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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der vorsichtige Freier

Rats, der Bischof mit vielen Herren des Kapitels, mehrere der Gesandten mit
großem Gefolge, vor allem die Frankreichs, kamen in Karossen, zu Fuß oder
beritten aus der Stadt. Die Verwirrung ward groß, und gerade dadurch kam
Avinelli dicht daneben zu stehen, als der Gemahl der Herzogin, ein steifer Herr
in schwarzem, mit blauer Seide geschlitzten Sammetkleide und breitem alt¬
modischem Spitzenkragen, aus seiner Karosse stieg und seine Frau begrüßte.
Er hatte große Tränensäcke unter den Augen, einen grauen Kinn- und Schnurr¬
bart und eine blonde Perücke. Über die alten Plätze und Giebelhäuser senkte
sich die Nacht, ehe der ganze Zug eingerückt und untergebracht war.

Als Avinelli am nächsten Morgen ans Fenster der Wirtsstube trat, in der
er mit vier anderen schlief, sah er unten in der Straße eine Schar von
Lakaien und Bewaffneten, die er an der Tracht sogleich als Landsleute erkannte.
In ihrer Mitte saß in reichgeschmückter Sänfte, deren Stäbe auf den Schultern
von vier in gelbe Seide gekleideten Trägern ruhten, ein Kardinal. Von oben
sah Avinelli das Purpurkleid und den breiten roten Hut mit den seidenen
Schnüren. Als er hinabeilte, war der Zug schon verschwunden, nur die
Schellen an den roten Netzen der Maultiere, auf denen Geistliche saßen, --
unbekannter Tiere, die von den Bürgersleuten angestaunt wurden, -- klingelten
noch um die Ecke.

Noch am selben Tage beschaffte er auch für sich eine vornehmere Tracht.
Sie schneidern zu lassen, war nicht Zeit, aber er hatte in Münster bald einen
Laden gefunden, in dein mehr und niinder kostbare Beutestücke wiederverkauft
wurden, und kam ein anderer Mann in den Gasthof zurück, als der er aus¬
gegangen war: in seinem gestickten Wams, weiten Hosen mit seidenem Besatz,
mächtigen Becherstiefeln aus weichen: Leder mit roten Absätzen, einen Federhut
auf dem Kopf und einen langen französischen Stoßdegen an der Seite. Vor
ihm, damit er ihn in dem Getümmel auf den Straßen nicht aus den Augen
verliere, ging ein Bursche aus dem Laden, der ein Bündel mit seinen alten
Kleidern trug; und zu Hanse schnitt er, als niemand in der Stube war, den
Schein des alten Murlacher aus dem Futter und barg ihn in einem ledernen Beutel,
den er zu diesem Zweck erstanden hatte und unter den? Hemde trug.

So ausstaffiert stellte ihn der Abbate Pericliti vom Gefolge der Herzogin,
ein sehr entschiedener Mann mit mächtigem Leibe, der mehr wie ein Krieger als
wie ein Geistlicher aussah, demselben Kardinal, den er vorübertragen sehen und
der der päpstliche Nuntius war, vor. Auch dieser hatte zwei Worte und ein
Lächeln für ihn und als er wieder gehen wollte, hielt ihn ein geistlicher Sekretär
fest und notierte seinen Namen: der Herr Kardinal habe dem Kurfürsten zu
Köln am Rhein einen italienischen Baumeister zu schicken versprochen; gleichzeitig
sagte er ihm, daß er an der offenen Mittagstafel, die Se. Eminenz für alle
Landsleute in Münster hielt, stets geladen sei. (Schluß folgt)




Der vorsichtige Freier

Rats, der Bischof mit vielen Herren des Kapitels, mehrere der Gesandten mit
großem Gefolge, vor allem die Frankreichs, kamen in Karossen, zu Fuß oder
beritten aus der Stadt. Die Verwirrung ward groß, und gerade dadurch kam
Avinelli dicht daneben zu stehen, als der Gemahl der Herzogin, ein steifer Herr
in schwarzem, mit blauer Seide geschlitzten Sammetkleide und breitem alt¬
modischem Spitzenkragen, aus seiner Karosse stieg und seine Frau begrüßte.
Er hatte große Tränensäcke unter den Augen, einen grauen Kinn- und Schnurr¬
bart und eine blonde Perücke. Über die alten Plätze und Giebelhäuser senkte
sich die Nacht, ehe der ganze Zug eingerückt und untergebracht war.

Als Avinelli am nächsten Morgen ans Fenster der Wirtsstube trat, in der
er mit vier anderen schlief, sah er unten in der Straße eine Schar von
Lakaien und Bewaffneten, die er an der Tracht sogleich als Landsleute erkannte.
In ihrer Mitte saß in reichgeschmückter Sänfte, deren Stäbe auf den Schultern
von vier in gelbe Seide gekleideten Trägern ruhten, ein Kardinal. Von oben
sah Avinelli das Purpurkleid und den breiten roten Hut mit den seidenen
Schnüren. Als er hinabeilte, war der Zug schon verschwunden, nur die
Schellen an den roten Netzen der Maultiere, auf denen Geistliche saßen, —
unbekannter Tiere, die von den Bürgersleuten angestaunt wurden, — klingelten
noch um die Ecke.

