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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Richard Wagners parsifal

Auch dir bin ich zum Heil gesandt,
bleibst du dem Sehnen abgewandt;
die Labung, die dein Leiden endet,
beut auch der Quell, aus dem eS fließt.

Ihre Erlösung ist sonach "Auflösung, gänzliches Erlöschen" (Skizze XI,
S. 404). Ist das alles nicht eine genaue Charakteristik des "Willens", von
dem wir oben gesprochen haben? des Willens, dessen Wesen ungestilltes Sehnen
ist, das Erfüllung nicht befriedigt, sondern mehrt, aus dem, als dem Urquell,
nichts anderes als Wollen, Sehnen, fließen kann. Wohl ersehnt der Wille
seinen Schlaf und Tod, seine Auflösung, sein gänzliches Erlöschen, er kann sich
aber nicht selbst erlösen, er muß einen Besieger finden, nur wer ihm trotzt, ihn
verneint, der hebt ihn auf. Er ist blind, dieser Wille, erkennt sein eigenes
Wesen nicht, liegt in "Weltenwahns Unmachten". Erst auf der vollen Höhe
des menschlichen Selbstbewußtseins, im Genie, kann er sein Wesen er¬
kennen, kann der erlösende Genius ihm erstehn, der ihm trotzt, indem er ihn
erkennt. Vorher sucht der dumme Wille Erlösung, indem er sein Wollen be¬
friedigt, nach Befriedigung und damit nach neuem Wollen "nach der Ver¬
dammnis Quelle" schmachtet. Hiermit stimmt offenbar auch der eine Teil der
Aufgabe Kundrys bei den Gralsrittern überein. "Sie hat nur den hastigen
Eifer, sofort auszuführen, was gewünscht oder befohlen wird. Sie wird deshalb
für stumpfsinnig, vernunftlos. wie tierisch, gehalten" (Parsifalskizze). Sie ist
Botin des individuellen Wollens, ohne Selbstbewußtsein, ist blindes, vernunft¬
loses Wollen, das töricht klagt und sich stets selbst bejaht, weil es das Wesen
seines Elends nicht erkennt. Auch das Wirken Kundrus im Dienste Klingsors
wird hierdurch völlig erklärt. Sie ist das Werkzeug zur Verführerin der Grals¬
ritter, die Lockung zur stärksten Lebensbejahung, zur Zeugung neuen Lebens.
Wer ihr verfällt, verfällt auch ihrem Fluch, dem endlosen Leid der ewigen
Sehnsucht, dem schmerzvollen Willen zum Leben. Bisher hat keiner ihr getrotzt,
keiner durch die Versuchung das Mitleid gelernt, keiner die Lockung zur Lebens¬
bejahung zurückgewiesen.


Meinen Fluch mit mir
Alle verfallen I (X, S. 343),

Selbst Amfortas war schwach.

Es ist klar, daß sie diese Verführung nicht gerne übt.


O Wedel Wedel
Erwacht ich darum?
Muß ich? -- Muß?

Sie muß wirklich! denn:


Hai -- Er ist schön, der Knabe I

Und als Parsifal sie zurückweist, da lodert die sinnliche Liebe, die höchste Lebens¬
bejahung, zunächst gewaltig in ihr auf. So wird das Wesen der Kundrv offenbar.
Sie ist der Wille selbst, der Wille zum Leben, der Wille als Lebenstrieb, der
Wille, der sich dem Leben zu seinem eigenen Fluch und Elend zugewendet hat
-- Urteufelin.


Richard Wagners parsifal

Auch dir bin ich zum Heil gesandt,
bleibst du dem Sehnen abgewandt;
die Labung, die dein Leiden endet,
beut auch der Quell, aus dem eS fließt.

Ihre Erlösung ist sonach „Auflösung, gänzliches Erlöschen" (Skizze XI,
S. 404). Ist das alles nicht eine genaue Charakteristik des „Willens", von
dem wir oben gesprochen haben? des Willens, dessen Wesen ungestilltes Sehnen
ist, das Erfüllung nicht befriedigt, sondern mehrt, aus dem, als dem Urquell,
nichts anderes als Wollen, Sehnen, fließen kann. Wohl ersehnt der Wille
seinen Schlaf und Tod, seine Auflösung, sein gänzliches Erlöschen, er kann sich
aber nicht selbst erlösen, er muß einen Besieger finden, nur wer ihm trotzt, ihn
verneint, der hebt ihn auf. Er ist blind, dieser Wille, erkennt sein eigenes
Wesen nicht, liegt in „Weltenwahns Unmachten". Erst auf der vollen Höhe
des menschlichen Selbstbewußtseins, im Genie, kann er sein Wesen er¬
kennen, kann der erlösende Genius ihm erstehn, der ihm trotzt, indem er ihn
erkennt. Vorher sucht der dumme Wille Erlösung, indem er sein Wollen be¬
friedigt, nach Befriedigung und damit nach neuem Wollen „nach der Ver¬
dammnis Quelle" schmachtet. Hiermit stimmt offenbar auch der eine Teil der
Aufgabe Kundrys bei den Gralsrittern überein. „Sie hat nur den hastigen
Eifer, sofort auszuführen, was gewünscht oder befohlen wird. Sie wird deshalb
für stumpfsinnig, vernunftlos. wie tierisch, gehalten" (Parsifalskizze). Sie ist
Botin des individuellen Wollens, ohne Selbstbewußtsein, ist blindes, vernunft¬
loses Wollen, das töricht klagt und sich stets selbst bejaht, weil es das Wesen
seines Elends nicht erkennt. Auch das Wirken Kundrus im Dienste Klingsors
wird hierdurch völlig erklärt. Sie ist das Werkzeug zur Verführerin der Grals¬
ritter, die Lockung zur stärksten Lebensbejahung, zur Zeugung neuen Lebens.
Wer ihr verfällt, verfällt auch ihrem Fluch, dem endlosen Leid der ewigen
Sehnsucht, dem schmerzvollen Willen zum Leben. Bisher hat keiner ihr getrotzt,
keiner durch die Versuchung das Mitleid gelernt, keiner die Lockung zur Lebens¬
bejahung zurückgewiesen.


