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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

und können uns, wenn wir heute nüchtern
und ruhig rückwärtsschauen, nicht verhehlen,
daß das flatternde Nevolutionsbanner jener
Kampfjahre neben allem Verheißungsbollen
auch viel Pedanterie, viel Kurzsichtigkeit und
viel gespreizte Ohnmacht hat decken müssen.
Ein Fanatiker der Theorie, wie es Arno Holz
Zeit seines Lebens gewesen, bekommt von
diesem Gesichtspunkte aus leicht einen fatalen
Donquichote-Beigeschmack. Wir können nicht
mehr recht mit, wenn er sich jahraus, jahrein,
im Wort wie in der Tat, hartnäckig und Pe¬
dantisch in die eine zentrale Idee seines künst¬
lerischen Daseins verbohrt. Es will uns dann
scheinen, daß hier ein maßloses Überschätzen, ein
unverhältnismäßiges Wichtignehmen blasser
Theorien vorliegt; eine überlaute Propa¬
ganda für Dinge, die für uns selbstverständ¬
lich oder in ihren letzten Konsequenzen abzu¬
lehnen sind; ja im letzten Grunde ein Kampf
gegen Windmühlen, der zwecklos und tragi¬
komisch zugleich ist. Arno Holzens Haltung
in diesem Prinzipienkampfe mag so nobel und
bewunderungswürdig sein, wie sie will. Der
Kampf selber vermag unsere Temperamente
nicht mehr zu wecken und schließt jedes hitzige
Dafür oder Dawider von vornherein aus.

Der Theoretiker Holz also bleibt uns
innerlich fremd. Um so stärker aber greift
der Praktiker, der Dichter Holz in unser zeit¬
genössisches Dasein. Das ist das Entscheidende.
Alles niedrige Partei- und Prinzipiengezänk
muß verstummen, wenn von den Poetischen
Kräften dieses Mannes die Rede ist. Seine
dramatischen Arbeiten haben wir flüchtig er¬
wähnt. Auch sie werden durchweg von einem
starken künstlerischen Willen getragen. Auch
in ihnen findet sich eine Genialität der Kon¬
zeption, die bedeutsam und verblüffend ist,
ein Aufflackern großer Motive, wie es die
Dutzendware unserer Theater nirgends bietet,
eine Virtuosität im rein Handwerklichen, die
keinen Konkurrenten zu scheuen braucht. Aber
das Wesentliche, das wirklich Bleibende, das
Holz zu geben vermochte, hat er in seiner Lyrik
niedergelegt. Im "Buch der Zeit" und im
"Phantasus" blüht die deutsche Sprache zu
einer seit Heine nicht geahnten lyrischen Kraft
und Schönheit auf. Da gewinnen die sim¬
pelsten Dinge, die Primitivsten Wortfolgen
ganz von selbst einen neuen Klang, einen

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neuen Rhythmus, ein neues Gesicht. Da ist
eine als "unpoetisch" verschriene Gegenwart
mit allen ihren Erscheinungsformen in die
zartesten lyrischen Farben getaucht. Da reicht
sich über alle fadenscheinigen Theorien hinweg
alte und neue Kunstanschauung entschlossen
die Hand zum Frieden. Das deutsche Lied
ist wieder lebendig. Das Lied einer neuen,
ernsthafterer Zeit freilich. Aber gesungen
von einem, der eS nicht nötig hat, sich mit
Prinzipien und Dogmen und ästhetischemKrims-
krams herumzuschlagen; von einem, der aus¬
erwählt wurde unter Tausenden und ein
Dichter war von Mutterleibe an.

