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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Grundlagen des Imperialismus

Beseitigung innerer Wirren und die innere Befestigung waren erst im neun¬
zehnten Jahrhundert vollzogen worden. In diesem Jahrhundert wurden auch
erst Technik und Weltverkehr so weit entwickelt, daß -- bei gleichzeitiger Be¬
völkerungszunahme, die den Blick der Staatsmänner wieder nach außen richtete,--
die bisher unberührt gebliebenen Teile der Erde erreichbar gemacht und
erschlossen werden konnten. So konnte erst in diesem Jahrhundert der Wett¬
bewerb um die Erlangung möglichst weiter Gebiete, die keiner zivilisierten Macht
unterstanden, entstehen; denn erst jetzt wurde der Zeitpunkt der völligen Aufteilung
freier Länder in menschliche Berechnung gerückt. Hierzu kam, gebieterisch Aus¬
dehnung fordernd, die außerordentliche kapitalistische und industrielle Entwicklung
-- die Weltwirtschaft -- des neunzehnten Jahrhunderts, die neuer Absatzgebiete
bedürfte, die neue Rohstoffe aus fernen, aber in ihrer Entwicklung gesicherten
Ländern in immer steigendem Maße heranziehen mußte. Und schließlich drängten
die im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts immer mehr hervortretenden Rassen-
gegensütze die einzelnen Völker ihre Machtgebiete möglichst stark und umfang¬
reich zu sichern, bevor sie durch den Zugriff von Nebenbuhlern daran gehindert
wurden. -- Das Zusammentreffen dieser verschiedenen Erscheinungen im neun¬
zehnten Jahrhundert muß der Anlaß für die Entstehung der imperialistischen
Bewegung gewesen sein, die zunächst dort am frühesten einsetzte, wo sie die
günstigsten Vorbedingungen fand -- in England -- und dann weiter auf die
andern großen Nationen übergriff.

' Aber das sind -- wenn auch wichtige -- Einzelheiten, über die Meinungs¬
verschiedenheiten wohl möglich sind. Von überragender Bedeutung jedoch ist die
Erkenntnis, die aus der Betrachtung der Grundlagen des Imperialismus ge¬
wonnen werden soll: daß der Imperialismus eine innere Notwendigkeit, das
Zeichen unserer Zeit ist und sie beherrscht, ebenso wie der dynastische Gedanke
das achtzehnte und auch schon das siebzehnte, und der nationale Gedanke
das neunzehnte Jahrhundert beherrschten. Und ebenso wie die Völker aus
der Reihe der Großmächte ausgeschieden worden sind, die sich in jenen Zeiten
nicht mit ganzer, voller Kraft dynastischen und nationalen Zielen Hingaben, so
werden heutigen Tages die Nationen erdrosselt und erdrückt werden, die nicht ihr
Alles daran setzen, ihren Machtbereich soweit zu vergrößern, wie es nur möglich ist.




Grundlagen des Imperialismus

Beseitigung innerer Wirren und die innere Befestigung waren erst im neun¬
zehnten Jahrhundert vollzogen worden. In diesem Jahrhundert wurden auch
erst Technik und Weltverkehr so weit entwickelt, daß — bei gleichzeitiger Be¬
völkerungszunahme, die den Blick der Staatsmänner wieder nach außen richtete,—
die bisher unberührt gebliebenen Teile der Erde erreichbar gemacht und
erschlossen werden konnten. So konnte erst in diesem Jahrhundert der Wett¬
bewerb um die Erlangung möglichst weiter Gebiete, die keiner zivilisierten Macht
unterstanden, entstehen; denn erst jetzt wurde der Zeitpunkt der völligen Aufteilung
freier Länder in menschliche Berechnung gerückt. Hierzu kam, gebieterisch Aus¬
dehnung fordernd, die außerordentliche kapitalistische und industrielle Entwicklung
— die Weltwirtschaft — des neunzehnten Jahrhunderts, die neuer Absatzgebiete
bedürfte, die neue Rohstoffe aus fernen, aber in ihrer Entwicklung gesicherten
Ländern in immer steigendem Maße heranziehen mußte. Und schließlich drängten
die im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts immer mehr hervortretenden Rassen-
gegensütze die einzelnen Völker ihre Machtgebiete möglichst stark und umfang¬
reich zu sichern, bevor sie durch den Zugriff von Nebenbuhlern daran gehindert
wurden. — Das Zusammentreffen dieser verschiedenen Erscheinungen im neun¬
zehnten Jahrhundert muß der Anlaß für die Entstehung der imperialistischen
Bewegung gewesen sein, die zunächst dort am frühesten einsetzte, wo sie die
günstigsten Vorbedingungen fand — in England — und dann weiter auf die
andern großen Nationen übergriff.

