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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Richard Wagners Parsifal

Leiden Bezug nehmen, beiseite gestellt, und doch ist ihre Bedeutung für das
Verständnis der Absichten Wagners nicht zu verkennen. Der Gral und der
Karfreitagszauber sind nicht minder als der Kuß der Kundry ein Herzstück des
Parsifal. Mit dieser Frage berühren wir auch Wagners Stellung zum Christen¬
tum, über die so viel geschrieben wurde, in ihrem tiefsten Kerne. Der Gral
und das Gralskönigtum, Kundry und Parsifal sind in enge Verbindung gebracht
mit dem leidenden Heiland. So erklingt im Vorspiel die Heilandsklage, der
Schmerz des göttlichen Erlösers der Menschheit, der sein Leid umsonst gelitten
hat, da der Mensch sein Beispiel nicht verstand. Hier ist Musik im Sinne
Wagners wirklich tönender Weltenwille! Kundry, der Menschen Wille, lachte
seiner, als sie ihm auf seinem Schmerzenswege begegnete, und Parsifal sagt nach
dem Kuß der Kundry:


Des Heilands Klage da vernahm ich,
die Klage, ach! die Klage
um das verratene Heiligtum! --
"erlöse, rette mich
aus schuldbefleckten Händen I"

Früher hatte er diese Klage nicht verstanden. Auch für des Heilands
Leiden hat ihm der Kuß das Herz erschlossen. Den Gral soll er aus schuld¬
befleckten Händen erlösen. Natürlich aus den Händen des Amfortas, des ganzen
bisherigen Gralskönigtums. Hier müssen wir bei Wagner selbst Aufklärung
suchen. Schon 1848 in den Nibelungen erscheint "der heilige Gral", gepflegt
im fernsten Indien "von einem urgöttlichen Priesterkönige" als Gegensatz zu
einer falschen Deutung einer verlorenen Gottesschau durch "die herrschsüchtigen
Priester" (K II S. 150). In Religion und Kunst legt dann Wagner dem
Leiden Jesu eine ganz auffallende Bedeutung unter. Er führt aus (S. 215):
Das Göttliche sei den Griechen, dem hellenischen Geist, ein spekulativer Begriff
geblieben -- "bis von wunderbar begeisterten armen Leuten die unglaubliche
Kunde ausging, der "Sohn Gottes" habe, für die Erlösung der Welt aus
ihren Banden des Truges und der Sünde, sich am Kreuze geopfert. War das
größte Wunder der infolge jener Erscheinung eingetretenen Umkehr des Willens
zum Leben, welche alle Gläubigen an sich erfahren hatten, offenbar geworden,
so war das andere Wunder der Göttlichkeit des Heilsoerkünders in jenem bereits
mit inbegriffen. Hiermit war dann auch die Gestalt des Göttlichen in anthro-
vomorphistischer Weise von selbst gegeben: es war der zu qualvollen Leiden am
Kreuze ausgespannte Leib des höchsten Inbegriffs aller mitleidvollen Liebe selbst. Ein
unwiderstehlich zu wiederum höchsten? Mitleiden, zur Anbetung des Leidens
und zur Nachahmung durch Brechung alles selbstsüchtigen Willens hinreißendes
-- Symbol? -- nein: Bild, wirkliches Abbild." (Wahrtraumdeuterei!) . . .
"Jener Gott (der zornige und strafende) wurde durch die Kunst gerichtet: der
Jehova im feurigen Busche, selbst auch der weißbärtige, ehrwürdige Greis,
welcher etwa als Vater segnend auf seinen Sohn aus den Wolken Herabblicks,
wollte, auch von der meisterhaftesten Künstlerhand dargestellt, der gläubigen Seele


Richard Wagners Parsifal

Leiden Bezug nehmen, beiseite gestellt, und doch ist ihre Bedeutung für das
Verständnis der Absichten Wagners nicht zu verkennen. Der Gral und der
Karfreitagszauber sind nicht minder als der Kuß der Kundry ein Herzstück des
Parsifal. Mit dieser Frage berühren wir auch Wagners Stellung zum Christen¬
tum, über die so viel geschrieben wurde, in ihrem tiefsten Kerne. Der Gral
und das Gralskönigtum, Kundry und Parsifal sind in enge Verbindung gebracht
mit dem leidenden Heiland. So erklingt im Vorspiel die Heilandsklage, der
Schmerz des göttlichen Erlösers der Menschheit, der sein Leid umsonst gelitten
hat, da der Mensch sein Beispiel nicht verstand. Hier ist Musik im Sinne
Wagners wirklich tönender Weltenwille! Kundry, der Menschen Wille, lachte
seiner, als sie ihm auf seinem Schmerzenswege begegnete, und Parsifal sagt nach
dem Kuß der Kundry:


Des Heilands Klage da vernahm ich,
die Klage, ach! die Klage
um das verratene Heiligtum! —
„erlöse, rette mich
aus schuldbefleckten Händen I"