So sieht der wirkliche Arno Holz aus,
wenn man ihn vom Parteihader löst! So
der Mann, der heute an den Türen des
deutschen Hauses um Almosen betteln muß!

l)s. Arthur westphal
Memoiren

Just in diesen Frühlingstagen, wo der
rauhe Wind des Nordens die Gedanken oft
sehnsüchtig südwärts treibt zu den besonnten
Küsten mit dem strahlenderen Blütenschmuck,
fliegen zwei Werke auf den Büchertisch, die,
der Begeisterung des schönheitgesättigten An-
schauens voll, von jener farbenfrohen Welt
von Licht und Glut und Lebensfreude -- von
Italien erzählen. Das eine kommt als ein
alter Bekannter, den man gern wieder begrüßt.
Der Brockhaussche Verlag hat Gregoroviuö'
"Wanderjahre in Italien" in zwei zier¬
lichen Auswahlbänden herausgegeben, hand¬
liche Bücher auf leichtem Papier, die ge¬
bunden 8 Mark kosten. Die Anordnung der
Auswahl ist zweckentsprechend insofern, als
mit Ausnahme des einleitenden Aufsatzes
"Ravenna" die Schilderungen aus Mittel¬
italien zusammengestellt sind, so daß der Rom
und Neapel und ihre Unigegend Bereisende
alles Wünschenswerte hier borfindet. Ein wenig
später als dies Werk erschienen bei der Deutschen
Verlagsanstalt, Stuttgart, "Römische Briefe"
aus den Jahren 1864 bis 1869, die Kurt von
Schlözer, damals Legationsrat der preußischen
Botschaft am Päpstlichen Hofe an seine Mutter
und seinen Bruder' schrieb. Für den talent¬
vollen jungen Diplomaten war es eine hoch¬
interessante Zeit: eine Periode des Zuschauens
und Lernens, die er doch dank einer glück-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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und können uns, wenn wir heute nüchtern
und ruhig rückwärtsschauen, nicht verhehlen,
daß das flatternde Nevolutionsbanner jener
Kampfjahre neben allem Verheißungsbollen
auch viel Pedanterie, viel Kurzsichtigkeit und
viel gespreizte Ohnmacht hat decken müssen.
Ein Fanatiker der Theorie, wie es Arno Holz
Zeit seines Lebens gewesen, bekommt von
diesem Gesichtspunkte aus leicht einen fatalen
Donquichote-Beigeschmack. Wir können nicht
mehr recht mit, wenn er sich jahraus, jahrein,
im Wort wie in der Tat, hartnäckig und Pe¬
dantisch in die eine zentrale Idee seines künst¬
lerischen Daseins verbohrt. Es will uns dann
scheinen, daß hier ein maßloses Überschätzen, ein
unverhältnismäßiges Wichtignehmen blasser
Theorien vorliegt; eine überlaute Propa¬
ganda für Dinge, die für uns selbstverständ¬
lich oder in ihren letzten Konsequenzen abzu¬
lehnen sind; ja im letzten Grunde ein Kampf
gegen Windmühlen, der zwecklos und tragi¬
komisch zugleich ist. Arno Holzens Haltung
in diesem Prinzipienkampfe mag so nobel und
bewunderungswürdig sein, wie sie will. Der
Kampf selber vermag unsere Temperamente
nicht mehr zu wecken und schließt jedes hitzige
Dafür oder Dawider von vornherein aus.

Der Theoretiker Holz also bleibt uns
innerlich fremd. Um so stärker aber greift
der Praktiker, der Dichter Holz in unser zeit¬
genössisches Dasein. Das ist das Entscheidende.
Alles niedrige Partei- und Prinzipiengezänk
muß verstummen, wenn von den Poetischen
Kräften dieses Mannes die Rede ist. Seine
dramatischen Arbeiten haben wir flüchtig er¬
wähnt. Auch sie werden durchweg von einem
starken künstlerischen Willen getragen. Auch
in ihnen findet sich eine Genialität der Kon¬
zeption, die bedeutsam und verblüffend ist,
ein Aufflackern großer Motive, wie es die
Dutzendware unserer Theater nirgends bietet,
eine Virtuosität im rein Handwerklichen, die
keinen Konkurrenten zu scheuen braucht. Aber
das Wesentliche, das wirklich Bleibende, das
Holz zu geben vermochte, hat er in seiner Lyrik
niedergelegt. Im „Buch der Zeit" und im
„Phantasus" blüht die deutsche Sprache zu
einer seit Heine nicht geahnten lyrischen Kraft
und Schönheit auf. Da gewinnen die sim¬
pelsten Dinge, die Primitivsten Wortfolgen
ganz von selbst einen neuen Klang, einen

