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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Richard Wagners Parsifal

ereaturae in totum eZo 8um, se praetsr ins aliuä eus non est." So
fühlt sich ganz naturgemäß Parsifal aller Welt zum Heil gesandt. "Erlösung,
Frevlerin, biet ich auch dir." Zu Amfortas bricht er unverzüglich auf. Und
die Welt des Scheins sinkt in Trümmer, der Schleier der Maja zerreißt; der
Wille zum Leben war ihr Wesen, das ist aufgehoben -- und sie alle zerfallen,
zerstieben, Klingsor, die Blumenmädchen, das Zauberschloß, sie sind nicht mehr.
Nur Kundry lebt noch. Aus starrem Schlaf weckt sie Gurnemanz bei den
Gralsrittern wieder auf. Ihnen müssen wir uns also zur weiteren Aufklärung
zuwenden.


Die zwei Reiche. Amfortas, die Gralsritter und Klingsor.

Der Erbe des Gralkönigtums ist Amfortas. Seinem Vater Titurel "neigten
sich in heilig ernster Nacht dereinst des Heilands sel'ge Boten" und brachten
ihm den Gral. "In hohen Alters Mühen" überließ er dem Sohne die Herr¬
schaft. Die Gralsritter sind die Brüder, die Reinen,


"die zu höchsten Wunderwerken,
des Grates heil'ge Wunderkräfte stärken."

Sie sind frei von Sünden. Amfortas klagt:


WehvolleS Erbe, dem ich verfallen,
ich, einziger Sünder unter allen!

Diese Sünde des Amfortas bestand darin, daß er der Kundry besiegt in die
Arme gesunken ist, daß auch er, auf den sie so sehr gehofft hatte, ihr nicht
trotzte.


Klingsor:

Gefiel er dir Wohl, Amfortas, der Held,
den ich dir zur Wonne gesellt?

OI Jammer! Jammer!
Schwach auch Er!


Kundry:

So hat auch er in Weibes Armen den Willen zum Leben bejaht und
leidet nun an dieser Wunde alle Qualen des nie gestillten Sehnens, leidet allen
Schmerz der Welt, ohne jedoch mehr dabei zu empfinden als eben das Leid und
den Schmerz seiner Wunde. Dies Leid hat ihm nicht die Augen geöffnet, er erkennt
sein Leid nicht wie Parsifal als Mit--leiden. Deshalb sucht er es zu heilen mit
kleinen Mittelchen, sucht die äußeren Erscheinungen der Krankheit zu beseitigen,
ohne ihr Wesen erkannt zu haben, verlangt, genau wie Kundry, nach dem
physischen Tode, nach der Aufhebung des Individuums -- und doch ist dies
das beste Zeichen für seine Mit--leidlosigkeit. Nicht dem Wesen, dem Willen
als solchem, kann es helfen, wenn ein Einzelner verschwindet. Der Tod ist keine
Erlösung, ist nur Verwandlung des Willens in andere Gestalt. Deshalb gibt
es nur kurze Linderung im Bade, keine Erlösung, deren Sinn er nicht versteht,
als sie ihm verkündet wird. Die Worte der Verheißung:


"Durch Mitleid wissend,
der reine Tor,
harre sein',
den ich erkor."

Richard Wagners Parsifal

ereaturae in totum eZo 8um, se praetsr ins aliuä eus non est." So
fühlt sich ganz naturgemäß Parsifal aller Welt zum Heil gesandt. „Erlösung,
Frevlerin, biet ich auch dir." Zu Amfortas bricht er unverzüglich auf. Und
die Welt des Scheins sinkt in Trümmer, der Schleier der Maja zerreißt; der
Wille zum Leben war ihr Wesen, das ist aufgehoben — und sie alle zerfallen,
zerstieben, Klingsor, die Blumenmädchen, das Zauberschloß, sie sind nicht mehr.
Nur Kundry lebt noch. Aus starrem Schlaf weckt sie Gurnemanz bei den
Gralsrittern wieder auf. Ihnen müssen wir uns also zur weiteren Aufklärung
zuwenden.


Die zwei Reiche. Amfortas, die Gralsritter und Klingsor.

Der Erbe des Gralkönigtums ist Amfortas. Seinem Vater Titurel „neigten
sich in heilig ernster Nacht dereinst des Heilands sel'ge Boten" und brachten
ihm den Gral. „In hohen Alters Mühen" überließ er dem Sohne die Herr¬
schaft. Die Gralsritter sind die Brüder, die Reinen,


„die zu höchsten Wunderwerken,
des Grates heil'ge Wunderkräfte stärken."

Sie sind frei von Sünden. Amfortas klagt:


WehvolleS Erbe, dem ich verfallen,
ich, einziger Sünder unter allen!

Diese Sünde des Amfortas bestand darin, daß er der Kundry besiegt in die
Arme gesunken ist, daß auch er, auf den sie so sehr gehofft hatte, ihr nicht
trotzte.


Klingsor:

Gefiel er dir Wohl, Amfortas, der Held,
den ich dir zur Wonne gesellt?

OI Jammer! Jammer!
Schwach auch Er!


Kundry:

So hat auch er in Weibes Armen den Willen zum Leben bejaht und
leidet nun an dieser Wunde alle Qualen des nie gestillten Sehnens, leidet allen
Schmerz der Welt, ohne jedoch mehr dabei zu empfinden als eben das Leid und
den Schmerz seiner Wunde. Dies Leid hat ihm nicht die Augen geöffnet, er erkennt
sein Leid nicht wie Parsifal als Mit—leiden. Deshalb sucht er es zu heilen mit
kleinen Mittelchen, sucht die äußeren Erscheinungen der Krankheit zu beseitigen,
ohne ihr Wesen erkannt zu haben, verlangt, genau wie Kundry, nach dem
physischen Tode, nach der Aufhebung des Individuums — und doch ist dies
das beste Zeichen für seine Mit—leidlosigkeit. Nicht dem Wesen, dem Willen
als solchem, kann es helfen, wenn ein Einzelner verschwindet. Der Tod ist keine
Erlösung, ist nur Verwandlung des Willens in andere Gestalt. Deshalb gibt
es nur kurze Linderung im Bade, keine Erlösung, deren Sinn er nicht versteht,
als sie ihm verkündet wird. Die Worte der Verheißung:


„Durch Mitleid wissend,
der reine Tor,
harre sein',
den ich erkor."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/226>, abgerufen am 30.12.2024.