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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Gobineaus Renaissance in altem und neuem Gewände

schienen und von der Akademie mit dem Bordin-Preis ausgezeichnet, aber in
seiner Heimat so wenig gewürdigt, daß die erste Auflage erst nach 25 Jahren
vergriffen war, hat Ludwig Schemann durch seine Verdeutschung der Welt¬
literatur zurückgegeben; ohne ihn wäre es wahrscheinlich noch heute verschollen
und vergessen. Erst durch ihn sind die Landsleute des Dichters wieder auf
das Werk aufmerksam geworden, und während einige französische Kritiker sich
hartnäckig ablehnend verhielten, fanden andere vom ersten Range, wie der
Historiker Charles Sorel und der ausgezeichnete Literarhistoriker Edouard Schurö")
Worte der höchsten Anerkennung dafür, so daß eine zweite Auflage des Originals
erscheinen konnte. Erst als die "Renaissance" in Deutschland Tausende ent¬
zückt hatte, wurden auch andere Völker des Schatzes gewahr, und es erschien
eine magyarische Übersetzung von Professor Stephan Szökely und eine italienische
von G. Vannicola^). Zu den angelsächsischen Völkern scheint Gobineau noch
nicht gedrungen zu sein.

"Die Renaissance" ist bekanntlich weder ein Drama noch eine Serie von
Dramen, sondern eine Reihe "historischer Szenen", die, in fünf Abteilungen
gegliedert"^), aber sonst lose, ja willkürlich aneinander gereiht, von ihrem
Urheber selbst mit einem Freskogemälde verglichen worden sind. Sie sind zwar
nicht in allen Kleinigkeiten und Einzelheiten, um so mehr aber in allen wesent¬
lichen Zügen historisch getreuf); sie beleuchten sowohl die Haupt- und Staats¬
aktionen der Politik wie die geistigen Strömungen und das Volksleben und ver¬
wirklichen so die Absicht des Verfassers, la, mooHe als I'Ki8toire, das Mark
der Geschichte zu geben. Der gesamte Lebensgehalt der Hochrenaissance wird
in den großen Gegensatz von Politik und Kunst oder, anders gefaßt, von
Geistesfülle und Gemütsleere eingespannt, nicht ohne eine leise Verengung der
wirklichen Lebensfülle jener überschwenglich reichen Zeit, aber mit um so ein¬
dringlicherer Wucht. Im Innersten erschüttert, steht der Dichter vor der Größe
dieser wunderbaren und grauenvollen Welt, die er verurteilt, obschon er sie
bewundert -- und wir teilen sein Gefühl.

Eine Reihe glänzend charakterisierter Persönlichkeiten prägen sich tief in
unsere Seele; keine tiefer als Michelangelo, der Einsame, der Heros des
Ganzen, der in gigantischer Größe, allein mit Machiavell, durch alle fünf Teile
hindurchschreitet.

Es gibt kein Geschichtswerk und keine Dichtung, die so ins innerste Leben
der italienischen Renaissance einführte, wie diese oft formlos gescholtenen sihlo-






") Lenure, preeurseurs et revoltes L. 236 k.: L'est une ceuvre unique en se"i
Zsnre, le tsbleau complet et vivant et'une des plus Zranäes periocles as I'nistoire, le
miracle ni'un äevin et ni'un poete -- en un mot, une erestion cis Zenie.
^l Kinaseimento. Scene stonene. 1>s6u2in>ne all (Z. Vannicow. Koma l9it.
<!öff eclitiice l^rank L: L.
Sie heißen: Savonarola. Cesare Borgia. Julius II. Leo X. Michelangelo,
f) Die in. W. noch immer einzige genauere Würdigung dieser Dinge enthält mein
Buch: Studien über Gobineau. Leipzig 1906, Eduard Avenarius.
Gobineaus Renaissance in altem und neuem Gewände

schienen und von der Akademie mit dem Bordin-Preis ausgezeichnet, aber in
seiner Heimat so wenig gewürdigt, daß die erste Auflage erst nach 25 Jahren
vergriffen war, hat Ludwig Schemann durch seine Verdeutschung der Welt¬
literatur zurückgegeben; ohne ihn wäre es wahrscheinlich noch heute verschollen
und vergessen. Erst durch ihn sind die Landsleute des Dichters wieder auf
das Werk aufmerksam geworden, und während einige französische Kritiker sich
hartnäckig ablehnend verhielten, fanden andere vom ersten Range, wie der
Historiker Charles Sorel und der ausgezeichnete Literarhistoriker Edouard Schurö")
Worte der höchsten Anerkennung dafür, so daß eine zweite Auflage des Originals
erscheinen konnte. Erst als die „Renaissance" in Deutschland Tausende ent¬
zückt hatte, wurden auch andere Völker des Schatzes gewahr, und es erschien
eine magyarische Übersetzung von Professor Stephan Szökely und eine italienische
von G. Vannicola^). Zu den angelsächsischen Völkern scheint Gobineau noch
nicht gedrungen zu sein.

