern zu bleiben. Dann zog er sein Lorgnon hervor und sah sich nicht
ohne Vorsicht um. „Ja," sagte er mit seiner breiten Männerstimme, „Ihr seid
jetzt auf gutem Wege; ich liebe Menschen, die Glück haben. Geht nach Frank¬
reich: das ist das gute Land für uns Italiener" und er nannte ihm die Minister,
die Generale und andere, alles Italiener am französischen Hofe.

„Er habe sich das auch schon vorgenommen," sagte Giulio.

Die Tür ging auf, ein paar Reiter kamen lachend und rufend die Treppe
hinab: sie hatten Frauenzimmer mit, und eine Schar Spielleute folgte ihnen.
Der Lärm und Qualm ward groß.

Der Abbate setzte seine Winke fort und der junge Florentiner lauschte seiner
Weisheit. Um ihn in die höfischen Wege einzuweihen, nannte ihm jener mit
Behagen die Liebhaber und Freundinnen der bekanntesten Leute in der
Stadt. Gespannt wartete Avinelli von der Herzogin und von der Dame von
Cresnel zu hören — der Fran. die ihm mittags am Tischchen und im Spiegel
so gut gefallen hatte; der Abbate nannte die beiden nicht, und er hütete sich
zu fragen.

„Denn das müßt Ihr wissen, daß, wenn Ihr bei einem Manne etwas
erreichen wollt, Ihr es durch ein Weib machen müßt und umgekehrt! Daß ein
Mann die Weiber nützen muß, nicht sich ihnen hingeben!"

Dabei sah er ihn prüfend an, lobte seine Haartracht und empfahl ihm
andere Manschetten; dann fragte er ihn geradezu, ob er wirklich das magere
kleine Persönchen heiraten wolle, die er ans seinem Gaul mitgebracht hatte?

Avinelli führte das Glas an den Mund und trank langsam, um sich seine
Antwort überlegen zu können.

„Wer sagt denn das?" fragte er.

Am Tisch der Neuangekommenen Gäste wurde eine Gesundheit ausgebracht mit
so ohrenbetäubendem Geschrei, zu dem auch die Musik einfiel, so daß Giulio die Ant¬
wort des anderen zunächst nicht verstehen konnte. „Dann kommen die Kinder," hörte
er ihn endlich sagen, und „ob er den Traktat von den .fünfzehn Freuden der Ehe'
nicht kenne, den der Herr von La Sale verfaßt? Nur eine Freude sei wirklich,
eine reiche Mitgift, und anderes begehre kein Vernünftiger von der Ehe. . . ."

Da war seine Sorge berührt: offen erzählte er, wie es stand.

„Von verwüsteten Boden," sagte der Abbate, „ist der Morgen im Reich jetzt für
ein paar Groschen zu haben; und wenn Ihr meint, daß Ihre Königliche Hoheit
sie ausstatten wird, so irrt Ihr sehr. Alle Weiber, auch vom höchsten Stande,
stiften gern Ehen; und die Frau Herzogin ist ein Wunder an Schönheit und
Geist, aber Geld gibt in dieser Linie keiner her, das liegt ihnen von ihrem
Vater, dem alten Herrn Prinzen, im Blut; sie zahlen selten, sie schenken nie."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/290>, abgerufen am 27.07.2024.