Noch am selben Tage beschaffte er auch für sich eine vornehmere Tracht.
Sie schneidern zu lassen, war nicht Zeit, aber er hatte in Münster bald einen
Laden gefunden, in dein mehr und niinder kostbare Beutestücke wiederverkauft
wurden, und kam ein anderer Mann in den Gasthof zurück, als der er aus¬
gegangen war: in seinem gestickten Wams, weiten Hosen mit seidenem Besatz,
mächtigen Becherstiefeln aus weichen: Leder mit roten Absätzen, einen Federhut
auf dem Kopf und einen langen französischen Stoßdegen an der Seite. Vor
ihm, damit er ihn in dem Getümmel auf den Straßen nicht aus den Augen
verliere, ging ein Bursche aus dem Laden, der ein Bündel mit seinen alten
Kleidern trug; und zu Hanse schnitt er, als niemand in der Stube war, den
Schein des alten Murlacher aus dem Futter und barg ihn in einem ledernen Beutel,
den er zu diesem Zweck erstanden hatte und unter den? Hemde trug.

So ausstaffiert stellte ihn der Abbate Pericliti vom Gefolge der Herzogin,
ein sehr entschiedener Mann mit mächtigem Leibe, der mehr wie ein Krieger als
wie ein Geistlicher aussah, demselben Kardinal, den er vorübertragen sehen und
der der päpstliche Nuntius war, vor. Auch dieser hatte zwei Worte und ein
Lächeln für ihn und als er wieder gehen wollte, hielt ihn ein geistlicher Sekretär
fest und notierte seinen Namen: der Herr Kardinal habe dem Kurfürsten zu
Köln am Rhein einen italienischen Baumeister zu schicken versprochen; gleichzeitig
sagte er ihm, daß er an der offenen Mittagstafel, die Se. Eminenz für alle
Landsleute in Münster hielt, stets geladen sei. (Schluß folgt)




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[0244] Der vorsichtige Freier Rats, der Bischof mit vielen Herren des Kapitels, mehrere der Gesandten mit großem Gefolge, vor allem die Frankreichs, kamen in Karossen, zu Fuß oder beritten aus der Stadt. Die Verwirrung ward groß, und gerade dadurch kam Avinelli dicht daneben zu stehen, als der Gemahl der Herzogin, ein steifer Herr in schwarzem, mit blauer Seide geschlitzten Sammetkleide und breitem alt¬ modischem Spitzenkragen, aus seiner Karosse stieg und seine Frau begrüßte. Er hatte große Tränensäcke unter den Augen, einen grauen Kinn- und Schnurr¬ bart und eine blonde Perücke. Über die alten Plätze und Giebelhäuser senkte sich die Nacht, ehe der ganze Zug eingerückt und untergebracht war. Als Avinelli am nächsten Morgen ans Fenster der Wirtsstube trat, in der er mit vier anderen schlief, sah er unten in der Straße eine Schar von Lakaien und Bewaffneten, die er an der Tracht sogleich als Landsleute erkannte. In ihrer Mitte saß in reichgeschmückter Sänfte, deren Stäbe auf den Schultern von vier in gelbe Seide gekleideten Trägern ruhten, ein Kardinal. Von oben sah Avinelli das Purpurkleid und den breiten roten Hut mit den seidenen Schnüren. Als er hinabeilte, war der Zug schon verschwunden, nur die Schellen an den roten Netzen der Maultiere, auf denen Geistliche saßen, — unbekannter Tiere, die von den Bürgersleuten angestaunt wurden, — klingelten noch um die Ecke. Noch am selben Tage beschaffte er auch für sich eine vornehmere Tracht. Sie schneidern zu lassen, war nicht Zeit, aber er hatte in Münster bald einen Laden gefunden, in dein mehr und niinder kostbare Beutestücke wiederverkauft wurden, und kam ein anderer Mann in den Gasthof zurück, als der er aus¬ gegangen war: in seinem gestickten Wams, weiten Hosen mit seidenem Besatz, mächtigen Becherstiefeln aus weichen: Leder mit roten Absätzen, einen Federhut auf dem Kopf und einen langen französischen Stoßdegen an der Seite. Vor ihm, damit er ihn in dem Getümmel auf den Straßen nicht aus den Augen verliere, ging ein Bursche aus dem Laden, der ein Bündel mit seinen alten Kleidern trug; und zu Hanse schnitt er, als niemand in der Stube war, den Schein des alten Murlacher aus dem Futter und barg ihn in einem ledernen Beutel, den er zu diesem Zweck erstanden hatte und unter den? Hemde trug. So ausstaffiert stellte ihn der Abbate Pericliti vom Gefolge der Herzogin, ein sehr entschiedener Mann mit mächtigem Leibe, der mehr wie ein Krieger als wie ein Geistlicher aussah, demselben Kardinal, den er vorübertragen sehen und der der päpstliche Nuntius war, vor. Auch dieser hatte zwei Worte und ein Lächeln für ihn und als er wieder gehen wollte, hielt ihn ein geistlicher Sekretär fest und notierte seinen Namen: der Herr Kardinal habe dem Kurfürsten zu Köln am Rhein einen italienischen Baumeister zu schicken versprochen; gleichzeitig sagte er ihm, daß er an der offenen Mittagstafel, die Se. Eminenz für alle Landsleute in Münster hielt, stets geladen sei. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/244>, abgerufen am 27.07.2024.