„Die Renaissance" ist bekanntlich weder ein Drama noch eine Serie von
Dramen, sondern eine Reihe „historischer Szenen", die, in fünf Abteilungen
gegliedert"^), aber sonst lose, ja willkürlich aneinander gereiht, von ihrem
Urheber selbst mit einem Freskogemälde verglichen worden sind. Sie sind zwar
nicht in allen Kleinigkeiten und Einzelheiten, um so mehr aber in allen wesent¬
lichen Zügen historisch getreuf); sie beleuchten sowohl die Haupt- und Staats¬
aktionen der Politik wie die geistigen Strömungen und das Volksleben und ver¬
wirklichen so die Absicht des Verfassers, la, mooHe als I'Ki8toire, das Mark
der Geschichte zu geben. Der gesamte Lebensgehalt der Hochrenaissance wird
in den großen Gegensatz von Politik und Kunst oder, anders gefaßt, von
Geistesfülle und Gemütsleere eingespannt, nicht ohne eine leise Verengung der
wirklichen Lebensfülle jener überschwenglich reichen Zeit, aber mit um so ein¬
dringlicherer Wucht. Im Innersten erschüttert, steht der Dichter vor der Größe
dieser wunderbaren und grauenvollen Welt, die er verurteilt, obschon er sie
bewundert — und wir teilen sein Gefühl.

Eine Reihe glänzend charakterisierter Persönlichkeiten prägen sich tief in
unsere Seele; keine tiefer als Michelangelo, der Einsame, der Heros des
Ganzen, der in gigantischer Größe, allein mit Machiavell, durch alle fünf Teile
hindurchschreitet.

Es gibt kein Geschichtswerk und keine Dichtung, die so ins innerste Leben
der italienischen Renaissance einführte, wie diese oft formlos gescholtenen sihlo-






") Lenure, preeurseurs et revoltes L. 236 k.: L'est une ceuvre unique en se»i
Zsnre, le tsbleau complet et vivant et'une des plus Zranäes periocles as I'nistoire, le
miracle ni'un äevin et ni'un poete — en un mot, une erestion cis Zenie.
^l Kinaseimento. Scene stonene. 1>s6u2in>ne all (Z. Vannicow. Koma l9it.
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Sie heißen: Savonarola. Cesare Borgia. Julius II. Leo X. Michelangelo,
f) Die in. W. noch immer einzige genauere Würdigung dieser Dinge enthält mein
Buch: Studien über Gobineau. Leipzig 1906, Eduard Avenarius.
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[0246] Gobineaus Renaissance in altem und neuem Gewände schienen und von der Akademie mit dem Bordin-Preis ausgezeichnet, aber in seiner Heimat so wenig gewürdigt, daß die erste Auflage erst nach 25 Jahren vergriffen war, hat Ludwig Schemann durch seine Verdeutschung der Welt¬ literatur zurückgegeben; ohne ihn wäre es wahrscheinlich noch heute verschollen und vergessen. Erst durch ihn sind die Landsleute des Dichters wieder auf das Werk aufmerksam geworden, und während einige französische Kritiker sich hartnäckig ablehnend verhielten, fanden andere vom ersten Range, wie der Historiker Charles Sorel und der ausgezeichnete Literarhistoriker Edouard Schurö") Worte der höchsten Anerkennung dafür, so daß eine zweite Auflage des Originals erscheinen konnte. Erst als die „Renaissance" in Deutschland Tausende ent¬ zückt hatte, wurden auch andere Völker des Schatzes gewahr, und es erschien eine magyarische Übersetzung von Professor Stephan Szökely und eine italienische von G. Vannicola^). Zu den angelsächsischen Völkern scheint Gobineau noch nicht gedrungen zu sein. „Die Renaissance" ist bekanntlich weder ein Drama noch eine Serie von Dramen, sondern eine Reihe „historischer Szenen", die, in fünf Abteilungen gegliedert"^), aber sonst lose, ja willkürlich aneinander gereiht, von ihrem Urheber selbst mit einem Freskogemälde verglichen worden sind. Sie sind zwar nicht in allen Kleinigkeiten und Einzelheiten, um so mehr aber in allen wesent¬ lichen Zügen historisch getreuf); sie beleuchten sowohl die Haupt- und Staats¬ aktionen der Politik wie die geistigen Strömungen und das Volksleben und ver¬ wirklichen so die Absicht des Verfassers, la, mooHe als I'Ki8toire, das Mark der Geschichte zu geben. Der gesamte Lebensgehalt der Hochrenaissance wird in den großen Gegensatz von Politik und Kunst oder, anders gefaßt, von Geistesfülle und Gemütsleere eingespannt, nicht ohne eine leise Verengung der wirklichen Lebensfülle jener überschwenglich reichen Zeit, aber mit um so ein¬ dringlicherer Wucht. Im Innersten erschüttert, steht der Dichter vor der Größe dieser wunderbaren und grauenvollen Welt, die er verurteilt, obschon er sie bewundert — und wir teilen sein Gefühl. Eine Reihe glänzend charakterisierter Persönlichkeiten prägen sich tief in unsere Seele; keine tiefer als Michelangelo, der Einsame, der Heros des Ganzen, der in gigantischer Größe, allein mit Machiavell, durch alle fünf Teile hindurchschreitet. Es gibt kein Geschichtswerk und keine Dichtung, die so ins innerste Leben der italienischen Renaissance einführte, wie diese oft formlos gescholtenen sihlo- ") Lenure, preeurseurs et revoltes L. 236 k.: L'est une ceuvre unique en se»i Zsnre, le tsbleau complet et vivant et'une des plus Zranäes periocles as I'nistoire, le miracle ni'un äevin et ni'un poete — en un mot, une erestion cis Zenie. ^l Kinaseimento. Scene stonene. 1>s6u2in>ne all (Z. Vannicow. Koma l9it. <!öff eclitiice l^rank L: L. Sie heißen: Savonarola. Cesare Borgia. Julius II. Leo X. Michelangelo, f) Die in. W. noch immer einzige genauere Würdigung dieser Dinge enthält mein Buch: Studien über Gobineau. Leipzig 1906, Eduard Avenarius.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/246>, abgerufen am 27.07.2024.