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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

organisation der Verwaltung aus seinem Amte
schied. Von all den Staatsmännern, die ihr
Votum zu dem EntWurfe abgegeben haben,
hat Wilhelm von Humboldt das Problem am
tiefsten gefaßt: er ist für die völlige und so¬
fortige Gleichstellung; der Staat habe nicht
die Aufgabe, die Bürger zu erziehen, sondern
ihnen nur die Möglichkeit der Selbsterziehung
zu geben; völlige Gleichstellung auch in bezug
auf die Pflichten sei das einzige Mittel,
um aus den Juden nützliche Glieder des
Staatsganzen zu schaffen.

Als Hardenberg im Sommer 1810 an
die Spitze der preußischen Regierung gestellt
wurde, fand er das begonnene Werk schon
vor, das dann unter seinem Persönlichsten An¬
teil vollendet wurde, als ein wesentlicher Teil
seines großen Reformwerks.

Seiner liberalen Staatsauffassung war die
Gleichheit aller vor dem Gesetz eine selbst¬
verständliche Forderung, außerdem hatte er
neben persönlichen günstigen Erfahrungen auch
noch in der Reorganisation der Finanzen
einen Grund, die Emanzipation zu beschleu¬
nigen. Die verschiedenen, dringlichen Bitten
der preußischen Juden, deren Lage in den
letzten Jahren vor dem Erscheinen des Ediktes
bei der allgemeinen wirtschaftlichen Notlage
kaum noch erträglich war, haben dann dazu
beigetragen, daß Hardenbergs Interesse nicht
erlahmte; er Persönlich hat noch am Tage der
Vollziehung den Gemeinden in Berlin, Breslau
und Königsberg die so sehnlich erwartete Be¬
freiung mitgeteilt; doch hat er nicht vermocht,
die den Juden feindlichen Ansichten seiner
Mitarbeiter zu ändern und den völligen Um¬
schwung, der schon 1815 begann, aufzu¬
halten. Mitte der zwanziger Jahre galt das
Gesetz schon bei Regierung- und Provinzial-
ständon für eine Übereilung; es wäre vielleicht
aufgehoben oder doch wesentlich abgeändert
worden, wenn nicht die von Hardenberg selbst
beantragte Garantie in den Bundesakten be¬
standen hätte. So zögerte man bis 1847mit dem
Erlaß eines Judengesetzes auch für die neuen
Provinzen, und das in bezug auf Staatsan¬
stellungen und Lehrtätigkeit der Juden wesent¬
lich verschärfte Gesetz für die Gesmntmonarchie
wurde sehr bald durch die Verfassungsurkunde
vom 5. Dezember 1848 (§8 4 und 12 der
revidierten Verfassung vom 31. Januar 1850)

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aufgehoben. Durch das Bundesgesetz vom
3. Juli 1869 wurde die bedingungslose Gleich¬
stellung der Juden in bürgerlicher und staats¬
bürgerlicher Hinsicht vom Reich garantiert
und so die Emanzipationsbewegung abge¬
schlossen.

Der Verfasser hat diese Entwicklung in
ihren wechselnden Phasen klar dargestellt und
ihren tieferen Zusammenhang mit den Zeit¬
strömungen deutlich gezeigt. Es liegt in der
Art seiner stets auf die urkundlichen Quellen
zurückgehenden Arbeitsweise und in seiner
Problemstellung, daß die persönlichen, kultu¬
rellen und wirtschaftlichen Verhältnisse nur
gestreift werden. Auf der gesicherten Grund¬
lage der vorliegenden Bände wäre eine weitere
Untersuchung der Emanzipation wünschenswert.