Meinen Fluch mit mir
Alle verfallen I (X, S. 343),

Selbst Amfortas war schwach.

Es ist klar, daß sie diese Verführung nicht gerne übt.


O Wedel Wedel
Erwacht ich darum?
Muß ich? — Muß?

Sie muß wirklich! denn:


Hai — Er ist schön, der Knabe I

Und als Parsifal sie zurückweist, da lodert die sinnliche Liebe, die höchste Lebens¬
bejahung, zunächst gewaltig in ihr auf. So wird das Wesen der Kundrv offenbar.
Sie ist der Wille selbst, der Wille zum Leben, der Wille als Lebenstrieb, der
Wille, der sich dem Leben zu seinem eigenen Fluch und Elend zugewendet hat
— Urteufelin.


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[0224] Richard Wagners parsifal Auch dir bin ich zum Heil gesandt, bleibst du dem Sehnen abgewandt; die Labung, die dein Leiden endet, beut auch der Quell, aus dem eS fließt. Ihre Erlösung ist sonach „Auflösung, gänzliches Erlöschen" (Skizze XI, S. 404). Ist das alles nicht eine genaue Charakteristik des „Willens", von dem wir oben gesprochen haben? des Willens, dessen Wesen ungestilltes Sehnen ist, das Erfüllung nicht befriedigt, sondern mehrt, aus dem, als dem Urquell, nichts anderes als Wollen, Sehnen, fließen kann. Wohl ersehnt der Wille seinen Schlaf und Tod, seine Auflösung, sein gänzliches Erlöschen, er kann sich aber nicht selbst erlösen, er muß einen Besieger finden, nur wer ihm trotzt, ihn verneint, der hebt ihn auf. Er ist blind, dieser Wille, erkennt sein eigenes Wesen nicht, liegt in „Weltenwahns Unmachten". Erst auf der vollen Höhe des menschlichen Selbstbewußtseins, im Genie, kann er sein Wesen er¬ kennen, kann der erlösende Genius ihm erstehn, der ihm trotzt, indem er ihn erkennt. Vorher sucht der dumme Wille Erlösung, indem er sein Wollen be¬ friedigt, nach Befriedigung und damit nach neuem Wollen „nach der Ver¬ dammnis Quelle" schmachtet. Hiermit stimmt offenbar auch der eine Teil der Aufgabe Kundrys bei den Gralsrittern überein. „Sie hat nur den hastigen Eifer, sofort auszuführen, was gewünscht oder befohlen wird. Sie wird deshalb für stumpfsinnig, vernunftlos. wie tierisch, gehalten" (Parsifalskizze). Sie ist Botin des individuellen Wollens, ohne Selbstbewußtsein, ist blindes, vernunft¬ loses Wollen, das töricht klagt und sich stets selbst bejaht, weil es das Wesen seines Elends nicht erkennt. Auch das Wirken Kundrus im Dienste Klingsors wird hierdurch völlig erklärt. Sie ist das Werkzeug zur Verführerin der Grals¬ ritter, die Lockung zur stärksten Lebensbejahung, zur Zeugung neuen Lebens. Wer ihr verfällt, verfällt auch ihrem Fluch, dem endlosen Leid der ewigen Sehnsucht, dem schmerzvollen Willen zum Leben. Bisher hat keiner ihr getrotzt, keiner durch die Versuchung das Mitleid gelernt, keiner die Lockung zur Lebens¬ bejahung zurückgewiesen. Meinen Fluch mit mir Alle verfallen I (X, S. 343), Selbst Amfortas war schwach. Es ist klar, daß sie diese Verführung nicht gerne übt. O Wedel Wedel Erwacht ich darum? Muß ich? — Muß? Sie muß wirklich! denn: Hai — Er ist schön, der Knabe I Und als Parsifal sie zurückweist, da lodert die sinnliche Liebe, die höchste Lebens¬ bejahung, zunächst gewaltig in ihr auf. So wird das Wesen der Kundrv offenbar. Sie ist der Wille selbst, der Wille zum Leben, der Wille als Lebenstrieb, der Wille, der sich dem Leben zu seinem eigenen Fluch und Elend zugewendet hat — Urteufelin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/224>, abgerufen am 27.07.2024.