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neuen Rhythmus, ein neues Gesicht. Da ist
eine als „unpoetisch" verschriene Gegenwart
mit allen ihren Erscheinungsformen in die
zartesten lyrischen Farben getaucht. Da reicht
sich über alle fadenscheinigen Theorien hinweg
alte und neue Kunstanschauung entschlossen
die Hand zum Frieden. Das deutsche Lied
ist wieder lebendig. Das Lied einer neuen,
ernsthafterer Zeit freilich. Aber gesungen
von einem, der eS nicht nötig hat, sich mit
Prinzipien und Dogmen und ästhetischemKrims-
krams herumzuschlagen; von einem, der aus¬
erwählt wurde unter Tausenden und ein
Dichter war von Mutterleibe an.

So sieht der wirkliche Arno Holz aus,
wenn man ihn vom Parteihader löst! So
der Mann, der heute an den Türen des
deutschen Hauses um Almosen betteln muß!

l)s. Arthur westphal
Memoiren

Just in diesen Frühlingstagen, wo der
rauhe Wind des Nordens die Gedanken oft
sehnsüchtig südwärts treibt zu den besonnten
Küsten mit dem strahlenderen Blütenschmuck,
fliegen zwei Werke auf den Büchertisch, die,
der Begeisterung des schönheitgesättigten An-
schauens voll, von jener farbenfrohen Welt
von Licht und Glut und Lebensfreude — von
Italien erzählen. Das eine kommt als ein
alter Bekannter, den man gern wieder begrüßt.
Der Brockhaussche Verlag hat Gregoroviuö'
„Wanderjahre in Italien" in zwei zier¬
lichen Auswahlbänden herausgegeben, hand¬
liche Bücher auf leichtem Papier, die ge¬
bunden 8 Mark kosten. Die Anordnung der
Auswahl ist zweckentsprechend insofern, als
mit Ausnahme des einleitenden Aufsatzes
„Ravenna" die Schilderungen aus Mittel¬
italien zusammengestellt sind, so daß der Rom
und Neapel und ihre Unigegend Bereisende
alles Wünschenswerte hier borfindet. Ein wenig
später als dies Werk erschienen bei der Deutschen
Verlagsanstalt, Stuttgart, „Römische Briefe"
aus den Jahren 1864 bis 1869, die Kurt von
Schlözer, damals Legationsrat der preußischen
Botschaft am Päpstlichen Hofe an seine Mutter
und seinen Bruder' schrieb. Für den talent¬
vollen jungen Diplomaten war es eine hoch¬
interessante Zeit: eine Periode des Zuschauens
und Lernens, die er doch dank einer glück-