Früher hatte er diese Klage nicht verstanden. Auch für des Heilands
Leiden hat ihm der Kuß das Herz erschlossen. Den Gral soll er aus schuld¬
befleckten Händen erlösen. Natürlich aus den Händen des Amfortas, des ganzen
bisherigen Gralskönigtums. Hier müssen wir bei Wagner selbst Aufklärung
suchen. Schon 1848 in den Nibelungen erscheint „der heilige Gral", gepflegt
im fernsten Indien „von einem urgöttlichen Priesterkönige" als Gegensatz zu
einer falschen Deutung einer verlorenen Gottesschau durch „die herrschsüchtigen
Priester" (K II S. 150). In Religion und Kunst legt dann Wagner dem
Leiden Jesu eine ganz auffallende Bedeutung unter. Er führt aus (S. 215):
Das Göttliche sei den Griechen, dem hellenischen Geist, ein spekulativer Begriff
geblieben — „bis von wunderbar begeisterten armen Leuten die unglaubliche
Kunde ausging, der „Sohn Gottes" habe, für die Erlösung der Welt aus
ihren Banden des Truges und der Sünde, sich am Kreuze geopfert. War das
größte Wunder der infolge jener Erscheinung eingetretenen Umkehr des Willens
zum Leben, welche alle Gläubigen an sich erfahren hatten, offenbar geworden,
so war das andere Wunder der Göttlichkeit des Heilsoerkünders in jenem bereits
mit inbegriffen. Hiermit war dann auch die Gestalt des Göttlichen in anthro-
vomorphistischer Weise von selbst gegeben: es war der zu qualvollen Leiden am
Kreuze ausgespannte Leib des höchsten Inbegriffs aller mitleidvollen Liebe selbst. Ein
unwiderstehlich zu wiederum höchsten? Mitleiden, zur Anbetung des Leidens
und zur Nachahmung durch Brechung alles selbstsüchtigen Willens hinreißendes
— Symbol? — nein: Bild, wirkliches Abbild." (Wahrtraumdeuterei!) . . .
„Jener Gott (der zornige und strafende) wurde durch die Kunst gerichtet: der
Jehova im feurigen Busche, selbst auch der weißbärtige, ehrwürdige Greis,
welcher etwa als Vater segnend auf seinen Sohn aus den Wolken Herabblicks,
wollte, auch von der meisterhaftesten Künstlerhand dargestellt, der gläubigen Seele


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[0228] Richard Wagners Parsifal Leiden Bezug nehmen, beiseite gestellt, und doch ist ihre Bedeutung für das Verständnis der Absichten Wagners nicht zu verkennen. Der Gral und der Karfreitagszauber sind nicht minder als der Kuß der Kundry ein Herzstück des Parsifal. Mit dieser Frage berühren wir auch Wagners Stellung zum Christen¬ tum, über die so viel geschrieben wurde, in ihrem tiefsten Kerne. Der Gral und das Gralskönigtum, Kundry und Parsifal sind in enge Verbindung gebracht mit dem leidenden Heiland. So erklingt im Vorspiel die Heilandsklage, der Schmerz des göttlichen Erlösers der Menschheit, der sein Leid umsonst gelitten hat, da der Mensch sein Beispiel nicht verstand. Hier ist Musik im Sinne Wagners wirklich tönender Weltenwille! Kundry, der Menschen Wille, lachte seiner, als sie ihm auf seinem Schmerzenswege begegnete, und Parsifal sagt nach dem Kuß der Kundry: Des Heilands Klage da vernahm ich, die Klage, ach! die Klage um das verratene Heiligtum! — „erlöse, rette mich aus schuldbefleckten Händen I" Früher hatte er diese Klage nicht verstanden. Auch für des Heilands Leiden hat ihm der Kuß das Herz erschlossen. Den Gral soll er aus schuld¬ befleckten Händen erlösen. Natürlich aus den Händen des Amfortas, des ganzen bisherigen Gralskönigtums. Hier müssen wir bei Wagner selbst Aufklärung suchen. Schon 1848 in den Nibelungen erscheint „der heilige Gral", gepflegt im fernsten Indien „von einem urgöttlichen Priesterkönige" als Gegensatz zu einer falschen Deutung einer verlorenen Gottesschau durch „die herrschsüchtigen Priester" (K II S. 150). In Religion und Kunst legt dann Wagner dem Leiden Jesu eine ganz auffallende Bedeutung unter. Er führt aus (S. 215): Das Göttliche sei den Griechen, dem hellenischen Geist, ein spekulativer Begriff geblieben — „bis von wunderbar begeisterten armen Leuten die unglaubliche Kunde ausging, der „Sohn Gottes" habe, für die Erlösung der Welt aus ihren Banden des Truges und der Sünde, sich am Kreuze geopfert. War das größte Wunder der infolge jener Erscheinung eingetretenen Umkehr des Willens zum Leben, welche alle Gläubigen an sich erfahren hatten, offenbar geworden, so war das andere Wunder der Göttlichkeit des Heilsoerkünders in jenem bereits mit inbegriffen. Hiermit war dann auch die Gestalt des Göttlichen in anthro- vomorphistischer Weise von selbst gegeben: es war der zu qualvollen Leiden am Kreuze ausgespannte Leib des höchsten Inbegriffs aller mitleidvollen Liebe selbst. Ein unwiderstehlich zu wiederum höchsten? Mitleiden, zur Anbetung des Leidens und zur Nachahmung durch Brechung alles selbstsüchtigen Willens hinreißendes — Symbol? — nein: Bild, wirkliches Abbild." (Wahrtraumdeuterei!) . . . „Jener Gott (der zornige und strafende) wurde durch die Kunst gerichtet: der Jehova im feurigen Busche, selbst auch der weißbärtige, ehrwürdige Greis, welcher etwa als Vater segnend auf seinen Sohn aus den Wolken Herabblicks, wollte, auch von der meisterhaftesten Künstlerhand dargestellt, der gläubigen Seele

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/228>, abgerufen am 27.07.2024.