Dr. D. Meyer
politische Literatur

Frankreich und der Krieg. Seit Agadir
regt es sich in Frankreich. Seit langen Jahren
war man dem Kriege nicht so nahe wie 1911.
Die Marokkokrise hat ungemein fruchtbar zu¬
nächst auf die militärische Literatur der Fran¬
zosen gewirkt, einem ganzen Heer von ernst¬
haften und phantastischen Schriften das Leben
gegeben und das Publikum zu kriegerischer
Lektüre aufnahmefähig gemacht. Auch im
Jahre 1912 hält die Wirkung noch an, und
Bücher wie das von Hauptmann Boucher
"l>a ?rsnco victorieuso 6"us la Luerre 6o
äomain" erreichen innerhalb vierzehn Tagen
eine Auflageziffer von 10 000 Exemplaren.

Einige Verfasser bemühen sich, vorläufig
nur hinter die deutschen Pläne zu kommen,
und durchforschen zu diesem Zweck die deutsche
Militärliteratur. Diese Aufgabe hat sich ein
Anonymus in einer dreiteiliger Broschüre ge¬
stellt: "opinions sllomanäos sur la lluorro
inoäerne" (Berger-Levrault, Paris-Nancy
1912). Ohne irgendeinen Vergleich zwischen
deutscher und französischer Anschauung zu
ziehen, versucht er eine Synthese der deutschen
Ansichten. Er behält die fremden Gedanken¬
gänge bei, fürchtet allerdings, daß der Arbeit
dadurch ein "etwas pedantisch-philosophischer
Geruch anhaften wird". Sein Material bilden
die Schriften von: von Bernhardt, von der
Goltz, von Schliessen, von Bakel sowie Fach¬
blätter. Das erste Heft bildet die Grund-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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organisation der Verwaltung aus seinem Amte
schied. Von all den Staatsmännern, die ihr
Votum zu dem EntWurfe abgegeben haben,
hat Wilhelm von Humboldt das Problem am
tiefsten gefaßt: er ist für die völlige und so¬
fortige Gleichstellung; der Staat habe nicht
die Aufgabe, die Bürger zu erziehen, sondern
ihnen nur die Möglichkeit der Selbsterziehung
zu geben; völlige Gleichstellung auch in bezug
auf die Pflichten sei das einzige Mittel,
um aus den Juden nützliche Glieder des
Staatsganzen zu schaffen.

Als Hardenberg im Sommer 1810 an
die Spitze der preußischen Regierung gestellt
wurde, fand er das begonnene Werk schon
vor, das dann unter seinem Persönlichsten An¬
teil vollendet wurde, als ein wesentlicher Teil
seines großen Reformwerks.

Seiner liberalen Staatsauffassung war die
Gleichheit aller vor dem Gesetz eine selbst¬
verständliche Forderung, außerdem hatte er
neben persönlichen günstigen Erfahrungen auch
noch in der Reorganisation der Finanzen
einen Grund, die Emanzipation zu beschleu¬
nigen. Die verschiedenen, dringlichen Bitten
der preußischen Juden, deren Lage in den
letzten Jahren vor dem Erscheinen des Ediktes
bei der allgemeinen wirtschaftlichen Notlage
kaum noch erträglich war, haben dann dazu
beigetragen, daß Hardenbergs Interesse nicht
erlahmte; er Persönlich hat noch am Tage der
Vollziehung den Gemeinden in Berlin, Breslau
und Königsberg die so sehnlich erwartete Be¬
freiung mitgeteilt; doch hat er nicht vermocht,
die den Juden feindlichen Ansichten seiner
Mitarbeiter zu ändern und den völligen Um¬
schwung, der schon 1815 begann, aufzu¬
halten. Mitte der zwanziger Jahre galt das
Gesetz schon bei Regierung- und Provinzial-
ständon für eine Übereilung; es wäre vielleicht
aufgehoben oder doch wesentlich abgeändert
worden, wenn nicht die von Hardenberg selbst
beantragte Garantie in den Bundesakten be¬
standen hätte. So zögerte man bis 1847mit dem
Erlaß eines Judengesetzes auch für die neuen
Provinzen, und das in bezug auf Staatsan¬
stellungen und Lehrtätigkeit der Juden wesent¬
lich verschärfte Gesetz für die Gesmntmonarchie
wurde sehr bald durch die Verfassungsurkunde
vom 5. Dezember 1848 (§8 4 und 12 der
revidierten Verfassung vom 31. Januar 1850)

[Spaltenumbruch]

aufgehoben. Durch das Bundesgesetz vom
3. Juli 1869 wurde die bedingungslose Gleich¬
stellung der Juden in bürgerlicher und staats¬
bürgerlicher Hinsicht vom Reich garantiert
und so die Emanzipationsbewegung abge¬
schlossen.