' Aber das sind — wenn auch wichtige — Einzelheiten, über die Meinungs¬
verschiedenheiten wohl möglich sind. Von überragender Bedeutung jedoch ist die
Erkenntnis, die aus der Betrachtung der Grundlagen des Imperialismus ge¬
wonnen werden soll: daß der Imperialismus eine innere Notwendigkeit, das
Zeichen unserer Zeit ist und sie beherrscht, ebenso wie der dynastische Gedanke
das achtzehnte und auch schon das siebzehnte, und der nationale Gedanke
das neunzehnte Jahrhundert beherrschten. Und ebenso wie die Völker aus
der Reihe der Großmächte ausgeschieden worden sind, die sich in jenen Zeiten
nicht mit ganzer, voller Kraft dynastischen und nationalen Zielen Hingaben, so
werden heutigen Tages die Nationen erdrosselt und erdrückt werden, die nicht ihr
Alles daran setzen, ihren Machtbereich soweit zu vergrößern, wie es nur möglich ist.




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[0281] Grundlagen des Imperialismus Beseitigung innerer Wirren und die innere Befestigung waren erst im neun¬ zehnten Jahrhundert vollzogen worden. In diesem Jahrhundert wurden auch erst Technik und Weltverkehr so weit entwickelt, daß — bei gleichzeitiger Be¬ völkerungszunahme, die den Blick der Staatsmänner wieder nach außen richtete,— die bisher unberührt gebliebenen Teile der Erde erreichbar gemacht und erschlossen werden konnten. So konnte erst in diesem Jahrhundert der Wett¬ bewerb um die Erlangung möglichst weiter Gebiete, die keiner zivilisierten Macht unterstanden, entstehen; denn erst jetzt wurde der Zeitpunkt der völligen Aufteilung freier Länder in menschliche Berechnung gerückt. Hierzu kam, gebieterisch Aus¬ dehnung fordernd, die außerordentliche kapitalistische und industrielle Entwicklung — die Weltwirtschaft — des neunzehnten Jahrhunderts, die neuer Absatzgebiete bedürfte, die neue Rohstoffe aus fernen, aber in ihrer Entwicklung gesicherten Ländern in immer steigendem Maße heranziehen mußte. Und schließlich drängten die im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts immer mehr hervortretenden Rassen- gegensütze die einzelnen Völker ihre Machtgebiete möglichst stark und umfang¬ reich zu sichern, bevor sie durch den Zugriff von Nebenbuhlern daran gehindert wurden. — Das Zusammentreffen dieser verschiedenen Erscheinungen im neun¬ zehnten Jahrhundert muß der Anlaß für die Entstehung der imperialistischen Bewegung gewesen sein, die zunächst dort am frühesten einsetzte, wo sie die günstigsten Vorbedingungen fand — in England — und dann weiter auf die andern großen Nationen übergriff. ' Aber das sind — wenn auch wichtige — Einzelheiten, über die Meinungs¬ verschiedenheiten wohl möglich sind. Von überragender Bedeutung jedoch ist die Erkenntnis, die aus der Betrachtung der Grundlagen des Imperialismus ge¬ wonnen werden soll: daß der Imperialismus eine innere Notwendigkeit, das Zeichen unserer Zeit ist und sie beherrscht, ebenso wie der dynastische Gedanke das achtzehnte und auch schon das siebzehnte, und der nationale Gedanke das neunzehnte Jahrhundert beherrschten. Und ebenso wie die Völker aus der Reihe der Großmächte ausgeschieden worden sind, die sich in jenen Zeiten nicht mit ganzer, voller Kraft dynastischen und nationalen Zielen Hingaben, so werden heutigen Tages die Nationen erdrosselt und erdrückt werden, die nicht ihr Alles daran setzen, ihren Machtbereich soweit zu vergrößern, wie es nur möglich ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/281>, abgerufen am 27.07.2024.