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[0256] Maßgebliches und Unmaßgebliches und können uns, wenn wir heute nüchtern und ruhig rückwärtsschauen, nicht verhehlen, daß das flatternde Nevolutionsbanner jener Kampfjahre neben allem Verheißungsbollen auch viel Pedanterie, viel Kurzsichtigkeit und viel gespreizte Ohnmacht hat decken müssen. Ein Fanatiker der Theorie, wie es Arno Holz Zeit seines Lebens gewesen, bekommt von diesem Gesichtspunkte aus leicht einen fatalen Donquichote-Beigeschmack. Wir können nicht mehr recht mit, wenn er sich jahraus, jahrein, im Wort wie in der Tat, hartnäckig und Pe¬ dantisch in die eine zentrale Idee seines künst¬ lerischen Daseins verbohrt. Es will uns dann scheinen, daß hier ein maßloses Überschätzen, ein unverhältnismäßiges Wichtignehmen blasser Theorien vorliegt; eine überlaute Propa¬ ganda für Dinge, die für uns selbstverständ¬ lich oder in ihren letzten Konsequenzen abzu¬ lehnen sind; ja im letzten Grunde ein Kampf gegen Windmühlen, der zwecklos und tragi¬ komisch zugleich ist. Arno Holzens Haltung in diesem Prinzipienkampfe mag so nobel und bewunderungswürdig sein, wie sie will. Der Kampf selber vermag unsere Temperamente nicht mehr zu wecken und schließt jedes hitzige Dafür oder Dawider von vornherein aus. Der Theoretiker Holz also bleibt uns innerlich fremd. Um so stärker aber greift der Praktiker, der Dichter Holz in unser zeit¬ genössisches Dasein. Das ist das Entscheidende. Alles niedrige Partei- und Prinzipiengezänk muß verstummen, wenn von den Poetischen Kräften dieses Mannes die Rede ist. Seine dramatischen Arbeiten haben wir flüchtig er¬ wähnt. Auch sie werden durchweg von einem starken künstlerischen Willen getragen. Auch in ihnen findet sich eine Genialität der Kon¬ zeption, die bedeutsam und verblüffend ist, ein Aufflackern großer Motive, wie es die Dutzendware unserer Theater nirgends bietet, eine Virtuosität im rein Handwerklichen, die keinen Konkurrenten zu scheuen braucht. Aber das Wesentliche, das wirklich Bleibende, das Holz zu geben vermochte, hat er in seiner Lyrik niedergelegt. Im „Buch der Zeit" und im „Phantasus" blüht die deutsche Sprache zu einer seit Heine nicht geahnten lyrischen Kraft und Schönheit auf. Da gewinnen die sim¬ pelsten Dinge, die Primitivsten Wortfolgen ganz von selbst einen neuen Klang, einen neuen Rhythmus, ein neues Gesicht. Da ist eine als „unpoetisch" verschriene Gegenwart mit allen ihren Erscheinungsformen in die zartesten lyrischen Farben getaucht. Da reicht sich über alle fadenscheinigen Theorien hinweg alte und neue Kunstanschauung entschlossen die Hand zum Frieden. Das deutsche Lied ist wieder lebendig. Das Lied einer neuen, ernsthafterer Zeit freilich. Aber gesungen von einem, der eS nicht nötig hat, sich mit Prinzipien und Dogmen und ästhetischemKrims- krams herumzuschlagen; von einem, der aus¬ erwählt wurde unter Tausenden und ein Dichter war von Mutterleibe an. So sieht der wirkliche Arno Holz aus, wenn man ihn vom Parteihader löst! So der Mann, der heute an den Türen des deutschen Hauses um Almosen betteln muß! l)s. Arthur westphal Memoiren Just in diesen Frühlingstagen, wo der rauhe Wind des Nordens die Gedanken oft sehnsüchtig südwärts treibt zu den besonnten Küsten mit dem strahlenderen Blütenschmuck, fliegen zwei Werke auf den Büchertisch, die, der Begeisterung des schönheitgesättigten An- schauens voll, von jener farbenfrohen Welt von Licht und Glut und Lebensfreude — von Italien erzählen. Das eine kommt als ein alter Bekannter, den man gern wieder begrüßt. Der Brockhaussche Verlag hat Gregoroviuö' „Wanderjahre in Italien" in zwei zier¬ lichen Auswahlbänden herausgegeben, hand¬ liche Bücher auf leichtem Papier, die ge¬ bunden 8 Mark kosten. Die Anordnung der Auswahl ist zweckentsprechend insofern, als mit Ausnahme des einleitenden Aufsatzes „Ravenna" die Schilderungen aus Mittel¬ italien zusammengestellt sind, so daß der Rom und Neapel und ihre Unigegend Bereisende alles Wünschenswerte hier borfindet. Ein wenig später als dies Werk erschienen bei der Deutschen Verlagsanstalt, Stuttgart, „Römische Briefe" aus den Jahren 1864 bis 1869, die Kurt von Schlözer, damals Legationsrat der preußischen Botschaft am Päpstlichen Hofe an seine Mutter und seinen Bruder' schrieb. Für den talent¬ vollen jungen Diplomaten war es eine hoch¬ interessante Zeit: eine Periode des Zuschauens und Lernens, die er doch dank einer glück-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/256>, abgerufen am 30.12.2024.