Der Verfasser hat diese Entwicklung in
ihren wechselnden Phasen klar dargestellt und
ihren tieferen Zusammenhang mit den Zeit¬
strömungen deutlich gezeigt. Es liegt in der
Art seiner stets auf die urkundlichen Quellen
zurückgehenden Arbeitsweise und in seiner
Problemstellung, daß die persönlichen, kultu¬
rellen und wirtschaftlichen Verhältnisse nur
gestreift werden. Auf der gesicherten Grund¬
lage der vorliegenden Bände wäre eine weitere
Untersuchung der Emanzipation wünschenswert.

Dr. D. Meyer
politische Literatur

Frankreich und der Krieg. Seit Agadir
regt es sich in Frankreich. Seit langen Jahren
war man dem Kriege nicht so nahe wie 1911.
Die Marokkokrise hat ungemein fruchtbar zu¬
nächst auf die militärische Literatur der Fran¬
zosen gewirkt, einem ganzen Heer von ernst¬
haften und phantastischen Schriften das Leben
gegeben und das Publikum zu kriegerischer
Lektüre aufnahmefähig gemacht. Auch im
Jahre 1912 hält die Wirkung noch an, und
Bücher wie das von Hauptmann Boucher
„l>a ?rsnco victorieuso 6»us la Luerre 6o
äomain" erreichen innerhalb vierzehn Tagen
eine Auflageziffer von 10 000 Exemplaren.

Einige Verfasser bemühen sich, vorläufig
nur hinter die deutschen Pläne zu kommen,
und durchforschen zu diesem Zweck die deutsche
Militärliteratur. Diese Aufgabe hat sich ein
Anonymus in einer dreiteiliger Broschüre ge¬
stellt: „opinions sllomanäos sur la lluorro
inoäerne" (Berger-Levrault, Paris-Nancy
1912). Ohne irgendeinen Vergleich zwischen
deutscher und französischer Anschauung zu
ziehen, versucht er eine Synthese der deutschen
Ansichten. Er behält die fremden Gedanken¬
gänge bei, fürchtet allerdings, daß der Arbeit
dadurch ein „etwas pedantisch-philosophischer
Geruch anhaften wird". Sein Material bilden
die Schriften von: von Bernhardt, von der
Goltz, von Schliessen, von Bakel sowie Fach¬
blätter. Das erste Heft bildet die Grund-

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[0259] Maßgebliches und Unmaßgebliches organisation der Verwaltung aus seinem Amte schied. Von all den Staatsmännern, die ihr Votum zu dem EntWurfe abgegeben haben, hat Wilhelm von Humboldt das Problem am tiefsten gefaßt: er ist für die völlige und so¬ fortige Gleichstellung; der Staat habe nicht die Aufgabe, die Bürger zu erziehen, sondern ihnen nur die Möglichkeit der Selbsterziehung zu geben; völlige Gleichstellung auch in bezug auf die Pflichten sei das einzige Mittel, um aus den Juden nützliche Glieder des Staatsganzen zu schaffen. Als Hardenberg im Sommer 1810 an die Spitze der preußischen Regierung gestellt wurde, fand er das begonnene Werk schon vor, das dann unter seinem Persönlichsten An¬ teil vollendet wurde, als ein wesentlicher Teil seines großen Reformwerks. Seiner liberalen Staatsauffassung war die Gleichheit aller vor dem Gesetz eine selbst¬ verständliche Forderung, außerdem hatte er neben persönlichen günstigen Erfahrungen auch noch in der Reorganisation der Finanzen einen Grund, die Emanzipation zu beschleu¬ nigen. Die verschiedenen, dringlichen Bitten der preußischen Juden, deren Lage in den letzten Jahren vor dem Erscheinen des Ediktes bei der allgemeinen wirtschaftlichen Notlage kaum noch erträglich war, haben dann dazu beigetragen, daß Hardenbergs Interesse nicht erlahmte; er Persönlich hat noch am Tage der Vollziehung den Gemeinden in Berlin, Breslau und Königsberg die so sehnlich erwartete Be¬ freiung mitgeteilt; doch hat er nicht vermocht, die den Juden feindlichen Ansichten seiner Mitarbeiter zu ändern und den völligen Um¬ schwung, der schon 1815 begann, aufzu¬ halten. Mitte der zwanziger Jahre galt das Gesetz schon bei Regierung- und Provinzial- ständon für eine Übereilung; es wäre vielleicht aufgehoben oder doch wesentlich abgeändert worden, wenn nicht die von Hardenberg selbst beantragte Garantie in den Bundesakten be¬ standen hätte. So zögerte man bis 1847mit dem Erlaß eines Judengesetzes auch für die neuen Provinzen, und das in bezug auf Staatsan¬ stellungen und Lehrtätigkeit der Juden wesent¬ lich verschärfte Gesetz für die Gesmntmonarchie wurde sehr bald durch die Verfassungsurkunde vom 5. Dezember 1848 (§8 4 und 12 der revidierten Verfassung vom 31. Januar 1850) aufgehoben. Durch das Bundesgesetz vom 3. Juli 1869 wurde die bedingungslose Gleich¬ stellung der Juden in bürgerlicher und staats¬ bürgerlicher Hinsicht vom Reich garantiert und so die Emanzipationsbewegung abge¬ schlossen. Der Verfasser hat diese Entwicklung in ihren wechselnden Phasen klar dargestellt und ihren tieferen Zusammenhang mit den Zeit¬ strömungen deutlich gezeigt. Es liegt in der Art seiner stets auf die urkundlichen Quellen zurückgehenden Arbeitsweise und in seiner Problemstellung, daß die persönlichen, kultu¬ rellen und wirtschaftlichen Verhältnisse nur gestreift werden. Auf der gesicherten Grund¬ lage der vorliegenden Bände wäre eine weitere Untersuchung der Emanzipation wünschenswert. Dr. D. Meyer politische Literatur Frankreich und der Krieg. Seit Agadir regt es sich in Frankreich. Seit langen Jahren war man dem Kriege nicht so nahe wie 1911. Die Marokkokrise hat ungemein fruchtbar zu¬ nächst auf die militärische Literatur der Fran¬ zosen gewirkt, einem ganzen Heer von ernst¬ haften und phantastischen Schriften das Leben gegeben und das Publikum zu kriegerischer Lektüre aufnahmefähig gemacht. Auch im Jahre 1912 hält die Wirkung noch an, und Bücher wie das von Hauptmann Boucher „l>a ?rsnco victorieuso 6»us la Luerre 6o äomain" erreichen innerhalb vierzehn Tagen eine Auflageziffer von 10 000 Exemplaren. Einige Verfasser bemühen sich, vorläufig nur hinter die deutschen Pläne zu kommen, und durchforschen zu diesem Zweck die deutsche Militärliteratur. Diese Aufgabe hat sich ein Anonymus in einer dreiteiliger Broschüre ge¬ stellt: „opinions sllomanäos sur la lluorro inoäerne" (Berger-Levrault, Paris-Nancy 1912). Ohne irgendeinen Vergleich zwischen deutscher und französischer Anschauung zu ziehen, versucht er eine Synthese der deutschen Ansichten. Er behält die fremden Gedanken¬ gänge bei, fürchtet allerdings, daß der Arbeit dadurch ein „etwas pedantisch-philosophischer Geruch anhaften wird". Sein Material bilden die Schriften von: von Bernhardt, von der Goltz, von Schliessen, von Bakel sowie Fach¬ blätter. Das erste Heft bildet die Grund-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/259>, abgerufen am 27.07.2024.